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AbkommensrechtDer BFH konkretisiert die Voraussetzungen für eine abkommensrechtliche Betriebsstätte
| Im Mai wurden zwei BFH-Entscheidungen zu den Voraussetzungen des abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriffs veröffentlicht. Die Entscheidungen betreffen ein Taxiunternehmen (BFH 18.12.24, I R 47/21, DStR 25, 1013) sowie einen Goldhandel (BFH 18.12.24, I R 39/21, DStR 25, 1019). Die Entscheidungsgründe haben teils den Charakter von Abkommens- bzw. Gesetzeskonkretisierungen. Diese können künftig in vergleichbaren Fällen als Argumentationsrichtlinien hilfreich sein. Da sich Gerichtsentscheidungen als Einzelfallentscheidungen jedoch selten „1 : 1“ auf andere Fälle übertragen lassen, gibt der Beitrag auch Hilfestellung für die nötige Kontextualisierung der ausgewerteten Entscheidungsgründe. |
1. „Verwurzelung“ des Taxiunternehmens im Ausland führt zur abkommensrechtlichen Betriebsstätte
1.1 Sachverhalt (I R 47/21)
Die Beteiligten stritten über das Vorliegen einer abkommensrechtlichen Betriebsstätte eines Taxiunternehmens in den Jahren 2009 und 2010. Die inländischen Eheleute betrieben seit dem Jahr 2003 ein Taxiunternehmen. Das Unternehmen war im schweizerischen Handelsregister eingetragen und der übliche Personenbeförderungsverkehr fand in der Schweiz statt. Als Fahrer waren in den Streitjahren vier bzw. fünf Mitarbeiter angestellt. In der Gewerbeanmeldung war als Geschäftssitz der Ort einer sog. Taxizentrale im entsprechenden Kanton der Schweiz eingetragen. Diese Taxizentrale war als Zusammenschluss selbstständiger Taxihalter mit eigens entworfenen Nutzungsbedingungen organisiert. In den auch als „Funkzentrale“ bezeichneten Räumlichkeiten wickelte das Unternehmen alle Fahraufträge ab.
Auch in den betroffenen Jahren 2009 und 2010 hatten die Eheleute – als Mitglied der Taxizentrale – jederzeit Zugang zu dem Gebäude, welches insbesondere über einen Büroraum sowie einen gesonderten Raum für die von der Taxizentrale beschäftigten Leitstellen-Mitarbeiter verfügte. Als Inventar existierten insgesamt drei jeweils mit PC und Telefon ausgestattete Schreibtische, von denen einer im Wesentlichen ein- bis zweimal pro Woche von den Eheleuten für Telefonate, Abwicklungen von Rechnungen sowie sämtliche weitere Vorarbeiten der Buchführung genutzt wurde. Die Vorarbeiten bezogen sich auch auf die schweizerischen Steuererklärungen, die anschließend von einer schweizerischen Steuerberatungsgesellschaft erstellt wurden.
Den Eheleuten stand des Weiteren ein Standcontainer zur Verfügung. Der Container stand in dem Büroraum und war mit dem Firmennamen des Taxiunternehmens der Eheleute beschriftet. Zweck dieses Containers war die Aufbewahrung der für die Buchhaltung und die Überwachung der Fahr- und Ruhezeiten erforderlichen Unterlagen (Kundenkarten, Kreditabrechnungen der Großkunden, täglich zu führende Tachoscheiben, Kontrollkarten etc.). Zu diesem Standcontainer besaßen einzig die Eheleute einen Schlüssel.
Die Post für das Taxiunternehmen ging in einer nahegelegenen Postfiliale ein, wurde täglich abgeholt und in der Taxizentrale in die Postfächer der einzelnen Mitglieder der Zentrale verteilt. In den Streitjahren waren neben den Eheleuten noch zwei weitere Taxiunternehmer Mitglied der beschriebenen Taxizentrale.
