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UmsatzsteuerSorgfältiger Arbeitgeber haftet nicht für den Umsatzsteuerbetrug seines Arbeitnehmers
| Der Arbeitnehmer, der die Daten seines Arbeitgebers verwendet, um falsche Rechnungen auszustellen, schuldet den darin ausgewiesenen Steuerbetrag. Der Arbeitgeber selbst haftet nicht. Dies gilt jedoch nur, wenn der mehrwertsteuerpflichtige Arbeitgeber die zumutbare Sorgfalt an den Tag gelegt hat, um das Handeln seines Arbeitnehmers zu überwachen – so der EuGH in einem aktuellen Urteil vom 30.1.24 (C-442/22). Dieses ist zwar zu einem polnischen Ausgangsverfahren ergangen, hat aber für Fälle in Deutschland aufgrund der Vorschrift des § 14c Abs. 2 UStG gleichermaßen Bedeutung. |
Sachverhalt
In der Zeit von Januar 2010 bis April 2014 stellte die Arbeitnehmerin einer in Polen niedergelassenen Gesellschaft, die eine Tankstelle betreibt, 1.679 Rechnungen über einen (in polnischen Złoty ausgedrückten) Gesamtwert von etwa 320.000 EUR aus, die keine tatsächlichen Warenverkäufe widerspiegelten. Zu diesem Zweck verwendete sie die Daten ihres mehrwertsteuerpflichtigen Arbeitgebers ohne dessen Wissen und Zustimmung. Die betrügerischen Rechnungen wurden in den Steuererklärungen der Gesellschaft nicht verbucht. Sie wurden von den Rechnungsempfängern dafür verwendet, um unberechtigterweise eine Mehrwertsteuererstattung zu erlangen, ohne dass die entsprechende Steuer an die Staatskasse abgeführt wurde.
Im Anschluss an eine Steuerprüfung setzten die zuständigen Behörden die geschuldeten Mehrwertsteuerbeträge gegenüber der Gesellschaft fest. Denn nach Ansicht der Finanzverwaltung war das betrügerische Handeln überhaupt erst möglich geworden, weil es an einer angemessenen Aufsicht und Organisation innerhalb der Gesellschaft fehlte, die die Arbeitnehmerin eingestellt hatte. Die Gesellschaft hat diesen Bescheid vor dem nationalen Gericht angefochten. Dieses hat den Fall dem EuGH vorgelegt. Es wollte wissen, wer die Person ist, die im Sinne der Mehrwertsteuerrichtlinie die Mehrwertsteuer in der Rechnung ausweist und daher zu deren Entrichtung verpflichtet ist: die Gesellschaft, deren Daten unrechtmäßig in der Rechnung verwendet wurden oder die Arbeitnehmerin, die sich dieser Daten bediente, um falsche Rechnungen auszustellen?
Entscheidungsgründe
Nach Art. 203 MwStSystRL schuldet jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung ausweist, die in dieser Rechnung ausgewiesene Steuer. Schuldner ist grundsätzlich der Aussteller dieser Rechnung, auch wenn jeder tatsächliche steuerpflichtige Umsatz fehlt. Art. 203 MwStSystRL soll nämlich der Gefährdung des Steueraufkommens entgegenwirken, die sich aus dem Recht auf Vorsteuerabzug ergeben könnte. Er kommt folglich zur Anwendung, wenn die Mehrwertsteuer zu Unrecht in Rechnung gestellt wurde und eine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt, weil der Adressat der in Rede stehenden Rechnung sein Recht auf Vorsteuerabzug geltend machen kann. So schuldet der Aussteller einer Rechnung diesen Betrag unabhängig von einem Verschulden, wenn eine Gefährdung des Steueraufkommens vorliegt. Ist dagegen eine solche Gefährdung ausgeschlossen, findet Art. 203 MwStSystRL keine Anwendung.
