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PflichtteilsanspruchDer Pflichtteilsanspruch in der Erbschaftsteuer

Abo-Inhalt03.01.20251119 Min. LesedauerVon RA Holger Siebert, FA Erbrecht und FA Steuerrecht, Berlin

| Der Pflichtteilsanspruch stellt sich in der erbschaftsteuerlichen Betrachtung anders dar als im Zivilrecht. Er entsteht zivilrechtlich kraft Gesetzes mit dem Eintritt des Erbfalls (§ 2317 Abs. 1 BGB). Dies gilt unabhängig davon, ob der Pflichtteilsanspruch geltend gemacht wird. Er ist auch schon vor Geltendmachung vererblich und übertragbar (§ 2317 Abs. 2 BGB), allerdings noch nicht pfändbar (§ 852 Abs. 1 ZPO). Hiervon weicht das Erbschaftsteuerrecht ab. Dieser Beitrag vermittelt die dazu geltenden Grundsätze insb. aus Sicht des BFH, damit verbundene Schwierigkeiten und praktische Tipps hierzu. |

1. Der Pflichtteilsanspruch als „erbschaftsteuerrechtlicher“ Erwerb von Todes wegen

Die Anwendung der erbschaftsteuerrechtlichen Regelungen führt nicht immer und überall zu klaren und nachvollziehbaren Ergebnissen.

a) Entstehung der Steuer

Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegt der Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer. Während der Pflichtteilsanspruch zivilrechtlich im Augenblick des Erbfalls entsteht (§ 2317 BGB), liegt nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 3. Alt. ErbStG ein Erwerb von Todes wegen erst vor, wenn der Pflichtteilsanspruch „geltend gemacht“ wird. Die Steuer dafür entsteht nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG im Zeitpunkt der Geltendmachung.

b) Abzug als Verbindlichkeit

Der Erbe kann spiegelbildlich nach § 10 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Abs. 5 Nr. 2 ErbStG vom Wert des gesamten Vermögensanfalls ebenfalls nur die Verbindlichkeiten aus geltend gemachten Pflichtteilen abziehen. Insoweit korrespondiert die Steuerpflicht beim Pflichtteilsberechtigten mit dem Abzug als Nachlassverbindlichkeit beim Pflichtteilsverpflichteten. Die „Geltendmachung“ des Pflichtteilsanspruchs besteht in dem ernstlichen Verlangen auf Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs gegenüber dem Erben. Der Berechtigte muss seinen Entschluss, die Erfüllung des Anspruchs zu verlangen, in geeigneter Weise bekunden.

c) Voraussetzungen der „Geltendmachung“

Zu den Anforderungen, die in diesem Zusammenhang an ein „Geltendmachen“ des Pflichtteilsanspruchs zu stellen sind, vertritt der BFH (19.7.06, II R 1/05, ZEV 06, 514, Abruf-Nr. 062600) eine vermeintlich klare Meinung:

Auszug BFH 19.7.06, II R 1/05

Die „Geltendmachung” des Pflichtteilsanspruchs besteht im ernstlichen Verlangen auf Erfüllung des Anspruchs gegenüber dem Erben. Der Berechtigte muss seinen Entschluss, die Erfüllung des Anspruchs zu verlangen, in geeigneter Weise bekunden (BFH 30.4.03, II R 6/01, ZEV 2004, 127, unter Hinweis auf RFH 19.4.29, V A 908/28, RFHE 25, 121), die Höhe des Anspruchs aber nicht beziffern. Eine solche Bezifferung ist dem Pflichtteilsberechtigten, der nicht Erbe ist, regelmäßig erst nach Erteilung der in § 2314 Abs. 1 S. 1 BGB vorgesehenen Auskunft durch den Erben möglich.

Dabei besteht Konsens insoweit, als der Pflichtteilsberechtigte, der lediglich einen Teil seines Anspruchs geltend gemacht hat, die Erbschaftsteuer nur in dieser Höhe zum Entstehen bringt bzw. der Erbe nur in dieser Höhe Nachlassverbindlichkeiten geltend machen kann (vgl. BFH 19.7.06, II R 1/05, BFHE 213, 122, BStBl II 06, 718; Wälzholz in: Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz, 4. Aufl., § 3 ErbStG Rn. 152; Gottschalk in: Troll/Gebel/ Jülicher, ErbStG, § 3 Rn. 227; Geck in: Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG Rn. 212, 213 und 213.2). Dasselbe soll gelten, wenn sich der Pflichtteilsberechtigte nach ernstlichem Streit über die Höhe seines Pflichtteils vergleichsweise mit weniger zufrieden gibt, als er beansprucht hat und ihm zusteht; auch in diesem Fall kann er nur aus diesem niedrigeren Wert besteuert werden (BFH 18.7.73 II R 34/69, BFHE 110, 196, BStBl II 73, 798; BFH 19.7.06, II R 1/05, BFHE 213, 122, BStBl II 06, 718).

