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AußensteuerrechtZur Stundung der Wegzugsbesteuerung nach § 6 Abs. 5 AStG a. F. bei Wegzug in die Schweiz

Abo-Inhalt23.05.2024990 Min. LesedauerVon Prof. Dr. Ralf Jahn, Würzburg

| Auch wenn nach unionsrechtlichen Vorgaben i. V. m. dem Freizügigkeitsabkommen der EU und der Schweiz bei einem im Jahr 2011 erfolgten Wegzug in die Schweiz die nationale Steuer auf den Vermögenszuwachs (Wegzugsteuer) dauerhaft und zinslos zu stunden ist (EuGH 26.2.19, C-581/17 „Wächtler“, IStR 19, 260), hindert dies die Festsetzung der Steuer nicht (BFH (6.9.23, I R 35/20, DB 24, 162). |

Sachverhalt

Ein deutscher Staatsangehöriger war seit 2008 Geschäftsführer einer GmbH, an der er zu 50 % beteiligt war, mit Sitz in der Schweiz. Im Jahr 2011 wurde der verheiratete Geschäftsführer antragsgemäß getrennt zur Einkommensteuer veranlagt. Im März 2011 verzog er in die Schweiz, wo er seitdem wohnt. Aufgrund seines Wegzugs setzte das FA einen fiktiven Veräußerungsgewinn gemäß § 6 Abs. 1 AStG a. F. i. V. mit § 17 EStG an und berücksichtigte damit die latenten Wertzuwächse seiner Gesellschaftsanteile bis zum Zeitpunkt seines Umzugs.

Im hiergegen gerichteten Klageverfahren hatte das FG Baden-Württemberg an den EuGH zunächst ein Vorabentscheidungsersuchen gerichtet, über das der EuGH (26.2.19, C-581/17 „Wächtler“, IStR 19, 260) entschied. Danach hatte die Klage in erster Instanz Erfolg (FG Baden-Württemberg 31.8.20, 2 K 835/19, PIStB 21, 32). Im Revisionsverfahren hob der BFH das FG-Urteil jedoch auf und wies die Klage ab.

Anmerkungen

Das Besprechungsurteil des BFH betrifft die Reichweite der Wegzugsbesteuerung unter Geltung der früheren Regelungen in § 6 Abs. 1, 4 und 5 AStG in der bis Ende 2021 geltenden alten Fassung. Der EuGH erklärte diese Wegzugsbesteuerung in der Sache „Wächtler“ für unionsrechtswidrig, weil durch die Wegzugsbesteuerung ohne Zahlungsaufschub bei der Einkommensteuer die im Abkommen zwischen der EU und der Schweiz über die Freizügigkeit vom 21.6.99 geschützte Gleichbehandlung und damit die Niederlassungsfreiheit verletzt werde (EuGH 26.2.19, C-581/17, IStR 19, 260).

Das BMF (13.11.19, IV B 5 S 1325/18/10001 :001, BStBl I 19, 12) leitete hieraus ab, dass die festgesetzte Wegzugsteuer auf Antrag des Steuerpflichtigen in fünf gleichen Jahresraten verzinslich gestundet wird, ohne dass es auf eine erhebliche Härte ankommen sollte.

Das FG Baden-Württemberg (31.8.20, 2 K 835/19) ging noch einen Schritt weiter und nahm an, dass wegen der Unionsrechtswidrigkeit der Wegzugsbesteuerung bereits die Festsetzung der Steuer ausscheide, es mithin auf eine Stundung der Wegzugsteuer nicht mehr ankomme.

Dieser Ansicht ist der BFH mit der Folge der Klageabweisung jetzt entgegengetreten:

  • Auch wenn auf der Grundlage des im Verlauf des finanzgerichtlichen Verfahrens ergangenen EuGH-Urteils „Wächtler“ § 6 AStG geltungserhaltend mit der Maßgabe anzuwenden ist, dass die Wegzugsteuer im Rahmen des Steuererhebungsverfahrens dauerhaft und zinslos von Amts wegen zu stunden ist, kann sie im Einkommensteuerbescheid festgesetzt werden.
  • Die Unionsrechtswidrigkeit führt nicht zu einer vollständigen Unanwendbarkeit oder Nichtigkeit der nationalen Vorschrift. Vielmehr ist dem Anwendungsvorrang des Primärrechts vor nationalem Recht durch das „Hineinlesen“ der vom EuGH verbindlich formulierten unionsrechtlichen Erfordernisse in die betroffene Norm Rechnung zu tragen (z. B. BFH 3.2.10, I R 21/06, BStBl II 10, 692; 15.1.15, I R 69/12, BFHE 249, 99).
  • Deshalb ist es nach Ansicht des BFH geboten, ein „europarechtswidriges Tatbestandsmerkmal“ nicht zu beachten (BFH 17.7.08, X R 62/04, BStBl II 08, 976; 21.10.08, X R 15/08, BFH/NV 09, 559) oder einen im nationalen Gesetz nicht vorgesehenen Gegenbeweis zuzulassen (BFH 21.10.09, I R 114/08, BStBl II 10, 774; 3.2.10, I R 21/06, BStBl II 10, 692), im Übrigen aber die Regelung in ihrem Bestand zu erhalten.

Relevanz für die Praxis

Für Wegzüge in die Schweiz vor dem 1.1.22 ist bis zu einer tatsächlichen Veräußerung der Anteile eine dauerhafte und zinslose Stundung der Wegzugsteuer zu gewähren. Hat das Finanzamt in einem solchen Fall entgegen dem BMF-Schreiben vom 13.11.19 (IV B 5 S 1325/18/10001 :001, BStBl I 19, 12) die Steuer erhoben, ist die gezahlte Einkommensteuer auf Antrag zu erstatten und nach §§ 233a; 238 AO mit 6 % zu verzinsen (BFH 15.11.22, VII R 29/21 und VII R 17/18). Das Finanzamt kann die Stundung aber von einer Sicherheitsleistung abhängig machen.

Das BFH-Urteil betrifft noch die alte, bis Ende 2021 geltende Rechtslage in § 6 AStG a. F. Seit 1.1.22 gelten neue Spielregeln für die Wegzugsbesteuerung, wobei hinsichtlich der Stundung nicht mehr zwischen dem Wegzug in EU-/EWR-Länder oder in Drittstaaten differenziert wird. Inzwischen gilt nach dem ATAD-Umsetzungsgesetz (25.6.21, BGBl I 21, 2035) einheitlich, dass die Wegzugsteuer bei dauerhaftem Wegzug ratierlich über sieben Jahre zwar unverzinslich, jedoch regelmäßig zu entrichten ist. Durch Art. 5 ATAD-Umsetzungsgesetz wurde § 6 AStG somit erheblich verschärft, und zwar unabhängig vom Wegzugsort („One-fits-all-Lösung“). Unter anderem ist damit die zinslose und unbefristete Stundung bei Wegzug innerhalb des EU-/EWR-Raums weggefallen.

Weiterführende Hinweise
  • Zu den ersten Erfahrungen mit der neuen Wegzugsteuer s. Happe/Boelsen, PIStB 22, 176, 202
  • Zur Hinzurechnungsbesteuerung nach dem ATAD-Umsetzungsgesetz s. Krüger/Brinkmann, PIStB 22, 290, 317

AUSGABE: PIStB 6/2024, S. 154 · ID: 49904875

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