Scheinbarer Aussteller, dessen Daten unbefugt genutzt werden ... |
Ziel der MwStSystRL ist auch die Bekämpfung von Steuerhinterziehungen und etwaigen Missbräuchen. Es liefe diesem Ziel zuwider, Art. 203 MwStSystRL dahin auszulegen, dass der scheinbare Aussteller einer falschen Rechnung als Person gilt, die die Mehrwertsteuer schuldet, wenn er gutgläubig ist und die Finanzverwaltung die Identität der Person, die die falsche Rechnung tatsächlich ausgestellt hat, kennt. In einem solchen Fall ist daher ebendiese Person als die „Person, die die Mehrwertsteuer ausweist“, i. S. v. Art. 203 MwStSystRL anzusehen.
Um als gutgläubig angesehen zu werden, muss der Arbeitgeber die zumutbare Sorgfalt an den Tag legen, um das Handeln seines Arbeitnehmers zu überwachen und dadurch zu verhindern, dass seine Daten für die Ausstellung falscher Rechnungen verwendet werden. Wird eine solche Sorgfalt nicht nachgewiesen, ist der Arbeitgeber als die Person anzusehen, die zur Zahlung der in den betrügerischen Rechnungen ausgewiesenen Mehrwertsteuer verpflichtet ist. Es ist Sache der Finanzverwaltung oder des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände zu beurteilen, ob der Arbeitgeber eine solche Sorgfalt an den Tag gelegt hat.
Relevanz für die Praxis
In seiner Vorlageentscheidung hat das vorlegende Gericht bereits darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber nicht die erforderliche Sorgfalt an den Tag gelegt habe, um die Ausstellung betrügerischer Rechnungen zu verhindern. Die betreffende Arbeitnehmerin sei nämlich für die Erteilung von Rechnungen zuständig gewesen und habe u. a. die Befugnis gehabt, außerhalb des computergestützten Rechnungsstellungssystems Mehrwertsteuerrechnungen auszustellen, ohne dass es einer zusätzlichen Zustimmung ihres Arbeitgebers bedurft hätte. Die Finanzverwaltung sei daher davon ausgegangen, dass der Arbeitgeber seine Aufsichtspflicht verletzt habe und dass seine Fahrlässigkeit ihn daran gehindert habe, betrügerische Praktiken seiner Arbeitnehmerin aufzudecken und zu verhindern. Im Besprechungsfall selbst steht daher aus Sicht des Klägers zu befürchten, dass er die Steuer auch nach dem EuGH-Urteil schulden wird.
In ähnlich gelagerten Fällen müssen Unternehmer daher einerseits Maßnahmen ergreifen, die einen Umsatzsteuerbetrug ihrer Arbeitnehmer zumindest erschweren. Andererseits sollten Sie „im Fall der Fälle“ nachweisen können, dass sie ihren Sorgfaltspflichten nachgekommen sind.
Den Rechnungsempfängern wird unabhängig davon, dass der Arbeitgeber die Steuer möglicherweise schuldet, der Vorsteuerabzug versagt werden, es sei denn, diese können darlegen, dass sie nicht bösgläubig gehandelt haben. Der jeweilige Rechnungsempfänger muss dazu alle Maßnahmen ergriffen haben, die vernünftigerweise von ihm verlangt werden können, um sich von der Richtigkeit der Angaben in der Rechnung zu überzeugen und seine Beteiligung an einem Betrug auszuschließen. Wenn jedoch, wie offenbar im Besprechungsfall, keine tatsächlichen Warenverkäufe erfolgten, dürfte es kaum möglich sein, die Gutgläubigkeit nachzuweisen. Selbst wenn „echte“ Warenverkäufe erfolgt sein sollten, jedoch erheblich unter dem üblichen Verkaufspreis, hätte man dem Rechnungsempfänger wohl zumuten können, sich von der Identität des Leistenden bzw. des Rechnungsausstellers zu überzeugen (vgl. z. B. BFH 14.2.19, V R 47/16; FG Hessen 7.2.22, 1 V 1585/21).
AUSGABE: GStB 7/2024, S. 243 · ID: 49899901