Das inländische Finanzamt unterwarf die gewerblichen Einkünfte aus dem Taxiunternehmen in voller Höhe der deutschen Besteuerung. Dem lag die Annahme zugrunde, dass insbesondere die beschriebene Taxizentrale keine Betriebsstätte in der Schweiz darstelle und in der Folge Deutschland als Ansässigkeitsstaat das alleinige Besteuerungsrecht an den Gewinnen zustehen würde. Dagegen richteten sich der Einspruch sowie das Klageverfahren der Eheleute. Der Klage wurde in der Vorinstanz durch das FG Baden-Württemberg (3 K 589/19) entsprochen. Auch der BFH bestätigte nunmehr, dass im Sachverhalt eine abkommensrechtliche Betriebsstätte nach § 12 AO, Art. 5 Abs. 1 DBA-Schweiz in der Schweiz vorliegt und die Einkünfte demnach im Inland steuerfrei zu stellen und lediglich dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen sind.
1.2 Entscheidungsgründe
Der BFH betonte zunächst, dass der Wortlaut des Art. 5 Abs. 1 DBA-Schweiz mit dem des § 12 AO gemein hat, dass für das Vorliegen einer Betriebsstätte eine „feste Geschäftseinrichtung“ gefordert wird (Rn. 19 ff.). Folglich greift der BFH zunächst auf die bisherige Rechtsprechung zu der Begriffsbestimmung der festen Geschäftseinrichtung nach § 12 AO zurück und bestimmt das abkommensrechtliche Tatbestandsmerkmal „feste Geschäftseinrichtung“ als
- 1. körperliche Gegenstände
- 2. mit einer festen Beziehung (Verbindung) zur Erdoberfläche,
- 3. die von einer gewissen Dauer ist, und
- 4. wobei der Unternehmer über die feste Geschäftseinrichtung eine ausreichende Verfügungsmacht haben muss.
Sodann erkennt der BFH in diesen vier Merkmalen örtliche sowie zeitliche Komponenten und betont, dass diese nicht isoliert zu betrachten sind, sondern in Wechselwirkung zueinander stehen. Dies führe dazu, dass beispielsweise eine besonders stark ausgeprägte örtliche Verbindung einer Einrichtung im Erdboden die zeitliche Komponente eines längeren Verbleibs indizieren kann.
Beachten Sie | Diese Betrachtung der Merkmale erinnert an die dogmatische Figur des offenen Typusbegriffs, für die kennzeichnend ist, dass Kriterien des betreffenden Typus insgesamt festgelegt und sodann gegeneinander abgewogen werden. Die besprochene Entscheidung ist jedoch nicht so zu verstehen, dass einzelne Kriterien überhaupt nicht vorzuliegen brauchen, wenn andere stark ausgeprägt sind.
Argumentationsspielräume in der Praxis durch Wechselwirkung der Merkmale Praxistipp | Der BFH beschreibt erstmals ausdrücklich eine Wechselwirkung der einzelnen Merkmale einer festen Geschäftseinrichtung. In der Praxis ergeben sich dadurch Argumentationsspielräume, die mit der Situation vergleichbar sind, in der eine Einzelfallbetrachtung bei der Subsumtion von Typusbegriffen vorgenommen wird. Die Ausführungen zur Wechselwirkung haben mit anderen Worten zur Folge, dass sich allgemeingültige Prüfungsmaßstäbe kaum finden lassen werden und eine Detailprüfung des Einzelfalls unumgänglich ist (s. Scheinbacher/Gradl, DStR 25, 1018). |
Im Fall des Taxiunternehmens hat der BFH besonderen Wert auf die Komponente der ausreichenden Verfügungsmacht des Unternehmers über die feste Geschäftseinrichtung gelegt (Rn. 25 ff.).
Zunächst definiert der BFH die ausreichende Verfügungsmacht wie folgt: Sie liegt vor, wenn der Unternehmer einen dauerhaften rechtlichen (Mit-)Nutzungsanspruch hat. Dieser kann aufgrund von (Mit-)Eigentum oder durch eine entgeltliche oder unentgeltliche Nutzungsüberlassung vorliegen, auch wenn diese mündlich oder konkludent erteilt wurde. Hat der Unternehmer kein alleiniges Nutzungsrecht, sondern nur ein Mitnutzungsrecht, muss im Einzelfall anhand der Gesamtumstände geprüft werden, ob dieses eine dauerhafte Nutzung der Geschäftseinrichtung ermöglicht oder nur eine kurzfristige Mitbenutzung darstellt. Ein wichtiges Indiz für ein dauerhaft erteiltes jederzeitiges Mitnutzungsrecht der Räume sei wiederum die dauerhafte Überlassung personenbeschränkter Nutzungsstrukturen an ortsbezogenen Geschäftseinrichtungen.
