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UmsatzsteuerMitwirkungspflichten in Bauträgerfällen durften nicht zu weit gehen

Abo-Inhalt25.11.20248 Min. LesedauerVon Dipl.-Finw. StB Christian Herold, Herten/Westf.

| Die sogenannten Bauträgerfälle beschäftigen die Gerichte schon seit Jahren. Der BFH hat nun erfreulicherweise zugunsten der Bauleistenden und zulasten des Fiskus entschieden, dass die Finanzämter Abtretungsangebote nicht einfach ablehnen durften, wenn die Bauleistenden von den Vordrucken der Finanzverwaltung abgewichen sind (BFH 17.4.24, XI R 16/22, Abruf-Nr. 242730). |

1. Zum Hintergrund

Nach Ergehen des BFH-Urteils vom 22.8.13 (V R 37/10, BStBl II 14, 128) beantragten mehrere Bauträger die Erstattung ihrer zunächst nach § 13b UStG geschuldeten Umsatzsteuer. In der Folge sollten die Bauleistenden ihre Rechnungen an die Bauträger korrigieren und nunmehr Umsatzsteuer ausweisen. Ihre Ansprüche auf Zahlung der Umsatzsteuer durch den Bauträger konnten sie an das Finanzamt abtreten (§ 27 Abs. 19 UStG). Im Anschluss an das BFH-Urteil vom 22.8.13 und der Einführung des § 27 Abs. 19 UStG herrschte bei Bauleistenden jedoch große Verunsicherung. Sie fürchteten, die Umsatzsteuer nunmehr zu schulden, ohne diese vom Bauträger, also dem Leistungsempfänger, nachfordern zu können. Der Abtretung standen zuweilen vertragliche Regelungen mit dem Bauträger entgegen, weil diese die Abtretung von Forderungen ausgeschlossen hatten. Auch konnte oder wollte manch Bauleistender gegenüber dem Finanzamt nicht versichern, dass seine Forderungen nicht streitbefangen waren.

Nun hat der BFH zu der Frage Stellung genommen, unter welchen Umständen ein Finanzamt verpflichtet war, ein Abtretungsangebot anzunehmen. Das Urteil des XI. Senats lautet: Im Rahmen der dem leistenden Unternehmer gemäß § 27 Abs. 19 S. 4 Nr. 4 UStG obliegenden Mitwirkungspflichten hat dieser alles ihm Zumutbare zu tun, um dem Finanzamt die Realisation des abzutretenden Anspruchs gegen den Leistungsempfänger auf Zahlung der gesetzlich geschuldeten Umsatzsteuer zu ermöglichen. Eine Verletzung dieser Mitwirkungspflichten, die der Erfüllungswirkung der Abtretung dieser Ansprüche entgegensteht, liegt nicht vor, wenn das Finanzamt ein Abtretungsangebot des leistenden Unternehmers ermessensfehlerhaft ablehnt.

2. Sachverhalt

Unternehmensgegenstand der Klägerin ist die Herstellung von Estrichen. Sie war in den Jahren 2012 und 2013 für verschiedene Bauträger tätig. Diese meldeten die auf die Umsätze der Klägerin entfallenden Umsatzsteuerbeträge als Leistungsempfänger gemäß § 13b UStG an und führten die Umsatzsteuer ab. Nach Ergehen des BFH-Urteils vom 22.8.13 beantragten mehrere Bauträger die Erstattung ihrer zunächst nach § 13b UStG geschuldeten Umsatzsteuer.

Das Finanzamt teilte der Klägerin im November 2014 mit, dass zwei Bauträger die Erstattung der für Leistungen der Klägerin nach § 13b UStG einbehaltenen und abgeführten Umsatzsteuern für 2012 und 2013 beantragt hätten. Das Finanzamt forderte die Klägerin zugleich auf, berichtigte Steuererklärungen für die Jahre 2012 und 2013 einzureichen, und wies unter anderem darauf hin, dass sie berichtigte Rechnungen (mit Steuerausweis) erstellen und den sich gegen den jeweiligen Leistungsempfänger zusätzlich ergebenden Zahlungsanspruch abtreten könne. Die Klägerin berief sich auf Vertrauensschutz gemäß § 176 AO und brachte gegenüber dem Finanzamt ferner vor, § 27 Abs. 19 UStG sei möglicherweise nicht verfassungskonform. Zugleich erklärte sie ihre Bereitschaft, nach einer einvernehmlichen Lösung zu suchen.

In der Folge kam es zu einem verfahrensrechtlichen „Hin und Her“. Die Klägerin zeigte sich mehrfach gesprächsbereit und kündige auch an, die Abtretungserklärungen abzugeben. Sie beharrte aber darauf, dass sie eine Klausel, wonach die Umsatzsteuerbeträge nicht streitbefangen seien, nicht unterschreiben könne. Im Mai 2016 übersandte die Klägerin dem Finanzamt einen Abtretungsvertrag; nach wie vor fehlte jedoch der Hinweis, dass die Forderungen nicht streitbefangen seien. Das Finanzamt wiederum teilte mit, dass es nur Abtretungsverträge anerkennen könne, die seinem Muster – mit dem Hinweise auf die fehlende Streitbefangenheit – entsprächen. Im Übrigen sei eine Abtretung mit Wirkung an Zahlungs statt nicht mehr möglich, weil die Klägerin ihre Mitwirkungspflichten verletzt habe.

