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Verschulden bei VertragsschlussAufklärungspflichten des Immobilienverkäufers
| Mit einer aktuellen Entscheidung verschärft der BGH die Aufklärungspflichten des Immobilienverkäufers. Lesen Sie im Folgenden, was dies für die Praxis bedeutet. |
Sachverhalt
Die Verkäuferin verkaufte mit notariellem Vertrag vom 25.3.19 an die Käuferin mehrere Gewerbeeinheiten in einem großen, nach dem WEG geteilten Gebäudekomplex zu einem Kaufpreis von 1.525.000 EUR. Die Sachmängelhaftung wurde ausgeschlossen. Mit Ausnahme einer Dachsanierung mit einer jährlichen Belastung von 5.600 EUR für die Käuferin, versicherte die Verkäuferin, dass keine Beschlüsse gefasst seien, aus denen sich eine künftig fällige Sonderumlage ergebe. Sie versicherte zudem, dass nach ihrer Kenntnis außergewöhnliche Kosten im laufenden Wirtschaftsjahr nicht angefallen seien und ihr auch nicht bekannt sei, dass solche Kosten bevorstünden oder weitere Sonderumlagen beschlossen worden seien. Unstreitig ist, dass die Käuferin Protokolle der Eigentümerversammlungen der letzten drei Jahre erhalten und zur Kenntnis genommen hat. Während der Kaufvertragsverhandlungen erhielt die Käuferin Zugriff auf einen von der Verkäuferin eingerichteten virtuellen Datenraum, der verschiedene Unterlagen zu dem Kaufobjekt enthielt.
Wenige Tage vor dem Notartermin stellte die Verkäuferin das Ergebnisprotokoll der Eigentümerversammlung vom 1.11.16 in den Datenraum ein. Aufgrund umfangreicher Umbauten am Gemeinschaftseigentum hatten die Eigentümer beschlossen, den damaligen Mehrheitseigentümer auf Zahlung von 50.000.000 EUR in Anspruch zu nehmen. Eine Sonderumlage der Eigentümer der Gewerbeeinheiten unter Freistellung der Wohnungseigentümer wurde abgelehnt. Ein Eigentümer erhob Klage gegen die Gemeinschaft darauf, eine solche Sonderumlage zu erheben. Das Verfahren wurde 2020 einvernehmlich beendet. Der Vergleich sah vor, dass von den Eigentümern der Gewerbeeinheiten eine Sonderumlage für die Sanierungsmaßnahmen von zunächst 750.000 EUR erhoben werde, mit der Möglichkeit, diese bei Bedarf auf bis zu 50.000.000 EUR zu erhöhen. Auf der Grundlage dieses Vergleichs wurde auch die Käuferin in Anspruch genommen. Sie erklärte daraufhin die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung, vorsorglich den Rücktritt vom Kaufvertrag. Die Klage beim LG und Berufungsgericht auf Rückabwicklung des Kaufvertrags und Schadenersatz war erfolglos. Mit der Revision verfolgte sie ihre Ansprüche weiter.
Entscheidungsgründe
. 237605
Die Klägerin stützte ihre Ansprüche auf eine nicht hinreichende Aufklärung der Verkäuferin über eine Sonderumlage. Darin sieht der BGH weder Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung noch aus einem Sach- oder Rechtsmangel (BGH 15.9.23, V ZR 77/22, Abruf-Nr. 237605). Der Käuferin steht vielmehr ein Schadenersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluss gemäß § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 Nr. 1, § 241 Abs. 2 BGB zu.
. 081110
Nach dem BGH haftet der Verkäufer dafür, dass seine Angaben richtig und vollständig sind (12.3.08, VIII ZR 253/05, Abruf-Nr. 081110). Er ist – unabhängig vom Bestehen einer Offenbarungspflicht – verpflichtet, Fragen des Käufers richtig und vollständig zu beantworten (BGH 14.6.19, V ZR 73/18). Zwar besteht bei Vertragsverhandlungen keine allgemeine Rechtspflicht, den anderen Vertragspartner über alle Einzelheiten und Umstände aufzuklären, die dessen Willensentschließung beeinflussen könnten. Jede Vertragspartei ist für ihr rechtsgeschäftliches Handeln selbst verantwortlich und muss sich deshalb die für die eigene Willensentscheidung notwendigen Informationen auf eigene Kosten und eigenes Risiko selbst beschaffen. Jedoch besteht nach Ansicht des BGH auch bei Vertragsverhandlungen, in denen die Parteien entgegengesetzte Interessen verfolgen, für jeden Vertragspartner eine Aufklärungspflicht über Umstände, die den Vertragszweck des anderen vereiteln können und deren Mitteilung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Vertragsanschauung erwartet werden darf (BGH 2.2.96, V ZR 239/94; 11. 8. 10, XII ZR 192/08; 14.9.17, VII ZR 307). Ein solcher Umstand kann vorliegen, wenn er geeignet ist, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen.
Der BGH kommt zu dem Ergebnis, dass nach diesem Maßstab die Verkäuferin die Käuferin – auch ungefragt – darüber aufklären musste, dass bauliche Maßnahmen am Gemeinschaftseigentum im Kostenumfang von bis zu 50.000.000 EUR ausstanden. Dieser Kostenumfang war für die Käuferin zweifelsohne von erheblicher Bedeutung.
