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WohnflächenberechnungDie „Türnische“: keine Banalität
| Die Frage nach der Definition einer „Türnische“ klingt banal, kann aber weitreichende Konsequenzen haben. Dies zeigt eine Räumungsklage, über die der BGH entschieden hat. Dieser lag eine Kündigung wegen Zahlungsverzugs zugrunde. Der Zahlungsrückstand hing davon ab, ob die Miete wegen eines Mangels – hier einer Abweichung der tatsächlichen Wohnfläche von der im Mietvertrag angegebenen um mehr als 10 Prozent – gemindert war. Das wiederum hing letztlich von nur wenigen Quadratzentimetern und der Abgrenzung einer „Türnische“ von einem „Wanddurchbruch“ ab. |
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
Die Beklagte ist seit 2013 Mieterin einer Wohnung des Klägers nebst PKW-Abstellplatz. Die Wohnung besteht aus eineinhalb Zimmern, Küche, Flur, Bad, WC, Keller und Terrasse. Im Mietvertrag ist die Wohnfläche mit „ca. 48 qm“ angegeben. In der Wohnung befinden sich mit einer Fläche von jeweils 0,10 qm zwei nebeneinander liegende Durchgänge vom Wohn- zum Schlafzimmer. Die Beklagte minderte die Miete seit Mai 2014 unter anderem wegen einer vermeintlichen Wohnflächenunterschreitung von mehr als 10 Prozent; sie zahlte bis Mai 2016 insgesamt 1.812 EUR weniger Miete. In einem Vorprozess wurde sie rechtskräftig zur Zahlung dieses Betrags an den Kläger verurteilt. Auch danach zahlte die Beklagte weiterhin die geminderte Miete. Im März 2018 erklärte der Kläger die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsverzugs. In der Folgezeit zahlte die Beklagte den titulierten Betrag an den Kläger. Im Juni 2018 erklärte der Kläger erneut die fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzugs.
. 238044
Das AG hat der Räumungsklage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Das LG wertete die Wanddurchgänge nicht als „Türnischen“ und ließ sie bei der Wohnflächenermittlung außer Betracht. Auf die (zugelassene) Revision der Beklagten hat der BGH das Urteil des LG aufgehoben und die Sache zurückverwiesen (BGH 27.9.23, VIII ZR 117/22, Abruf-Nr. 238044).
Entscheidungsgründe
Der BGH vermochte dem LG in der Berechnung der Wohnfläche nicht zu folgen. Davon aber hing ab, ob die Miete – wie von der Beklagten geltend gemacht – wegen einer Abweichung der tatsächlichen von der vereinbarten Wohnfläche gemäß § 536 Abs. 1 S. 2 BGB gemindert war. Das wiederum war entscheidend für die Beantwortung der Frage, ob der Kläger nach § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 Buchst. b BGB zur Kündigung berechtigt gewesen ist, weil sich die Beklagte im Zeitpunkt der Kündigung mit der Entrichtung der Miete in Höhe von mehr als zwei Monatsmieten in Verzug befunden hat. Nur dann wäre die auf Räumung und Herausgabe gerichtete Klage gemäß § 546 Abs. 1, § 985 BGB begründet.
Beachten Sie | Die Feststellung eines Mangels setzt zunächst die Feststellung voraus, ob und ggf. welche Beschaffenheitsvereinbarung die Parteien im Mietvertrag – hier bezüglich der Wohnfläche – getroffen haben. Nach der BGH-Rechtsprechung ist die in einem Wohnraummietvertrag angegebene Wohnfläche auch bei einer „ca.“-Angabe regelmäßig zugleich als dahingehende vertragliche Festlegung der Soll-Beschaffenheit der Mietsache im Sinne einer Beschaffenheitsvereinbarung anzusehen (st. Rspr.; BGH 17.4.19, VIII ZR 33/18, NJW 19, 2464; 10.3.10, VIII ZR 144/09, NJW 10, 1745; 24.3.04, VIII ZR 133/03, NZM 04, 456; 22.6.21, VIII ZR 26/20, NZM 21, 759).
