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EEErbrecht effektiv

VerschollenheitsgesetzVerfahren und erbrechtliche Folgen nach den Regelungen des Verschollenheitsgesetzes

Abo-Inhalt03.01.20251247 Min. LesedauerVon RA Uwe Gottwald, VorsRiLG a. D., Vallendar

| Laut Bundeskriminalamt werden täglich zwischen 200 und 300 Personen als vermisst gemeldet. Gleichwohl sich über 80 % der Fälle bereits im ersten Monat erledigen, bleiben in ca. 3 % der Fälle die Personen länger als ein Jahr vermisst. Auch aktuelle Gerichtsentscheidungen zeigen die Relevanz der Thematik vor dem Hintergrund des Verschollenheitsgesetzes (VerschG) und damit verbundener erbrechtlicher Wirkungen oder Vermutungen, zum Teil auch für „normale“ Erbscheinverfahren. |

1. Begriff der Verschollenheit

Der Begriff der Verschollenheit ist in § 1 VerschG legal definiert. Danach ist verschollen, wessen Aufenthalt während längerer Zeit unbekannt ist, ohne dass Nachrichten darüber vorliegen, ob er in dieser Zeit noch gelebt hat oder gestorben ist, sofern nach den Umständen hierdurch ernstliche Zweifel an seinem Fortleben begründet werden (§ 1 Abs. 1 VerschG). Nicht verschollen ist, wessen Tod nach den Umständen nicht zweifelhaft ist (§ 1 Abs. 2 VerschG).

Im Einzelnen setzt die Verschollenheit einer Person voraus (vgl. Staudinger/Fritzsche, 2018, § 1 VerschG, Rn. 3 bis 7.1):

  • Der Aufenthalt des Verschollenen muss unbekannt sein;
  • Nachrichten darüber, ob der Verschollene noch lebt oder gestorben ist, dürfen nicht vorhanden sein;
  • der Zustand der Ungewissheit über den Aufenthaltsort (Fehlen von Nachrichten) muss bereits seit längerer Zeit bestehen und
  • diese Umstände müssen einen ernsten Zweifel daran begründen, ob der Verschollene noch lebt; dabei sind jedoch alle Einzelumstände des jeweiligen Falles zu berücksichtigen.

Gemäß § 2 VerschG kann ein Verschollener unter den Voraussetzungen der §§ 3 bis 7 VerschG im Aufgebotsverfahren für tot erklärt werden. Diese Bestimmung besagt zunächst, dass die Tatsache der Verschollenheit noch keine unmittelbaren Rechtswirkungen für die betroffenen Rechtsverhältnisse hat und diese erst dann eintreten, wenn eine gerichtliche Entscheidung vorliegt, welche den Verschollenen für tot erklärt. Aber auch die Verschollenheit allein genügt nicht, die Möglichkeit der Todeserklärung zu eröffnen, sondern es müssen (alternativ) die weiteren Voraussetzungen der §§ 3 bis 7 VerschG vorliegen, um einen verschollenen Betroffenen für tot zu erklären.

2. Besondere Tatbestandsmerkmale

§§ 3 bis 7 VerschG enthalten besondere Tatbestandsmerkmale, die über die des allgemeinen Verschollenheitsbegriffs hinausgehen, und besondere Fristen:

Übersicht / Besondere Tatbestände nach dem VerschG

  • § 3 VerschG: Mögliche Todeserklärung mit Ablauf absoluter Fristen nach den letzten vorhandenen Nachrichten, dass der Verschollene noch gelebt hat.
  • § 4 VerschG: Verschollen als Angehöriger einer bewaffneten Macht aufgrund Teilnahme an einem Krieg oder einem kriegsähnlichen Unternehmen.
  • § 5 VerschG: Verschollen bei einer Fahrt auf See, insbesondere infolge Untergangs des Schiffes.
  • § 6 VerschG: Verschollen auf einem Flug, insbesondere infolge Zerstörung des Luftfahrzeuges.
  • § 7 VerschG: Verschollen unter anderen als den in §§ 4 bis 6 VerschG bezeichneten Umständen, nachdem der Betroffene in eine Lebensgefahr gekommen ist.

3. Verfahren zur Todeserklärung

Das Verfahren zur Todeserklärung ist eine Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 13 Abs. 1 VerschG). Das Aufgebotsverfahren nach den §§ 2, 13 ff. VerschG stellt sich als eine „sonstige Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit“ i. S. d. § 23a Abs. 2 Nr. 11 GVG dar, weshalb die über das Aufgebotsverfahren nach den §§ 433 ff. FamFG geltenden Bestimmungen nicht anwendbar sind. Erforderlich ist stets ein Antrag. Im anhängigen Verfahren gilt der Grundsatz der Amtsermittlung gem. § 26 FamFG.

