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AbkommensrechtZur Besteuerung von Arbeitseinkünften auf hoher See – Änderung der Verwaltungsauffassung

Abo-Inhalt22.07.20256820 Min. LesedauerVon Prof. Dr. Stephan Peters, Nordkirchen

| Das BMF hat mit Schreiben vom 15.4.25 klargestellt, dass Schiffe auf hoher See für Zwecke der Anwendung von DBA nicht mehr als Hoheitsgebiet des Flaggenstaats gelten (abweichend von BFH 5.10.77, I R 250/75, BStBl II 78, 50). Steuerlich gilt eine Tätigkeit an Bord auf hoher See somit nicht mehr automatisch als im Flaggenstaat ausgeübt. Stattdessen richtet sich das Besteuerungsrecht nach dem jeweiligen DBA. Die geänderte Verwaltungsauffassung gilt ab dem 1.1.26 und soll die steuerliche Behandlung an die völkerrechtliche Sichtweise anpassen (BMF 15.4.25, IV B 2 - S 1301/01408/007/001, BStBl I 25, 1008). |

1. Besteuerungsanspruch nach nationalem Recht

Die Frage, unter welcher Flagge ein Schiff fährt, ist insbesondere im Rahmen der Begründung einer beschränkten Steuerpflicht gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a) EStG von großer Bedeutung. Inländische Einkünfte sind nur anzunehmen, wenn die nichtselbstständige Arbeit im Inland ausgeübt wird. Im Rahmen von § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a) EStG besteht Einigkeit (vgl. Haiß in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, Stand: 3/2025, § 49 Rn. 740), dass die nichtselbstständige Arbeit im Inland ausgeübt wird, wenn sich das Schiff

  • in deutschen Hoheitsgewässern oder einem deutschen Hafen befindet (unabhängig von der Flagge) oder
  • außerhalb deutscher Hoheitsgewässer und nicht in ausländischen Hoheitsgewässern oder einem ausländischen Hafen befindet, wenn das Schiff unter deutscher Flagge fährt.

Zur Begründung wird auf die o. g. Entscheidung des BFH (5.10.77, I R 250/75, BStBl II 78, 50) verwiesen. Diese Grundsätze dürften für die Anwendung des nationalen Rechts (insbesondere § 49 EStG) auch weiterhin gelten, da sich das BMF-Schreiben vom 15.4.25 (IV B 2 - S 1301/01408/007/001, BStBl I 25, 1008) ausdrücklich nur auf die Anwendung bei DBA beschränkt.

Merke | Praktische Folgen hat die geänderte Verwaltungsauffassung nach der ausdrücklichen Formulierung nur für die Auslegung von DBA, sofern im Abkommen keine besondere Regelung getroffen ist. Keine Auswirkungen ergeben sich für die Anwendung des nationalen Rechts.

2. Zuweisung des Besteuerungsrechts nach Abkommensrecht

Besteht nach nationalem Recht ein Besteuerungsrecht, stellt sich auf der zweiten Stufe die Frage, ob ein DBA besteht und wem das DBA das Besteuerungsrecht zuweist. Besteht kein DBA, kommt es zu keiner Einschränkung der beschränkten Steuerpflicht. Besteht ein DBA, ist zu prüfen, was im konkreten Einzelfall geregelt ist:

  • Orientiert sich ein DBA an Art. 15 Abs. 3 OECD-MA (a. F.), steht das Besteuerungsrecht dem Staat zu, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des die Schifffahrt betreibenden Unternehmens befindet.
  • Entspricht das DBA hingegen Art. 15 Abs. 3 OECD-MA 2017 (n. F.), steht das Besteuerungsrecht für Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit regelmäßig dem Ansässigkeitsstaat zu. Voraussetzung der Zuweisung des Besteuerungsrechts zugunsten des Ansässigkeitsstaates ist, dass
    • Vergütungen für unselbstständige Arbeit vorliegen,
    • die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person,
    • für eine Beschäftigung als Mitglied der regulären Besatzung eines Schiffes,
    • an Bord eines Schiffes, das im internationalen Verkehr betrieben wird, bezieht.
  • Dies gilt gemäß Art. 15 Abs. 3 OECD-MA 2017 (n. F.) nur dann nicht, wenn das Schiff ausschließlich im anderen Staat betrieben wird.

Die folgende Übersicht verdeutlicht die Vielfalt der in der Praxis anzutreffenden Gestaltungen:

Regelungen in DBA

Griechenland

Art. XI (Einkünfte aus Arbeit) DBA-Griechenland: „Vergütungen für Dienstleistungen, die an Bord eines Seeschiffes im internationalen Verkehr erbracht werden, können in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sich der Registerhafen des Schiffes befindet.“

Beachten Sie | Der Begriff der Dienstleistungen wird so verstanden, dass die Regelung nur für Arbeitnehmer gilt (Debatin DB 67, 1558). Für die Verteilung kommt es allein auf den Heimathafen des Schiffes an und nicht auf den Sitz des Unternehmens.