10-Prozent-
Rechtsprechung Merke | Nach § 536 Abs. 1 S. 2 BGB hat der Mieter bei einem Mangel der Mietsache, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch mindert, für die Zeit der Gebrauchsminderung nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten. Nach S. 3 der Vorschrift bleibt eine unerhebliche Minderung der Tauglichkeit jedoch außer Betracht. Daran knüpft die 10 Prozent-Rechtsprechung des BGH an. Sie besagt, dass erst bei einer Flächenabweichung von mehr als 10 Prozent die Tauglichkeit der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch mehr als nur unerheblich beeinträchtigt ist, sodass eine Mietminderung eintritt bzw. nicht nach § 536 Abs. 1 S. 3 BGB ausgeschlossen ist. Bei Überschreitung dieser Grenze ist die Miete in dem Verhältnis gemindert, in dem die tatsächliche die vereinbarte Wohnfläche unterschreitet (st. Rspr.; BGH 17.4.19, VIII ZR 33/18; 30.5.18, VIII ZR 220/17, NJW 18, 2317; 18.11.15, VIII ZR 266/14; zur Gewerberaummiete: BGH 25.11.20, XII ZR 40/19, NZM 21, 276). |
Der Ausschluss einer Mietminderung im Vorprozess steht einer abweichenden Beurteilung vorliegend nicht entgegen, da Ausführungen zur Mietminderung wegen Flächenabweichung im Urteil zum Zahlungsanspruch als bloße Vorfragen nicht in Rechtskraft erwachsen (BGH 10.4.19, VIII ZR 12/18, WuM 19, 309).
Berechnung der Wohnfläche
Der Berechnung der Wohnfläche legt der BGH in Übereinstimmung mit seiner Rechtsprechung – ebenso wie die Vorinstanz – die Wohnflächenverordnung vom 25.11.03 zugrunde (WoFlV; BGBl. I S. 2346). Der Begriff der „Wohnfläche“ ist im Wohnraummietrecht auch bei frei finanziertem Wohnraum grundsätzlich anhand der für den preisgebundenen Wohnraum geltenden Bestimmungen auszulegen und war hier aufgrund der im Zeitpunkt des Mietvertragsabschlusses geltenden Wohnflächenverordnung zu ermitteln (BGH 17.4.19, VIII ZR 33/18, NJW 19, 2464). Eine Ausnahme von dieser Regel ist möglich, wenn die Parteien dem Begriff der Wohnfläche im Einzelfall eine abweichende Bedeutung beimessen oder ein anderer Berechnungsmodus örtlich üblich oder nach der Art der Wohnung naheliegender ist. Dafür bedarf es aber konkreter Anhaltspunkte.
Abweichend zur Vorinstanz beurteilt der BGH das Vorliegen der Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 3 Abs. 3 Nr. 3 WoFlV im Hinblick auf die Grundflächen der beiden Durchgänge zwischen Wohn- und Schlafzimmer. Nach § 3 Abs. 3 Nr. 3 WoFlV bleiben bei der Ermittlung der nach § 2 WoFlV zur Wohnung gehörenden Grundflächen die Flächen von „Türnischen“ außer Betracht. Eine „Türnische“ im Sinne des § 3 Abs. 3 Nr. 3 WoFlV ist eine Öffnung in einer – die Grundfläche eines Raums im Sinne von § 3 Abs. 1 WoFlV begrenzenden – Wand, die einen Durchgang durch diese ermöglicht. Nach Auffassung des BGH kommt es im Hinblick auf den Regelungszweck des § 3 Abs. 3 WoFlV und die Systematik der Wohnflächenverordnung nicht entscheidend darauf an, ob in die Wandöffnung eine Tür oder ein Türrahmen eingebaut ist. Der Verordnungsgeber habe den Abzug der in § 3 Abs. 3 WoFlV aufgeführten Grundflächen bestimmter Raumteile bei der Wohnflächenberechnung im Hinblick auf deren geminderten Wohnwert vorgesehen. Diese Bewertung treffe – so der BGH – für eine Wandöffnung, die den Zugang zu einem Raum oder den Durchgang zwischen Räumen ermöglicht, unabhängig davon zu, ob sie (zudem) von einem Türrahmen eingefasst ist oder durch eine (vorhandene) Tür verschlossen werden kann. Die Grundfläche einer solchen Wandöffnung weise aufgrund ihrer baulichen Gestaltung grundsätzlich keinen eigenen Wohnwert auf, weil sie für eine Nutzung zu Wohnzwecken im Regelfall nicht oder allenfalls gemindert zur Verfügung stehe.
