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ExistenzminimumGrundfreibetrag: Mustereinspruch wegen möglicher Verfassungswidrigkeit erwägenswert

Abo-Inhalt25.11.20244 Min. LesedauerVon Dipl.-Finw. StB Christian Herold, Herten/Westf.

| Das FG Schleswig-Holstein (28.6.24, 1 K 37/23, Rev. BFH III R 26/24) hat entschieden, dass die Höhe des Grundfreibetrags sowohl für 2023 als auch für 2024 nicht zu beanstanden ist, doch es wurde die Revision zugelassen, die nunmehr beim BFH anhängig ist. Die obersten Steuerrichter werden klären müssen, ob der jeweilige Grundfreibetrag angehoben werden muss, weil der Gesetzgeber den betragsmäßigen Wert für das Existenzminimum im Sozialrecht – möglicherweise – höher angesetzt hat als im Steuerrecht. Daher sollte ab sofort gegen jeden Steuerbescheid für das Jahr 2023 und gegebenenfalls gegen Vorauszahlungsbescheide für 2024 Einspruch eingelegt werden. |

Zum Hintergrund

Der Gesetzgeber ist gehalten, das steuerliche Existenzminimum jedes Bürgers steuerlich unangetastet zu lassen. Dementsprechend bleibt das Einkommen bis zur Höhe des Grundfreibetrags steuerfrei (§ 32a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EStG). Doch wie hoch muss der Grundfreibetrag eigentlich sein? Das BVerfG hat diesbezüglich entschieden: Das für die Sozialhilfe definierte Existenzminimum bildet die Grenze für das einkommensteuerliche Existenzminimum, die über-, aber nicht unterschritten werden darf (BVerfG 10.11.98, 2 BvL 42/93). Letztlich bedeutet dies, dass der Gesetzgeber zunächst im Sozialrecht die Höhe des Existenzminimums bestimmen muss und an diesen Wert auch für das Steuerrecht gebunden ist. Im Jahr 2023 betrug der Grundfreibetrag 10.908 EUR, in 2024 betrug er zunächst 11.604 EUR, allerdings ist soeben eine rückwirkende Erhöhung auf 11.784 EUR erfolgt. Bei Verheirateten gelten bekanntlich die doppelten Beträge.

Sachverhalt

Die Kläger beantragten im Streitfall, die ESt-Vorauszahlungen für 2023 neu festzusetzen. Zwar sei der Gewinn zutreffend zugrunde gelegt worden; es sei jedoch lediglich ein Grundfreibetrag für Verheiratete von 21.816 EUR berücksichtigt worden. Ausweislich eines Berichts in der Berliner Morgenpost betrügen die Leistungen nach dem Bürgergeld 14.280 EUR. Dieser Betrag sei höher als der steuerliche Grundfreibetrag, was einen Verstoß gegen den vom BVerfG aufgestellten Grundsatz darstelle, wonach das steuerliche Existenzminimum für alle Steuerpflichtigen von der Einkommensteuer freizustellen sei. Einspruch und Klage wurden abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Trotz verfassungsrechtlicher Bedenken ist das FG nicht von der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift des § 32a Abs. 1 S. 2 EStG überzeugt. Das Gericht hat sein Urteil umfassend begründet und sich dabei tief ins Sozialrecht begeben. Die Richter geben durchaus zu verstehen, dass gegen den Gleichklang zwischen Sozial- und Steuerrecht in beiden Jahren verstoßen wurde. Im Jahr 2023 sei dies u. a. der Fall gewesen, weil die Kostenübernahme für die Unterkunft im Rahmen des Sozialrechts in weiten Teilen über den im Rahmen des Grundfreibetrags berücksichtigten Kosten gelegen haben dürfte. Und im Jahr 2024 würden die Ergebnisse des 14. Existenzminimumberichts zum Regelbedarfsniveau im Sozial- und im Steuerrecht in unterschiedlicher Weise berücksichtigt.