Nach diesen definierenden Ausführungen würdigt der BFH insbesondere den Standcontainer, zu dem allein die Eheleute einen Schlüssel besaßen und in dem wichtige Unternehmensunterlagen aufbewahrt wurden, als entscheidendes Indiz. Das Ehepaar hätte für die Räumlichkeiten der Taxizentrale zwar nur ein Mitbenutzungsrecht neben weiteren Taxiunternehmern. Der Standcontainer, der ihnen exklusiv zur Verfügung steht, verkörpere aber eine personenbezogene Nutzungsstruktur, die nicht nur die tatsächliche, sondern auch die zeitliche Komponente der Verfügungsmacht offenbart.
Beachten Sie | Hier wendet der BFH also die angesprochene Wechselwirkung im Einzelfall an, indem das schwächer ausgeprägte Benutzungsrecht (es liegt lediglich ein Mitbenutzungsrecht vor) durch den individuell zugänglichen Container „angereichert“ wird. Die Gesamtschau dieser Umstände würde zusätzlich die Dauerhaftigkeit des Nutzungsrechts – also eine zeitliche Komponente – indizieren.
Der BFH betont in der Folge ausdrücklich, dass der Standcontainer ein Indiz der Gesamtschau darstellt und nicht für sich betrachtet die Voraussetzungen einer festen Geschäftseinrichtung nach Art. 5 Abs. 1 DBA-Schweiz erfüllen könnte. Vielmehr müssen weitere Umstände – im Streitfall waren dies die von den Eheleuten mitgenutzten Büroräume der Taxizentrale – hinzutreten, um eine solche zu begründen. Nach diesem Verständnis dürfte es für Gegenstände, die eine „personenbezogene Nutzungsstruktur“ darstellen können, keine Rolle spielen, ob diese fest mit dem Boden verankert sind oder nicht. Ob es sich bei dem Container im Streitfall um einen Rollcontainer, einen Standcontainer oder nur um einen üblichen Schrank handelt, war also nicht entscheidend (s. zur Vorinstanz und Differenzierung: Ditz, in: Hummel/Kaminski, Aktuelle Praxis- und Grundsatzfragen des Internationalen Steuerrechts, 1. Auflage 2024, 150).
Als letzte Weichenstellung für das Vorliegen einer Betriebsstätte würdigt der BFH die Ausnahmen des Art. 5 Abs. 3 DBA-Schweiz, der einen Negativkatalog für Betriebsstätten enthält. Diese Tätigkeiten i. S. d. Art. 5 Abs. 3 Buchst. a) bis e) DBA-Schweiz reichen zur Begründung einer Betriebsstätte nicht aus, selbst wenn zunächst eine feste Geschäftseinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 1 DBA-Schweiz angenommen wurde. Zu diesen Tätigkeiten zählen die Lagerung, Ausstellung oder Auslieferung von Gütern oder Waren sowie die Ausübung von Tätigkeiten vorbereitender Art oder Hilfstätigkeiten.
Für den Sachverhalt bedeutet das:
- 1. Laut BFH-Auffassung sind die in der Taxizentrale durchgeführten Arbeiten der Eheleute nicht als reine Lagerung von Gütern oder Waren des Taxiunternehmens zu bewerten (Rn. 40). Die im Standcontainer aufbewahrten Unterlagen wie u. a. Kontroll- und Tachokarten seien nicht Teil des bilanzierbaren Anlage- oder Umlaufvermögens und gehören deshalb nicht zu den von Art. 5 Abs. 3 Buchst. a) DBA-Schweiz erfassten Gütern oder Waren.