Malaysia

Art. 15 Abs. 3 DBA-Malaysia: „Ungeachtet der vorstehenden Bestimmungen dieses Artikels können Vergütungen für eine nichtselbstständige Tätigkeit, die an Bord eines im internationalen Verkehr betriebenen Seeschiffs oder Luftfahrzeugs ausgeübt wird, in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet, das das Seeschiff oder Luftfahrzeug betreibt.“

Philippinen

Art. 15 Abs. 3 DBA-Philippinen: „Ungeachtet der vorstehenden Bestimmungen dieses Artikels können Vergütungen für eine unselbstständige Arbeit, die an Bord eines von einem Unternehmen eines Vertragsstaats im internationalen Verkehr betriebenen Seeschiffs oder Luftfahrzeugs ausgeübt wird, in diesem Staat besteuert werden.“

USA

Art. 15 Abs. 3 DBA-USA: „Ungeachtet der vorstehenden Bestimmungen dieses Artikels können Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person für unselbstständige Arbeit als Mitglied der regulären Besatzung eines Seeschiffes oder Luftfahrzeuges bezieht, das im internationalen Verkehr betrieben wird, nur in diesem Staat besteuert werden.“

Sieht ein deutsches Abkommen eine Art. 15 Abs. 3 OECD-MA 2017 (n. F.) entsprechende Formulierung vor (z. B. DBA-USA), kommt es abkommensrechtlich auf die Flagge des Staates grundsätzlich nicht an, da in diesem Fall bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen dem Ansässigkeitsstaat das Besteuerungsrecht zusteht. Wo das Unternehmen seinen Sitz hat, ist abkommensrechtlich nicht von Bedeutung.

3. Relevanz für die Praxis

Konsequenzen hat die abkommensrechtliche Abkehr von der BFH-Rechtsprechung (BFH 5.10.77, I R 250/75, BStBl II 78, 50), wenn die Voraussetzungen von Art. 15 Abs. 3 OECD-MA 2017 (n. F.) nicht vorliegen. Dies kann der Fall sein, weil es

  • an einem Betrieb im internationalen Verkehr fehlt oder
  • es sich nicht um ein Mitglied der regulären Besatzung eines Schiffes handelt.

Der Begriff „Mitglied der regulären Besatzung“ eines Schiffes wird im abkommensrechtlichen Kontext verstanden. Dazu zählen nicht das Hilfspersonal oder Beschäftigte, die nur gelegentlich arbeiten (Haase in: Haase, AStG/DBA, 4. Auflage, Art. 15 OECD-MA 2017, Rn. 189). Eingeschlossen sind alle Arbeitsverhältnisse, die im Rahmen des üblichen Betriebs eines Schiffes ausgeführt werden (s. MK zu Art. 15 OECD-MA 2017, Tz. 9.3). Zum Beispiel gehören Angestellte eines Restaurants auf einem Kreuzfahrtschiff dazu. Dagegen sind Mitarbeiter einer Versicherungsgesellschaft, die Passagieren eines Kreuzfahrtschiffes Haus- und Kfz-Versicherungen verkaufen, nicht eingeschlossen (Beispiele aus MK zu Art. 15 OECD-MA 2017, Tz. 9.3). Falls es sich nicht um ein Mitglied der regulären Besatzung handelt, findet Art. 15 Abs. 3 OECD-MA 2017 keine Anwendung.

Fraglich ist, ob in diesem Fall der Anwendungsbereich von Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 OECD-MA eröffnet ist.

  • Für Art. 15 Abs. 3 OECD-MA (a. F.) wurde dies von der Rechtsprechung abgelehnt, weil es sich bei Art. 15 Abs. 3 OECD-MA (a. F.) um ein Lex Specialis handelt (BFH 11.2.97, I R 36/96, BStBl II 97, 432). Der BFH hat bereits zur konkreten Regelung im DBA-Schweiz entschieden, dass Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz allein das Besteuerungsrecht des Unternehmensstaats anspricht. Das Besteuerungsrecht des Ansässigkeitsstaats wird von Abs. 3 S. 1 nicht berührt (BFH 22.10.03, I R 53/02, BStBl II 04, 704).
  • Für die Neufassung von Art. 15 Abs. 3 OECD-MA 2017 überzeugt die Betrachtung der Norm als lex specialis nicht (kein lex specialis). Nur wenn die Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 15 Abs. 3 OECD-MA 2017 tatsächlich vorliegen, wird der Anwendungsbereich von Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 OECD-MA 2017 gesperrt. Liegen die Voraussetzungen hingegen nicht vor, ist der Anwendungsbereich von Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 OECD-MA eröffnet (u a. Schwenke in: Wassermeyer, DBA, 169. EL April 2025, OECD-MA 2017 Art. 15 Rn. 182). Dies wird auch im Musterkommentar angedeutet, wonach Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 OECD-MA 2017 Anwendung finden soll, wenn die Tätigkeit ausschließlich im anderen Vertragsstaat ausgeübt wird (MK zu Art. 15 OECD-MA 2017, Tz. 9.2).