Gleichwohl konnten sich die Richter nicht dazu durchringen, den Fall dem BVerfG vorzulegen. Für das Jahr 2023 sehen die Richter in der hohen Kostenübernahme für das Wohnen eine sozialrechtliche Sondersituation, auf die im Steuerrecht – aufgrund der Typisierung – nicht reagiert werden musste. Für 2024 sei die Abweichung zwischen Sozial- und Steuerrecht nur gering (15 EUR/Monat). Für die Ermittlung des Grundfreibetrags bestehe ein Spielraum, den der Gesetzgeber ausschöpfen kann und der Gesamtwert bleibe trotz dieser Differenz noch in dem Bereich des Rahmens, der dem Gesetzgeber vom Verfassungsgericht eingeräumt wurde, der sich also „annäherungsweise“ am sozialrechtlichen Maßstab orientiert und der auch insgesamt den im Existenzminimumbericht aufgezeigten Maßgaben entspricht.

Relevanz für die Praxis

Ab sofort sollte gegen jeden Steuerbescheid für das Jahr 2023 und gegebenenfalls gegen Vorauszahlungsbescheide für das Jahr 2024 Einspruch eingelegt werden. Es besteht aufgrund des Verfahrens vor dem BFH ein Anspruch auf Ruhen des eigenen Einspruchsverfahrens (§ 363 Abs. 2 AO). Anträge auf Aussetzung der Vollziehung bzw. für das Jahr 2024 auf Herabsetzung der Vorauszahlungen werden allerdings aller Voraussicht nach abgelehnt.

Mustereinspruch / 

Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit lege ich gegen den Einkommensteuerbescheid 2023 vom … (ggf: sowie gegen den Bescheid über die Einkommensteuer-Vorauszahlungen vom …) Einspruch ein. (Ggf: Der Einspruch bezieht sich auch auf die Festsetzung der Kirchensteuer und des Solidaritätszuschlags.)
Begründung: Das BVerfG hat entschieden, dass das sozialhilferechtlich definierte Existenzminimum die Grenze für das einkommensteuerliche Existenzminimum bildet, die über-, aber nicht unterschritten werden darf (BVerfG 10.11.98, 2 BvL 42/93). Letztlich bedeutet dies, dass der Gesetzgeber zunächst im Sozialrecht die Höhe des Existenzminimums bestimmen muss und an diesen Wert auch für das Steuerrecht gebunden ist. Im Jahre 2023 betrug der Grundfreibetrag 10.908 EUR. In 2024 beträgt der Grundfreibetrag 11.784 EUR.
Im Sozialrecht galten für das Jahr 2023 allerdings in Bezug auf das Existenzminimum Werte, die deutlich über dem Grundfreibetrag lagen. Und auch im Jahr 2024 liegt das sozialrechtlich festgestellte Existenzminimum über der Höhe des Grundfreibetrages. Ich beantrage daher den Ansatz deutlich höherer Grundfreibeträge. Für das Jahr 2023 ist von einem Wert von mindestens 14.280 EUR auszugehen. Das FG Schleswig-Holstein hat zwar entschieden, dass die Höhe des Grundfreibetrags sowohl für 2023 als auch für 2024 nicht zu beanstanden ist (28.6.24, 1 K 37/23), doch es wurde die Revision zugelassen, die beim BFH unter dem Az. III R 26/24 anhängig ist.
Ich beantrage ein Ruhen des Verfahrens bis zu einer BFH-Entscheidung im genannten Verfahren (§ 363 Abs. 2 AO).

Beachten Sie | Mit BMF-Schreiben vom 25.11.24 (IV D 1 -S 0338/19/10006 :001) wurde im Übrigen verfügt, dass Steuerbescheide ab dem VZ 2023 ab sofort hinsichtlich der Höhe des Grundfreibetrags vorläufig ergehen. Und bitte berücksichtigen Sie, dass es sich bei dem Muster nur um einen Vorschlag handelt, der individuelle Besonderheiten nicht berücksichtigen und eine Beratung im Einzelfall nicht ersetzen kann.

AUSGABE: GStB 12/2024, S. 425 · ID: 50232250

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