- 2. Zweitens seien die durchgeführten Tätigkeiten in der Taxizentrale nicht ausschließlich vorbereitende Tätigkeiten oder Hilfstätigkeiten im Vergleich zu der Haupttätigkeit des Unternehmens (Rn. 41 ff.). Dem Bezahlen von Rechnungen sowie weiteren administrativen Tätigkeiten wie der Erfüllung sozialversicherungs- und (lohn-)steuerrechtlicher Verpflichtungen für mehrere Mitarbeiter käme – gepaart mit Kontrolltätigkeiten hinsichtlich der finanziellen Situation des Unternehmens und der Pausen der Angestellten – zumindest teilweise der Charakter einer geschäftsleitenden Tätigkeit zu.Administrative Aufgaben als Teil der Geschäftsführung
1.3 Relevanz für die Praxis
Die Entscheidungsgründe zeigen an dieser Stelle, dass die Ableitung der Haupttätigkeit aus dem Unternehmensgegenstand nicht automatisch bedeutet, dass alle anderen Tätigkeiten des Unternehmens als Tätigkeiten i. S. d. Art. 5 Abs. 3 DBA-Schweiz gelten. Bei einem Taxiunternehmen ist die Haupttätigkeit die Personenbeförderung. Der BFH listet sodann auf schlüssige Weise separate Tätigkeitsbereiche auf, die zwar faktisch keine bzw. nur eine äußerst mittelbare Verknüpfung zu der Personenbeförderung aufweisen, dafür aber im Gesamtkontext des Unternehmens ein erhebliches wirtschaftliches Gewicht haben. Diese wirtschaftliche Betrachtungsweise überzeugt und ist auf vergleichbare Fälle übertragbar.
Einen vergleichbaren Fall der Betriebsstättenbegründung im Inland hatte der BFH (7.6.23, I R 47/20, s. PIStB 23, 47) in Bezug auf einen im Flughafenhangar in Deutschland beschäftigten Flugzeugingenieur entschieden. Auch hier wurde die Betriebsstätte aufgrund von Spind und Schließfach in den Gemeinschaftsräumen auf dem Flughafengelände bejaht.
2. Goldhandel: Keine Ausnahme von der Mindestdauer von sechs Monaten
2.1 Sachverhalt (I R 39/21)
Drei in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Personen betrieben einen Goldhandel im Vereinten Königreich Großbritannien und Nordirland (Großbritannien). Am 18.9.07 gründeten sie in London nach britischem Recht eine Personengesellschaft in der Rechtsform einer General Partnership (Gesellschaft). Bereits am Tag der Gründung mietete die Gesellschaft Räumlichkeiten in London mit zwei Arbeitsplätzen für den Zeitraum vom 22.10.07 bis zum 30.4.08 an. Neben der Anmietung war Bestandteil des abgeschlossenen Vertrages, dass die Gesellschaft Serviceleistungen in Anspruch nehmen konnte sowie Büromaterial und EDV-Zubehör erwarb. Die drei Gesellschafter hielten sich im Zeitraum vom 18.9.07 bis April 2008 abwechselnd und teils gemeinsam an verschiedenen Tagen in London auf; Angestellte hatte die Gesellschaft nicht.
Nachdem am 30.10.07 ein Darlehensvertrag mit einer Schweizer Bank abgeschlossen wurde, betrieb die Gesellschaft in der Folge Goldgeschäfte sowohl in physischer als auch in verbriefter Form für eigene Rechnung. Die jeweiligen Bestände in physischer sowie verbriefter Form wurden am 3. bzw. 8.1.08 vollständig veräußert. Außerdem schloss die Gesellschaft vom 31.10.07 bis zum 8.1.08 zur Sicherung mehrere Optionsgeschäfte sog. „Plain-Vanilla-Optionen“ ab, die zum 15.1.08 verfielen. Diese Optionen räumen dem Inhaber das Recht ein, einen Basiswert zu einem vorher festgelegten Preis innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu kaufen („Call“) oder zu verkaufen („Put“).
Am 3.4.08 und am 25.6.08 kam es zum Abschluss von insgesamt vier Devisenhandelsgeschäften, die innerhalb von zwei Tagen zu erfüllen waren (sog. Devisen-Kassa-Geschäfte). Am 3.4.08 kaufte die Gesellschaft erneut Gold in verbriefter Form in Höhe der Mindestmenge für ein Kaufgeschäft ein, welches sie am 21.5.08 wieder veräußerte. Am 28.10.08 wurde der Geschäftsbetrieb der Gesellschaft veräußert und im Anschluss wurde sie aufgelöst.