Sachlich zuständig sind die AG, § 14 VerschG. Der Rechtspfleger ist nach § 3 Nr. 1g RPflG funktionell zuständig. Nach § 15 Abs. 1 VerschG ist das Gericht des letzten inländischen Wohnsitzes bzw. Aufenthaltsort des Verschollenen örtlich zuständig. Für Schiffshavarien gilt die Sonderregelung über die örtliche Zuständigkeit in § 15 Abs. 2 VerschG. Danach ist bei Schiffen, die unter der deutschen Flagge fahren, das Gericht des Heimathafens zuständig. Bei größeren Schiffsunglücken kann der Bundesminister der Justiz ein bestimmtes Gericht für ausschließlich zuständig bestimmen, § 15d VerschG.

Antragsberechtigt (§ 16 Abs. 2 VerschG) sind der Staatsanwalt; der gesetzliche Vertreter des Verschollenen; der Ehegatte, der Lebenspartner, die Abkömmlinge und die Eltern des Verschollenen sowie jeder andere, der ein rechtliches Interesse an der Todeserklärung hat. Der Inhaber der elterlichen Sorge, Vormund oder Pfleger kann den Antrag nur mit Genehmigung des Familiengerichts, der Betreuer nur mit Genehmigung des Betreuungsgerichts stellen (§ 16 Abs. 3 VerschG).

Vor der Einleitung des Verfahrens hat der Antragsteller die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen glaubhaft (vgl. § 294 ZPO) zu machen, § 18 VerschG. Die Darlegungs- und Glaubhaftmachungspflicht bezieht sich lediglich auf diejenigen Tatsachen, die die Annahme der Verschollenheit allgemein (§ 1 Abs. 1 VerschG) und das Vorliegen der Verschollenheit im Besonderen (§§ 3 bis 7 VerschG) rechtfertigen (OLG Schleswig FamRZ 15, 691). Bei fehlender Glaubhaftmachung kann das Gericht den Antrag als unzulässig zurückweisen. Sieht es die Glaubhaftmachungspflicht als erfüllt an, hat es von Amts wegen alle sachdienlichen und notwendigen Ermittlungen anzustellen (§ 26 FamFG). Als Ermittlungsmaßnahme gesetzlich vorgeschrieben ist das öffentliche Aufgebot, § 20 VerschG.

Nach dem OLG Karlsruhe (1.12.23, 14 W 86/23 [Wx], Abruf-Nr. 241606) reicht es für die Glaubhaftmachung einer Lebensgefahr bei einer sog. Gefahrverschollenheit im Sinne von § 7 VerschG aus, dass mehr für die behaupteten Tatsachen spricht als dagegen. In diesem Fall wurde vor dem zuständigen AG ein Antrag gestellt, eine Person für tot zu erklären. Diese Person habe sich in der Schweiz zu einer Bergwanderung aufgemacht. Nachdem sie sich nicht mehr gemeldet habe, habe eine intensive Suche der Schweizer Polizei stattgefunden. Diese sei zu dem Schluss gekommen, dass der Betroffene mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit 200 Meter tief in einen Bergschrund gestürzt und zu Tode gekommen sei.

§ 7 VerschG setzt voraus, so das OLG Karlsruhe, dass der Betroffene – außerhalb der Tatbestände der §§ 4 bis 6 VerschG – in eine Lebensgefahr geraten ist; darunter sei jeder Zustand und jedes Ereignis zu verstehen, durch die das Leben eines Menschen in ungewöhnlichem Maße bedroht werde, wobei es nicht darauf ankomme, ob die Gefahr durch ein plötzliches Ereignis ausgelöst wird oder es sich um einen länger anhaltenden Zustand handelt. Aufgrund der von der Kantonspolizei dargestellten Umstände, insbesondere der Geländebeschaffenheit, sei ein Kontrollverlust des Betroffenen in der geschilderten Lage unmittelbar mit der Gefahr eines tödlichen Absturzes verbunden gewesen, die nicht mehr durch geeignete Ausrüstung oder Bergerfahrung habe kompensiert werden können.