Die Aufklärungspflicht ist sinngemäß auf die Fälle anzuwenden, in denen ein Verkäufer dem Käufer Zugriff auf Unterlagen in einem virtuellen Datenraum gewährt. Der alleinige Umstand des Zurverfügungstellens von Daten in einem virtuellen Datenraum lässt nicht automatisch den Schluss zu, dass ein Käufer den offenbarungspflichtigen Umstand auch zur Kenntnis nehmen wird. Zwar geht die Rechtsprechung bislang davon aus, dass die Durchführung einer Due Diligence – wozu der Käufer gesetzlich nicht verpflichtet ist – den Umfang der Aufklärungspflichten des Verkäufers nicht generell, aber im Einzelfall reduzieren könne (BGH 28.11.01, VIII ZR 37/01). Dabei sei aber entscheidend, wie der Datenraum und der Zugriff strukturiert und organisiert sind (z. B. durch Inhaltsverzeichnis oder eine Suchfunktion) und welche Vereinbarungen hierzu getroffen wurden (z. B. welches Zeitfenster für die Überprüfung der Informationen zur Verfügung steht), sowie welcher Art die Information sei, um deren Offenbarung es geht, und die Unterlage, in der sie enthalten ist.
Handelt es sich etwa um einen Umstand, der – für den Verkäufer erkennbar – für den Käufer von ganz erheblicher Bedeutung ist, etwa weil er den Vertragszweck vereiteln oder dem Käufer ganz erheblichen wirtschaftlichen Schaden zufügen kann, und ist der Umstand aus den bereitgestellten Daten nicht ohne Weiteres erkennbar, dem Verkäufer aber bekannt und unschwer zu offenbaren, kann der Käufer regelmäßig einen gesonderten Hinweis auch bei einem virtuellen Datenraum erwarten. Der Verkäufer darf in diesem Fall nicht sehenden Auges abwarten, ob der Käufer die nur schwer erkennbare Information aus den bereitgestellten Daten ermittelt, sondern muss diese trotz Due Diligence kommunizieren.
Der BGH kommt in seinem aktuellen Urteil daher zu dem Ergebnis, dass die Verkäuferin ihre Aufklärungspflicht hinsichtlich des Kostenumfangs der anstehenden baulichen Maßnahmen nicht dadurch erfüllt hat, dass sie das Protokoll der Eigentümerversammlung vom 1.11.16 drei Tage vor dem notariellen Vertragsschluss in den virtuellen Datenraum eingestellt hat, ohne die Klägerin hierüber zu informieren. Die Verkäuferin konnte nicht die berechtigte Erwartung haben, dass die Klägerin die in dem Protokoll enthaltenen Informationen noch vor Vertragsschluss zur Kenntnis nimmt. Die Klägerin hatte ohne gesonderten Hinweis auf das neu eingestellte Dokument keinen Anlass, in dem Zeitfenster zwischen dem Einstellen des Protokolls und dem Notartermin noch einmal Einsicht in den Datenraum zu nehmen.
Beachten Sie | Auch wenn keine Frist für das Einstellen von Dokumenten in den Datenraum vereinbart war, musste die Klägerin am letzten Arbeitstag vor dem Notartermin nicht mehr mit neu eingestellten Dokumenten rechnen.
Relevanz für die Praxis
. 232274
Der BGH beschäftigt sich regelmäßig mit Aufklärungspflichten des Immobilienverkäufers und der damit verbundenen Offenlegung von Informationen und Unterlagen. Das aktuelle Urteil reiht sich in seine bisherigen Urteile ein, bei denen der Verkäufer gegen die vom Käufer behauptete, arglistige Täuschung einwendet, er sei davon ausgegangen, der Käufer sei über den Mangel bereits aufgeklärt worden (BGH 12.11.10, V ZR 181/09; 23.9.22, V ZR 133/21, Abruf-Nr. 232274).
Beachten Sie | Der BGH erweitert seine Rechtsprechung auf den virtuellen Datenraum dahin gehend, dass das bloße Einstellen von offenbarungspflichtigen Informationen in einen virtuellen Datenraum für die Erfüllung von Aufklärungspflichten nicht ausreichend ist.
Der BGH betont in seinem aktuellen Urteil, dass es – wie so oft – stets auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls ankommt. Gleichwohl lässt sich aus dem Urteil eine gewisse Verschärfung der Aufklärungspflichten auf der Verkäuferseite herauslesen. Gerade bei der Nutzung virtueller Datenräume, die anders als bei der Übergabe von Unterlagen auch eine kurzfristige Einstellung von Dokumenten ermöglicht, erwartet der BGH eine gewisse Struktur und Orientierung der zur Verfügung gestellten Unterlagen.
Beachten Sie | Allein durch die Einstellung von Informationen und Unterlagen in einen virtuellen Datenraum ist für den Verkäufer keine sichere Erfüllung von Aufklärungspflichten und damit eine Haftungsfreizeichnung möglich.
Ohne Fairness geht es nicht Praxistipp | Um spätere Streitigkeiten zu vermeiden, sind Verkäufer gut beraten, wenn sie mit dem Käufer vorab Regeln und Fristen für die Nutzung des Datenraums vereinbaren. Der Verkäufer sollte vorsorglich den Käufer auf bestimmte Dokumente hinweisen, insbesondere wenn diese kurzfristig eingestellt werden. Letztendlich geht es um ein faires Verhalten der Vertragsparteien untereinander. |
AUSGABE: MK 3/2024, S. 49 · ID: 49891172