Das inländische Finanzamt unterwarf die gewerblichen Einkünfte aus dem Goldhandel der inländischen Besteuerung, weil diese keiner in Großbritannien belegenen Betriebsstätte zugeordnet werden könnten. Das FG München (15.7.20, 7 K 770/18, EFG 20, 1679) gab dem Finanzamt im vorinstanzlichen Urteil Recht. Der BFH hat dies aus den folgenden Gründen bestätigt:
2.2 Entscheidungsgründe
Eingangs skizziert der BFH die Voraussetzungen einer Betriebsstätte nach Art. II Abs. 1 Buchst. l Unterabs. i DBA-Großbritannien 1964/1970. Wie im ersten Besprechungsfall (s. Abschnitt 1) käme es im ersten Schritt darauf an, ob eine „feste Geschäftseinrichtung“ gegeben ist, in der die Tätigkeit des Unternehmens ganz oder teilweise ausgeübt wird. Es fällt auf, dass in Rn. 17 des Urteils (unter ausdrücklichem Verweis auf die hier ebenfalls besprochene Entscheidung zum Taxiunternehmen) die Wechselwirkung der einzelnen örtlichen und zeitlichen Komponenten der festen Geschäftseinrichtung wiederholt wird. Dies ist hervorzuheben, weil der BFH den Begriff der festen Geschäftseinrichtung folglich nicht exklusiv für das DBA-Schweiz, sondern auch für alle anderen DBA auf die beschriebene Art und Weise zur Wechselwirkung versteht.
Anwendung der Wechselwirkung der Merkmale über das DBA-Schweiz hinaus Merke | Der BFH bestätigt für den abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriff, dass die Ausprägung einzelner Merkmale einer festen Geschäftseinrichtung die Anforderungen an die Ausprägung der anderen Merkmale dieses Tatbestandsmerkmals beeinflusst. Durch die Referenz auf den Fall zum Taxiunternehmen in den Entscheidungsgründen des Goldhandelfalls macht der BFH deutlich, dass dieses Verständnis unabhängig von dem individuell einschlägigen DBA gelten soll. |
In der Folge konzentrieren sich die Entscheidungsgründe in erster Linie auf die zeitliche Voraussetzung einer festen Geschäftseinrichtung, wofür nach Auffassung des BFH eine Mindestdauer von sechs Monaten notwendig ist. Für die teilweise in der Literatur vertretene Auffassung zum DBA-Großbritannien, nach der eine Mindestdauer von zwölf Monaten anzuwenden ist, erkennt der BFH keine ausreichenden Anhaltspunkte.
Das bisher dargestellte Verständnis der Wechselwirkung findet im weiteren Verlauf der Entscheidungsgründe indes keine ausdrückliche Erwähnung mehr. Der BFH stellt in seiner Entscheidung zum Goldhandel fest, dass im konkreten Einzelfall kein örtliches Merkmal der festen Geschäftseinrichtung (zur Erinnerung: körperliche Gegenstände, die mit einer festen Beziehung zur Erdoberfläche verbunden sind, über die der Unternehmer eine ausreichende Verfügungsmacht hat) ausreichend stark ausgeprägt war, um die schwach ausgeprägte zeitliche Komponente des Goldhandels zu kompensieren.
Die Mindestdauer von sechs Monaten sei im Streitfall nicht erreicht, weil sich diese nicht nur auf die Dauer der Anmietung des Büroraums beziehe, sondern auf die unternehmerische Tätigkeit, die in der festen Geschäftseinrichtung ausgeübt wird (Rn. 21 ff.). Das zeitliche Kriterium der Dauerhaftigkeit sei schon begrifflich so zu verstehen, dass es auf die gesamten Voraussetzungen einer Betriebsstätte zutreffen müsse (Rn. 22). Genau daran scheitere es im Fall des Goldhandels. Die unternehmerische Tätigkeit habe nämlich bereits am 15.1.08 mit dem Auslaufen der „Plain-Vanilla-Optionen“ geendet. Bezüglich dieses Zeitpunktes schließt sich der BFH der tatsächlichen Würdigung des vorinstanzlichen Urteils an.
