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StrafrechtSo schützen Sie sich vor unberechtigten Patientenvorwürfen wegen sexueller Übergriffe

Abo-Inhalt13.12.2023217 Min. LesedauerVon Rechtsanwalt Ralph Jürgen Bährle, Bährle & Partner, Nothweiler

| Die meisten physiotherapeutischen Behandlungen setzen Körperkontakt des Behandelnden mit dem Patienten voraus. In der Regel finden die Behandlungen dazu noch im 1 : 1-Setting statt. Diese Situation kann ein erhöhtes Risiko für Vorwürfe sexueller Übergriffe bergen. Sexuelle Belästigungen und sexuelle Übergriffe kann es sowohl vom Patienten auf den Therapeuten als auch umgekehrt geben. Auch das Geschlecht von Opfer und Täter spielt keine Rolle. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf Vorwürfe des Patienten (m/w/d) wegen eines sexuellen Übergriffs während einer Behandlung gegen den Therapeuten (m/w/d). Wie Sie sich und Ihre Beschäftigten vor derartigen Vorfällen und den (unberechtigten) Vorwürfen eines sexuellen Übergriffs schützen, erläutert dieser Beitrag. |

So definiert das Strafrecht den sexuellen Übergriff

§ 177 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) definiert den „sexuellen Übergriff“ wie folgt: „Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“

Der Begriff „sexuelle Belästigung“ ist in § 184i StGB wie folgt definiert: „Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und dadurch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften dieses Abschnitts mit schwererer Strafe bedroht ist.“

Schon der Versuch eines sexuellen Übergriffs ist strafbar. Sexueller Übergriff und sexuelle Belästigung unterscheiden sich in der sogenannten Erheblichkeit der Beeinträchtigung des Rechtsguts der sexuellen Selbstbestimmung.

Merke | Die Grenzen zwischen den beiden Straftatbeständen sind fließend: Kann dem Täter kein sexueller Übergriff nachgewiesen werden, kann die Tat jedoch eine sexuelle Belästigung sein. In beiden Fällen muss es zu einer körperlichen Berührung des Opfers durch den Täter kommen.

Wann ist eine Grenze überschritten?

Gerade Physiotherapeuten haben bei ihren Therapien in der Regel Körperkontakt zu den Patienten. Es kann also vorkommen, dass bei diesem Körperkontakt Berührungen des Therapeuten durch dessen Hände vom Patienten als sexuell bestimmt empfunden werden können.

Die Grenze von therapeutischer Behandlung zu sexueller Belästigung oder sexuellem Übergriff ist überschritten, wenn der Therapeut (eindeutig) bei der Behandlung sexuell motivierte Körperberührungen vornimmt. Sie kann aber auch überschritten sein, wenn der Patient die sexuell nicht motivierte Behandlung oder Teile der Behandlung (z. B. in bestimmten Körperzonen) als sexuell motiviert empfindet und sich belästigt fühlt.

Im Zweifel steht im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren die Aussage des Therapeuten gegen die des Patienten. Ausgangspunkt für strafrechtliche Ermittlungen ist in der Regel die Aussage des Patienten und eine von ihm gegen den Therapeuten wegen eines konkreten Vorfalls erstattete Anzeige. In der Anzeige werden die (angeblich) vorgenommene sexuelle Belästigung oder der (angebliche) sexuelle Übergriff konkret beschrieben.

Der folgende (arbeitsrechtliche) Fall betrifft zwar eine Kündigungsschutzklage, illustriert aber sehr gut, wie ein Gericht entscheiden kann, wenn bei einem Vorwurf sexueller Belästigung Aussage gegen Aussage steht.

Beispiel: Fristlose Kündigung wegen sexueller Belästigung ist wirksam

Ein Angestellter klagte gegen seine fristlose Kündigung. Eine Kollegin hatte dem Kläger gegenüber über Rückenschmerzen geklagt. Mit ihrer Einwilligung hatte er sich hinter die Kollegin gesetzt und zunächst ihren Rücken abgetastet, der nach Hochschieben ihrer Oberbekleidung und Öffnen des BH unbekleidet war. Was dann geschah, ist strittig: Die Kollegin erklärte, der Kläger habe dann ohne ihr Einverständnis seine Hände unter ihren BH geschoben und auf ihre unbekleideten Brüste gelegt. Die Kollegin meldete den Vorfall dem Arbeitgeber. Dieser kündigte dem Kläger fristlos wegen sexuellen Übergriffs. Vor Gericht trug der Kläger vor, es habe sich um ein unbeabsichtigtes seitliches Streifen der Brüste bei dem Versuch gehandelt, den BH wieder zu schließen. Diese Aussage hielt das Gericht für eine Schutzbehauptung. Es hielt die Kündigung auch ohne vorausgehende Abmahnung trotz langer Dauer des Arbeitsverhältnisses für wirksam und wies die Klage ab (ArbG Berlin, Urteil vom 06.09.2023; Az. 22 Ca 109/23).

Wie können Sie sich schützen?