Die Todeserklärung erfolgt durch Beschluss, der öffentlich bekannt zu machen (§ 24 Abs. 1 VerschG) und dem Antragsteller und dem Staatsanwalt zuzustellen ist (§ 24 Abs. 2 VerschG). In dem Beschluss der Todeserklärung ist der Zeitpunkt des Todes des Verschollenen nach § 9 Abs. 2, 3 VerschG festzustellen, § 23 VerschG. Gegen den Beschluss ist das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zulässig (§ 26 Abs. 1 S. VerschG). Die Beschwerdefrist beträgt einen Monat, § 26 Abs. 1 S. 2 VerschG. Beschwerdeberechtigt sind:

  • gegen den Beschluss, durch den der Verschollene für tot erklärt wird, der Antragsteller und jeder, der an der Aufhebung der Todeserklärung oder an der Berichtigung des Zeitpunktes des Todes ein rechtliches Interesse hat;
  • gegen den Beschluss, durch den die Todeserklärung abgelehnt wird, der Antragsteller, § 26 Abs. 2 VerschG.

4. (Erbrechtliche) Wirkungen der Todeserklärung

In § 9 VerschG ist die Wirkung der Todeserklärung und die Feststellung des Todeszeitpunktes in den einzelnen Verschollenheitsfällen geregelt.

Die Wirkung der Todeserklärung erstreckt sich grundsätzlich auf alle rechtlichen Verhältnisse des Verschollenen und wird mit Eintritt der formellen Rechtskraft des Beschlusses, der sie ausspricht, wirksam. Sie besteht in der Vermutung, dass der Verschollene zu dem festgestellten Zeitpunkt verstorben sei und gilt bis zum Beweis ihrer Unrichtigkeit. Im Erbrecht wird durch die wirksame Todeserklärung die Erbschaft des für tot erklärten Verschollenen eröffnet und damit auch die Erteilung eines Erbscheins nach dem für tot Erklärten möglich. Weitere Einzelwirkungen im Erbrecht finden sich in den §§ 1974 und 2252 Abs. 4 BGB.

Stimmt die Todeserklärung mit der Wirklichkeit nicht überein, kann der Verschollene die Aufhebung der Todeserklärung beantragen, § 30 VerschG. Er kann aber auch unabhängig von einer Aufhebung der Todeserklärung die ihm zustehenden Rechte geltend machen. Ansonsten kann, wenn der Verschollene die Todeserklärung überlebt hat, lediglich der Staatsanwalt die Aufhebung der Todeserklärung beantragen, § 30 Abs. 1 VerschG.

Im Erbrecht kann der überlebende Verschollene den Herausgabeanspruch nach den Vorschriften des Erbschaftsanspruchs (§§ 2031, 2018 ff. BGB) geltend machen (vgl. Grüneberg/Weidlich, BGB, 84. Aufl., § 2031 Rn. 1). Er kann darüber hinaus verlangen, dass der im Erbschein ausgewiesene Erbe den erteilten Erbschein an das Nachlassgericht herausgibt (§§ 2370 Abs. 2, 2362 BGB).

Beachten Sie | Diese Möglichkeit, das Vermögen wiederzuerlangen, wird jedoch dadurch eingeschränkt, dass diejenigen geschützt werden, welche in gutem Glauben aufgrund von Verfügungen des Scheinerben etwas aus dem Nachlass erlangt haben, § 2370 BGB.

5. Die Kommorientenvermutung des § 11 VerschG

Kann nicht bewiesen werden, dass von mehreren gestorbenen oder für tot erklärten Menschen der eine den anderen überlebt hat, so wird gem. § 11 VerschG vermutet, dass sie gleichzeitig gestorben sind.

Einem aktuellen Beschluss des OLG Karlsruhe lag im Rahmen eines „normalen“ Erbscheinverfahrens der Fall zugrunde, dass Ehegatten an verschiedenen Stellen auf dem gleichen Anwesen gleichzeitig tot aufgefunden wurden. Die Ehegatten hatten sich gegenseitig, mithin der Erstversterbende den Überlebenden, mit gemeinschaftlichem Testament zu alleinigen und unbeschränkten Vollerben eingesetzt. Allerdings konnte auch nach Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, wer vor dem anderen verstorben war. Deshalb war unter Anwendung der Vermutung des § 11 VerschG davon auszugehen, dass beide Ehegatten gleichzeitig verstorben sind.

Leitsätze: OLG Karlsruhe 26.9.24, 14 W 95/23

  • 1. Kann im Wege der Amtsermittlung gemäß § 26 FamFG in einem Erbscheinverfahren nach Einholung eines rechtsmedizinischen Sachverständigengutachtens nicht mit der erforderlichen Sicherheit geklärt werden, dass ein Erblasser von seinem Ehegatten überlebt worden ist, greift die Vermutung des § 11 VerschG.
  • 2. An den Beweis des Überlebens im Rahmen des § 1923 BGB sind strenge Anforderungen zu stellen (Anschluss OLG Hamm, Beschluss vom 12.6.95, 15 W 120/95, Rn. 25, juris).

(Abruf-Nr. 244401)

AUSGABE: EE 1/2025, S. 15 · ID: 50258273

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