Zeitliches Kriterium mit gewisser Sonderfunktion Merke | Damit modifiziert der BFH sein Verständnis zu der Wechselwirkung im Vergleich zu der Entscheidung zum Taxiunternehmen folgendermaßen: Dem zeitlichen Kriterium der Dauerhaftigkeit kommt eine gewisse Sonderfunktion zu, indem alle übrigen örtlichen Kriterien der festen Geschäftseinrichtung von der geforderten Mindestdauer umfasst sein müssen. |
Der längste denkbare Zeitraum der unternehmerischen Tätigkeit betrage damit vom 18.9.07 (Abschluss des Mietvertrags) bis zum 15.1.08 und unterschreite damit sechs Monate. Die Tätigkeiten nach dem 15.1.08 seien Abwicklungstätigkeiten. Solche Abwicklungshandlungen seien für den Sechs-Monats-Zeitraum irrelevant und rechtfertigen laut BFH auch keine Ausnahmebetrachtung, weil diese nicht mehr zur Verwurzelung des Unternehmens im Betriebsstättenstaat beitragen können. Sie sind vielmehr auf ein Verlassen dieses Staates gerichtet (Rn. 30 ff.). Die nach dem 15.1.08 stattgefundenen Devisen-Kassa-Geschäfte und insbesondere der Ankauf einer Mindestmenge von Gold am 3.4.08 hätten ein so geringes Volumen gehabt, dass der ursprüngliche Goldhandel dadurch nicht fortgeführt worden sei und die dementsprechende Annahme von Abwicklungshandlungen durch die Vorinstanz rechtsfehlerfrei gewesen sei.
2.3 Relevanz für die Praxis
Der BFH bestätigt in der Entscheidung zum Goldhandel zwar sein Verständnis zur Wechselwirkung der Merkmale der festen Geschäftseinrichtung, macht aber auch deutlich, dass die zeitliche Komponente alle übrigen örtlichen Kriterien mit umfassen muss. Es wird demnach äußerst schwierig sein, eine abkommensrechtliche Betriebsstätte nur durch örtliche Kriterien anzunehmen, wenn für die Dauer der unternehmerischen Tätigkeit feststeht, dass diese (exklusive Abwicklungshandlungen) die geforderte Mindestdauer unterschreitet bzw. nicht auf diese Dauer angelegt war.
An den wenigen Ausnahmen, in denen besondere Umstände die Unterschreitung der geforderten Mindestdauer rechtfertigen, ist jedoch festzuhalten (s.
Kobus, IWB 18, 400). Das zeitliche Kriterium ist nämlich weiterhin einzelfallbezogen und nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise zu verstehen. Nach
diesen Maßstäben kann es für die Verwurzelung im anderen Staat ausreichend sein, wenn die wirtschaftliche Präsenz im anderen Staat zwar regelmäßig, aber mit Unterbrechungen erfolgt – selbst wenn diese Unterbrechungen ein vollständiges Zurückziehen beinhalten. Im sog. Wochenmarkturteil (BFH 9.10.74, I R 128/73) nahm der BFH z. B. eine Betriebsstätte nach § 12 AO an, wenn ein mobiler Verkaufswagen zweimal wöchentlich innerhalb eines Jahreszeitraums auf einem Markt aufgestellt wird. Wenn ein Verkaufsstand jedoch nur einmal und dann nicht länger als vier Wochen innerhalb eines Jahreszeitraums an einem bestimmten Ort aufgestellt wird, liegt laut BFH keine Betriebsstätte vor (BFH 17.9.03, I R 12/02). Außerdem gilt weiterhin: Hat der Unternehmer die wirtschaftliche Betätigung über einen Zeitraum von sechs Monaten hinaus geplant und wird die Betätigung vor Ende des sechsten Monats aus nicht vorhergesehenen Gründen wieder eingestellt, entfällt damit nicht die Eigenschaft als Betriebsstätte, wenn die längere Betätigungsabsicht nachgewiesen werden kann.