Die Klägerin änderte am 19.12.17 die Rechnungen gegenüber den Bauträgern und reichte am 21.12.17 die erforderlichen Unterlagen sowie Abtretungen beim Finanzamt ein. Das Finanzamt nahm die Abtretungen am 22.12.17 an, verweigerte aber die Anerkennung an Zahlungs statt. Am 11.1.18 erließ das Finanzamt Abrechnungsbescheide zur Umsatzsteuer für 2012 und 2013, gegen die die Klägerin Einspruch einlegte. Mit ihrer Klage machte sie u. a. geltend, dass durch die Abtretung ihrer Forderungen die Ansprüche aus den entsprechenden Umsatzsteuerfestsetzungen jeweils zum Fälligkeitstag getilgt worden seien.

Die Vorinstanz hat die Klage abgewiesen. Aufgrund der Verzögerung des Abschlusses der Abtretungsvereinbarung durch die Klägerin sei von einer Verletzung der Mitwirkungspflichten auszugehen, die dem Eintritt der Erfüllungswirkung entgegenstehe. Der BFH hingegen hat der Revision entsprochen. Die Wirkung der Abtretung an Zahlungs statt sei nicht wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten ausgeschlossen.

3. Die wesentlichen Aussagen des BFH

Über Streitigkeiten, die die Verwirklichung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO) betreffen, entscheidet die Finanzbehörde nach § 218 Abs. 2 S. 1 AO durch Abrechnungsbescheid. Dies gilt nach § 218 Abs. 2 S. 2 AO auch, wenn die Streitigkeit einen Erstattungsanspruch (§ 37 Abs. 2 AO) betrifft. Ein Abrechnungsbescheid ergeht u. a. dann, wenn die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) und ihr Erlöschen (§ 47 AO) streitig sind.

Merke | Nach § 27 Abs. 19 S. 4 UStG wirkt eine Abtretung an Zahlungs statt, wenn der leistende Unternehmer dem Leistungsempfänger eine erstmalige oder geänderte Rechnung mit offen ausgewiesener Umsatzsteuer ausstellt, die Abtretung an das Finanzamt wirksam bleibt, der Leistende dem Leistungsempfänger diese Abtretung unverzüglich mit dem Hinweis anzeigt, dass eine Zahlung an den leistenden Unternehmer keine schuldbefreiende Wirkung mehr hat und der Leistende seiner Mitwirkungspflicht nachkommt. Die Wirkung der Abtretung an Zahlungs statt ist auch nicht wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten i. S. v. § 27 Abs. 19 S. 4 Nr. 4 UStG ausgeschlossen.

Die in § 27 Abs. 19 S. 4 Nr. 4 UStG bezeichneten Mitwirkungspflichten beziehen sich auf § 27 Abs. 19 S. 3 UStG, in dessen Rahmen der leistende Unternehmer alles ihm Zumutbare zu tun hat, um dem Finanzamt die Realisation des abgetretenen zivilrechtlichen Anspruchs zu ermöglichen. Der leistende Unternehmer muss ihnen nachgekommen sein, damit die Abtretung seiner Forderung auf Umsatzsteuernachzahlung Erfüllungswirkung entfalten kann. Dem Fiskus soll die Möglichkeit gegeben werden, die nachträgliche Steuererstattung an den Leistungsempfänger zu kompensieren, indem die Finanzbehörde der Steuererstattung in gleicher Höhe einen Gegenanspruch entgegenhalten kann. Es soll mithin die Situation herbeigeführt werden, die bestanden hätte, wenn alle Beteiligten von Anfang an von der zutreffenden materiellen Rechtslage ausgegangen wären. Der leistende Unternehmer hat dem Finanzamt daher die Informationen und vertraglichen Unterlagen – insbesondere die Höhe des möglichen Umsatzsteuer-Nachforderungsanspruchs betreffend – bereitzustellen, damit es die Umsatzsteuer vom Bauträger nachfordern kann.

Für den Fall, dass ein ordnungsgemäßes Abtretungsangebot vorliegt, ist das Ermessen des Finanzamts, ob es die Abtretung nach § 27 Abs. 19 S. 3 UStG annimmt, auf null reduziert, sodass der leistende Unternehmer für die in § 27 Abs. 19 S. 3 UStG umschriebene Fallgestaltung (Annahme einer Steuerschuld des Leistungsempfängers im Vertrauen auf eine Verwaltungsanweisung und Mitwirkung des leistenden Unternehmers bei der Durchsetzung des abgetretenen Anspruchs) Anspruch auf Annahme seines Abtretungsangebots hat.

Beachten Sie | Das Abtretungsangebot ist auch dann ordnungsgemäß, wenn zu diesem Zeitpunkt noch keine geänderten Rechnungen mit Steuerausweis gegenüber den Bauträgern erteilt worden sind, weil die Rechnungserteilung mit Steuerausweis nicht Voraussetzung für die Abtretung nach § 27 Abs. 19 S. 3 UStG ist, sondern nur Bedingung für die besondere Erfüllungswirkung nach § 27 Abs. 19 S. 4 Nr. 1 UStG.