Berechnung unabhängig von tatsächlicher Nutzung
Von entscheidender Bedeutung sei auch nicht, ob der Mieter die Wandöffnung tatsächlich als Zugangs- oder Durchgangsmöglichkeit nutzt oder ob eine solche Nutzung aus „raumgestalterischer Sicht“ sinnvoll ist. Aus Gründen der Praktikabilität und Rechtssicherheit seien die Voraussetzungen des § 3 Abs. 3 WoFlV abstrakt formuliert und ihr Vorliegen nicht vom (Nutzungs-)Verhalten des individuellen Nutzers der Räumlichkeiten abhängig.
Ob die beiden Durchgänge zwischen dem Wohnzimmer und dem Schlafzimmer der Wohnung der Beklagten nach diesem Begriffsverständnis im Streitfall als „Türnischen“ im Sinne von § 3 Abs. 3 Nr. 3 WoFlV einzuordnen sind, kann der BGH aufgrund der vom LG getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Für den BGH kommt es darauf an, ob die beiden Wandöffnungen in Anbetracht ihrer Ausmaße über die Gestaltung einer Türöffnung wesentlich hinausgehen und deshalb nach herkömmlichem Verständnis – von dem der Verordnungsgeber ausgegangen ist – nicht mehr als Türöffnung anzusehen sind, sondern etwa als größerer Wanddurchbruch. Der Umstand, dass es in der Wand zwischen Wohn- und Schlafzimmer nicht nur eine, sondern zwei gleichförmige Öffnungen im Abstand von nur wenigen Metern nebeneinander gebe, schließe nach Auffassung des BGH die Einordnung der beiden Öffnungen oder auch nur einer der beiden als „Türnischen“ nicht aus.
Beachten Sie | Handelt es sich bei den Durchgängen um „Türnischen“ im Sinne von § 3 Abs. 3 Nr. 3 WoFlV, würde die tatsächliche Wohnfläche nicht 43,38 qm, sondern lediglich 43,18 qm betragen und damit um 10,04 Prozent von der vereinbarten Wohnfläche (48 qm) abweichen. Damit wäre die Erheblichkeitsschwelle (§ 536 Abs. 1 S. 3 BGB) von 10 Prozent überschritten. Eine darüber hinausgehende Maßtoleranz schließt der BGH unter Bezugnahme auf seine Rechtsprechung im Interesse der Praktikabilität und Rechtssicherheit (weiter) aus (BGH 24.3.04, VIII ZR 133/03; 10.3.10, VIII ZR 144/09).
Relevanz für die Praxis
Vordergründig liegt nun eine BGH-Entscheidung zur Definition der „Türnische“ in Abgrenzung zu einem Wanddurchbruch vor. Ihre Bedeutung reicht aber weiter. Sie zeigt zum einen, wie die WoFlV auszulegen ist. Zum anderen führt der VIII. Zivilsenat in seiner veränderten Zusammensetzung in einem Grenzfall uneingeschränkt die bisherige Rechtsprechung zur Minderung bei einer Abweichung der tatsächlichen von der vertraglich vereinbarten Wohnfläche fort. Die Ca.-Angabe im Mietvertrag und die sehr minimale maximal mögliche Abweichung gaben keinen Anlass für ein „Aufweichen“ der strikten 10 Prozent-Regel.
AUSGABE: MK 1/2024, S. 10 · ID: 49812630