Sexuelle Belästigung kann verschiedene Gesichter haben und manchmal sehr versteckt daherkommen. Sie kann ein „kleiner“ Spruch sein, zu viele, zu lange Blicke oder ein körperlicher Übergriff. In jedem Fall ist eine Belästigung eines, nämlich unerwünscht! Da es immer auch darauf ankommt, was jemand – das Opfer – fühlt, kann allgemein nicht gesagt werden, wo die therapeutische Behandlung aufhört und sexuelle Belästigung anfängt.

Wichtig | Verbale sexuelle Entgleisungen oder anzügliche Blicke sind (derzeit noch) keine sexuelle Belästigung, können aber als Beleidigung strafbar sein.

Da es immer auf die Umstände des konkreten Einzelfalls ankommt, gibt es auch wenig auf jeden Fall passende Schutzmöglichkeiten. Der beste Schutz wäre theoretisch, dass bei jeder Behandlung eine dritte Person anwesend ist. Dies wird aber nur sehr selten der Fall sein, z. B. bei Kindern, wenn ein Erwachsener während der Behandlung anwesend ist, oder bei Therapien im Krankenhaus oder Altenheim in einem Mehrbettzimmer. In der Regel spielt sich jedoch ein Vorfall, nach dem das Opfer den Vorwurf eines sexuellen Übergriffs oder der sexuellen Belästigung erhebt, nicht in der Anwesenheit von Zeugen ab.

Treffen Sie für sich und Ihre Mitarbeitenden diese Schutzvorkehrungen

  • Unterlassen Sie jedes Verhalten, dass ein fremder Dritter als sexuell motiviert ansehen könnte. Hierunter fallen z. B. körperliche Berührungen des Patienten, die nichts mit der Behandlung zu tun haben, und auch keine objektiv notwendige Hilfestellung sind.
  • Sagen Sie dem Patienten immer, was Sie als nächsten Behandlungsschritt zu tun gedenken. Vermeiden Sie bei der Behandlung jeden über die konkret verordnete Behandlung selbst hinaus gehenden Körperkontakt.
  • Sollte die Behandlung Sie in die Nähe von Intimzonen führen, kündigen Sie das vorher an. Gleiches gilt z. B., wenn Sie einen Patienten am Rücken behandeln und dabei die Hose „im Weg ist“. Fordern Sie Patienten auf, die Hose noch etwas weiter nach unten zu rollen oder fragen Sie ihn auf jeden Fall, ob Sie dies dürfen.
  • Führen Sie Gespräche mit dem Patienten nur, wenn dieser vollständig bekleidet ist (ausgenommen sind therapeutische Anweisungen wie z. B. „den Kopf etwas mehr nach rechts drehen“).
  • Beim An- und Auskleiden des Patienten sind Sie nicht dabei und helfen auch nicht – es sei denn, der Patient ist erkennbar auf Hilfe angewiesen und fordert Sie ausdrücklich zur Hilfe auf.
  • Haben Sie den Eindruck, der Patient fühlt sich während der Behandlung unwohl, wenn Ihre Hände in die Nähe bestimmter Bereiche kommen, unterbrechen Sie die Behandlung und fragen ihn nach dem Grund für sein Verhalten.
  • Gibt er Ihnen zur Antwort, er
    • habe dort Schmerzen, müssen Sie die Behandlung ggf. abbrechen, bis die Ursache der Schmerzen geklärt ist.
    • möge es nicht, dort behandelt zu werden, habe aber keine Schmerzen, dann lassen Sie das „Gebiet“ aus oder brechen die Behandlung ab.
  • Fordert Sie ein Patient zu aus Ihrer Sicht sexuell motivierten Berührungen auf, brechen Sie die Behandlung sofort ab und lehnen Sie die Weiterbehandlung ab.

Erhebt ein Patient gegen Sie den (unberechtigten) Vorwurf der sexuellen Belästigung oder des sexuellen Übergriffs, nehmen Sie das nicht auf die leichte Schulter. Machen Sie auf keinen Fall ohne anwaltliche Unterstützung Aussagen zu dem Ihnen gemachten Vorwurf vor der Ermittlungsbehörde.

Praxistipp | Sensibilisieren Sie auch Ihre angestellten Physiotherapeuten für das Thema „sexuelle Belästigung“. Weisen Sie sie an, Sie sofort zu informieren, wenn Patienten derartige Vorwürfe erheben. Zwar haften Sie als Arbeitgeber nicht für die sexuelle Belästigung durch angestellte Therapeuten (Oberlandesgericht München, Urteil vom 10.09.2019, Az. 8 U 1555/15, vgl. PP 10/2017, Seite 2; Abruf-Nr. 44884954). Doch ein solcher Vorwurf schadet – auch wenn er unberechtigt ist – in jedem Fall dem Ruf Ihrer Praxis.

Weiterführender Hinweis
  • Arbeitgeber haftet nicht für sexuellen Übergriff durch angestellten Physiotherapeuten (PP 10/2017, Seite 2; Abruf-Nr. 44884954)

AUSGABE: PP 1/2024, S. 6 · ID: 49828867

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