Die Annahme der Abtretung darf auch nicht mit der Begründung abgelehnt werden, dass der Leistende nicht versichert hat, dass die gegenüber den Bauträgern bestehenden Ansprüche auf Zahlung der gesetzlichen Umsatzsteuer nicht streitbefangen waren. Da der einfachgesetzliche Ausschluss des abgabenrechtlichen Vertrauensschutzes nach § 27 Abs. 19 S. 2 UStG nur dann mit den unionsrechtlichen Vorgaben im Einklang steht, wenn dem leistenden Unternehmer hieraus keine Nachteile entstehen, ist das Realisationsrisiko letztlich dem Fiskus zuzuweisen. Es darf nicht zulasten des leistenden Unternehmers gehen, wenn die Realisation scheitert, weil keine wirksame Aufrechnung vorgenommen werden kann und eine Durchsetzung der Forderung auf anderem Wege scheitert. Steht dem leistenden Unternehmer kein abtretbarer Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger zu, darf das Finanzamt die Steuerfestsetzung nicht nach § 27 Abs. 19 S. 1 UStG ändern. Daher reduziert sich das dem Finanzamt nach § 27 Abs. 19 S. 3 UStG eingeräumte Ermessen auf null.

§ 215 BGB lässt die Aufrechnung auch mit verjährten Ansprüchen zu, wenn die Aufrechnungslage in noch unverjährter Zeit bestanden hat. Wenn sich die Finanzverwaltung durch Auszahlung der Guthaben an den Bauträger (Leistungsempfänger) des möglichen Schutzes des § 215 BGB freiwillig selbst begeben hat, kann dies nicht zulasten des Leistenden gehen.

Einem Bauleistenden muss zugestanden werden, dass er die anfangs vielfach rechtlich in Zweifel gezogene Norm des § 27 Abs. 19 UStG bis zur Klärung ihrer Verfassungs- und Unionsrechtmäßigkeit durch das BFH-Urteil vom 23.2.17 (V R 16/16, V R 24/16, 177, BStBl II 17, 760) zunächst kritisch hinterfragt hat. Hierin kann keine Verletzung der Mitwirkungspflichten i. S. d. § 27 Abs. 19 S. 4 Nr. 4 UStG gesehen werden. Es konnte von einem Bauleistenden nicht erwartet werden, dass er unmittelbar nach Kenntniserlangung über die Erstattungsanträge des Bauträgers deren Rechtsfolgen erkannte, geänderte Rechnungen ausstellte und die Abtretung erklärte.

4. Relevanz für die Praxis

Das Besprechungsurteil verdeutlicht, dass die Finanzämter Abtretungen auch dann akzeptieren mussten, wenn der Bauleistende diese ohne die Versicherung abgegeben hat, dass seine Forderungen nicht streitbefangen waren. Praktische Bedeutung kommt der Entscheidung insbesondere zu, wenn das Abtretungsangebot vom Finanzamt seinerzeit rechtswidrig bzw. ermessensfehlerhaft abgelehnt wurde und sich nun herausstellt, dass der Bauträger insolvent ist bzw. dass das Finanzamt seine Forderung nicht mehr realisieren kann.

Von der Akzeptanz der Abtretung zu unterscheiden ist die Frage, ob das Finanzamt in ähnlich gelagerten Fällen die Steuerbescheide gegenüber dem Bauleistenden ändern durfte. Diesbezüglich hat der V. Senat des BFH geurteilt: Eine Umsatzsteuerfestsetzung kann nach § 27 Abs. 19 S. 1 UStG gegenüber dem leistenden Unternehmer (nur dann) geändert werden, wenn ihm ein abtretbarer Anspruch auf Zahlung der gesetzlich entstandenen Umsatzsteuer gegen den Leistungsempfänger zusteht. Im Gegensatz zum Erfordernis eines abtretbaren Nachforderungsanspruchs kommt es für die Änderungsbefugnis nach § 27 Abs. 19 S. 1 UStG nicht darauf an, dass auch die Voraussetzungen des § 27 Abs. 19 S. 3 UStG vorliegen. Für die Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheides ist es nicht von Bedeutung, wie weit die auf die Abtretung bezogenen Mitwirkungspflichten des leistenden Bauunternehmers reichen (BFH 31.1.24, V R 24/21, BFH/NV 24, 742 Nr. 6). Das bedeutet, dass die Änderungsbefugnis unabhängig von der Abtretung zu beurteilen ist. In der materiell-rechtlichen Frage kann bzw. muss ein Änderungsbescheid in der erhebungsrechtlichen Frage ggf. ein Abrechnungsbescheid ergehen. Die Ablehnung eines Angebots zur Abtretung ist dann in dem gesonderten Verfahren über die Rechtmäßigkeit des Abrechnungsbescheids anzufechten.

AUSGABE: GStB 12/2024, S. 430 · ID: 50107025

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