2.4 Exkurs: Prüfungsmaßstab des BFH gemäß § 118 Abs. 2 FGO
Zu den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz zum Zeitpunkt der Beendigung der unternehmerischen Tätigkeit des Goldhandels am 15.1.08 macht der BFH als Revisionsgericht sodann lesenswerte Ausführungen. Seine Prüfungsgrundlage sei nach § 118 Abs. 2 AO der Sachverhalt, der in der letzten mündlichen Verhandlung vor dem FG vorgelegen habe, wovon auch im Streitfall keine Ausnahme zu machen sei (Rn. 33 ff.).
Hinsichtlich des Mietvertrags ist es weder unlogisch noch widerspricht es allgemeinen Erfahrungswerten, dass im Januar 2008 bereits von einer bevorstehenden Beendigung des Unternehmens ausgegangen wird. Dies ist der Fall, obwohl der Endtermin erst etwa sechs Monate nach der Anmietung festgelegt wurde. Die Vorinstanz hat dazu u. a. eine Äußerung in der mündlichen Verhandlung widerspruchsfrei gewürdigt. Am 15.1.08 informierte die Bank die Gesellschafter, dass die bisherigen Finanzierungskonditionen nicht mehr aufrechterhalten werden können. Das FG kann diesen Zeitpunkt als entscheidende Zäsur betrachten und den 15.1.08 als Datum für die Einstellung der unternehmerischen Tätigkeit bewerten. Hinsichtlich weiterer entgegenstehender Argumenten – auch zu den vom FG angenommenen Abwicklungshandlungen – hätten die Gesellschafter laut BFH von sich aus weitere substanziierte Ausführungen im FG-Verfahren treffen müssen, wozu ausreichend Zeit bestanden hätte.
Beachten Sie | Diese Ausführungen des BFH unterstreichen, dass das Gericht seinen Status als Revisionsgericht äußerst ernst nimmt und es seine Prüfung damit auf Rechtsfehler begrenzt. Auf bloße Behauptungen, dass bisher getroffene tatsächliche Feststellungen der Vorinstanz falsch seien, kann die Revision demnach ebenso wenig gestützt werden wie auf das Vorbringen von Tatsachen, die bereits zum Zeitpunkt der Entscheidung der Vorinstanz vorhanden waren. Solche sind vielmehr zwingend schon auf der Ebene des FG auf substanziierte Weise vorzubringen.
Fazit | Die besprochenen Entscheidungen konkretisieren den Begriff der „festen Geschäftseinrichtung“ über die entschiedenen Fälle hinaus. Insbesondere das Verständnis zur Wechselwirkung der einzelnen Merkmale wird künftige Streitfragen um den abkommensrechtlichen Betriebsstättenbegriff prägen. Für die Beantwortung dieser Fragen in Festsetzungs-, Einspruchs- oder Gerichtsverfahren kann allerdings der Wert der Kontextualisierung der skizzierten Wertungen für den Einzelfall nicht hoch genug eingeschätzt werden. Dies macht der BFH indes selbst in den hier besprochenen Entscheidungen deutlich.
So ist dringend anzuraten, die vorgezeichneten Wertungen in Auseinandersetzungen mit der Finanzverwaltung nicht abstrakt in den Raum zu stellen, sondern diese stets auf konkretisierende und aktualisierende Weise mit dem zu lösenden Einzelfall zu verknüpfen. Dabei sollten auch alle relevanten Tatsachen auf substanziierte Weise vorgetragen und rechtzeitig in das Verfahren eingebracht werden. |
- Zur fehlenden Arbeitgebereigenschaft einer Betriebsstätte nach Abkommensrecht s. PIStB 25, 176archivAusgabe 7 | 2025 Seite 176
- Zum abkommensrechtlichen Aktivitätsvorbehalt auf ausländische Betriebsstätteneinkünfte s. Peters, PIStB 24, 337
- Zum Begriff der Betriebsstätte bzw. der festen Niederlassung im Umsatzsteuerrecht s. Jahn, PIStB 20, 310
AUSGABE: PIStB 8/2025, S. 211 · ID: 50467162