Vor dem Hintergrund dieser Bewertung des Verhältnisses von Art. 15 Abs. 3 OECD-MA 2017 zu Abs. 1 und Abs. 2 erklärt sich die nunmehr erfolgte Klarstellung durch das BMF.

Sachverhalt

A lebt in den USA (Wohnsitz) und erzielt aus der Tätigkeit an Bord eines unter deutscher Flagge fahrenden Schiffes im internationalen Verkehr Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit. Im Veranlagungszeitraum übte A die Tätigkeit insgesamt an 40 Tagen in deutschem Hoheitsgebiet bzw. deutschen Häfen und an weiteren 200 Tagen auf hoher See aus. Insgesamt war A 280 Tage unterwegs und erhielt eine Vergütung i. H. v. 28.000 EUR. Der Arbeitgeber hat seinen Sitz in Brasilien.

  • Variante 1: A ist Mitglied der regulären Besatzung
  • Variante 2: A ist kein Mitglied der regulären Besatzung

Lösung

Fazit | Die Änderung der Verwaltungspraxis ist eine Reaktion auf das völkerrechtliche Verständnis, wonach Schiffe auf hoher See kein Staats- oder Hoheitsgebiet eines Staates darstellen. Wenn eine Art. 15 Abs. 3 OECD-MA 2017 entsprechende Regelung grundsätzlich Anwendung findet, ergeben sich immer dann Konsequenzen, wenn der Anwendungsbereich von Art. 15 Abs. 3 OECD-MA nicht eröffnet ist. Zu beachten ist aber, dass die Zahl der Schiffe unter deutscher Flagge sinkt. Im Einzelfall kann sich insbesondere in Fällen beschränkter Steuerpflicht (§ 1 Abs. 4 EStG) für nicht reguläre Besatzungsmitglieder eine deutliche Einschränkung des deutschen Besteuerungsrechts ergeben. Die neue Regelung gilt für Lohnzahlungszeiträume, die nach dem 31.12.25 beginnen.

  • Variante 1: A ist mit den inländischen Einkünften beschränkt steuerpflichtig gemäß § 1 Abs. 4 i. V. m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 a) EStG, soweit die Tätigkeit auf die Ausübung im Inland entfällt. Dies sind im vorliegenden Fall 240 Tage, weshalb A mit inländischen Einkünften i. H. v. 24.000 EUR in Deutschland beschränkt steuerpflichtig ist. Das Besteuerungsrecht wird aber nach Art. 15 Abs. 3 DBA-USA ausschließlich den USA als Ansässigkeitsstaat zugewiesen.
  • Variante 2: Für die inländischen Einkünfte gelten die gleichen Regelungen wie bei Variante 1. Da Person A nicht zur regulären Besatzung gehört, greift Art. 15 Abs. 3 DBA-USA nicht. Da es sich insoweit nicht um eine abschließende und die Anwendung von Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 DBA-USA ausschließende Spezialregelung handelt, steht Deutschland gemäß Art. 15 Abs. 1 DBA-USA das Besteuerungsrecht insoweit zu, als die Tätigkeit in Deutschland ausgeübt wurde. Dabei ging die Finanzverwaltung bisher davon aus, dass die Tätigkeit auf hoher See aufgrund der Fahrt unter deutscher Flagge auch abkommensrechtlich dem Inland zuzuordnen ist. Damit läge eine Tätigkeit „im anderen Staat“ i. S. d. Art. 15 Abs. 2 S. 1 DBA-USA an 240 Tagen vor. Deshalb können die Vergütungen nicht nach Art. 15 Abs. 2 S. 1 Buchst. a) DBA-USA ausschließlich in den USA besteuert werden.
  • Unter Berücksichtigung der geänderten Verwaltungsauffassung zählt die Ausübung an Bord des unter deutscher Flagge fahrenden Schiffes nur noch insoweit zum Inland, als die Tätigkeit in deutschen Hoheitsgewässern oder in deutschen Häfen ausgeübt wurde (40 Tage < 183 Tage gemäß Art. 15 Abs. 2 S. 1 Buchst. a) USA-DBA). Da die Vergütung auch nicht von einem in Deutschland ansässigen Arbeitgeber oder einer Betriebsstätte in Deutschland getragen wird (Art. 15 Abs. 2 Buchst. b) und c) DBA-USA), kann die Vergütung ausschließlich im Ansässigkeitsstaat (USA) besteuert werden.

AUSGABE: PIStB 8/2025, S. 207 · ID: 50450054

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