Soweit der BFH bei seiner Sichtweise (keine Bezifferung erforderlich) darauf abstellt, dass sich die Höhe des Pflichtteils aus dem Wert der Hälfte des gesetzlichen Erbteils ergibt (§ 2303 BGB), wird dabei wiederum verkannt, dass der Pflichtteilsberechtigte nicht verpflichtet ist, den Anspruch überhaupt bzw. in der vollen Höhe geltend zu machen. Wenn der Steuergesetzgeber eine Sichtweise vorgibt, kann diese nicht durch die Hintertüre durch das Zivilrecht außer Kraft gesetzt werden.

aa) „Teilweise“ Geltendmachung möglich

Hier liegt bereits der erste Widerspruch der Sichtweise des BFH begraben. Eine teilweise Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs ist offensichtlich nur möglich, wenn der Anspruch bezifferbar ist bzw. beziffert wird. Wenn aber, so wie es der BFH vertritt, die Geltendmachung des unbezifferten Anspruchs bereits die Steuer auslöst, so käme eine nachträgliche Reduzierung einem Erlass (§ 397 BGB) gleich. Ein solcher Verzicht auf einen bereits geltend gemachten Pflichtteilsanspruch ist anders als ein Anspruchsverzicht vor Geltendmachung (§ 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG) nicht steuerfrei, sondern stellt eine schenkungsteuerpflichtige Zuwendung des Pflichtteilsberechtigten an den Erben dar (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 i. V. m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG; vgl. auch FG München 24.8.05, 4 K 4361/03; EFG 05, 1887). Ob tatsächlich in der Nichtgeltendmachung eines Teils des Pflichtteilsanspruchs ein solcher Erlass liegt, ist im Zweifelsfall durch Auslegung zu ermitteln. Ein Erlassvertrag kann auch durch schlüssiges Handeln erfolgen. § 397 BGB stellt keine Formerfordernisse. Der Pflichtteilsberechtigte würde im Worst Case etwas versteuern, was ihm wirtschaftlich am Ende gar nicht zufließt und der insoweit Begünstigte Erbe müsste den Vermögensvorteil bei sich versteuern. So generiert man mit einem Vorgang doppelte Steuer.

bb) Anzeigepflicht, Steuererklärung

Im Hinblick auf eine Verzinsung des Pflichtteilsanspruchs ist der anwaltliche Vertreter regelmäßig gehalten, bereits beim ersten Auskunftsverlangen (§ 2314 BGB) hinsichtlich des noch nicht bezifferbaren Pflichtteilsanspruchs in Verzug zu setzen. Das löst aber aus der Sicht der oben dargestellten Rechtsprechung gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 1 b ErbStG die Erbschaftsteuer hinsichtlich dieses noch nicht bezifferten, aber geltend gemachten Pflichtteilsanspruches aus, was den Pflichtteilsberechtigten dann der weiteren Verpflichtung aussetzt, den Erwerb von Todes wegen innerhalb der Frist des § 30 Abs. 1 ErbStG (3 Monate) anzuzeigen. Ein Verstoß gegen diese Anzeigepflicht kann ggf. steuerstrafrechtliche Konsequenzen haben (str., siehe Kapp/Ebeling/ Eisele, EL 88, 2021, ErbStG § 30 Rn. 179). Die rechtzeitige Anzeige wird zur Folge haben, dass das Finanzamt zur Abgabe einer entsprechenden Steuererklärung auffordert (§ 31 Abs. 1 ErbStG). Kann der Pflichtteilsanspruch wegen fehlender Auskünfte noch nicht beziffert werden, besteht die Gefahr, dass das Finanzamt die Pflichtteilsforderung schätzt (§ 162 AO) und die Erbschaftsteuer mit Vorläufigkeitsvermerk (§ 165 AO) festsetzt. Spiegelbildlich wäre der so ermittelte Pflichtteilsbetrag dann beim Erben als Verbindlichkeit (ebenso vorläufig) zu berücksichtigen (§ 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG).

Wollte man dies vermeiden, so müsste mit dem Auskunftsersuchen ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass hierin noch keine Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs liegt. Das bedeutet aber, dass eine wirksame Inverzugsetzung hinsichtlich des Leistungsanspruchs mit der damit einhergehenden Verzinsung unter dieser Voraussetzung nicht in Betracht käme.

2. Der derivative Pflichtteilsanspruch aus der Sicht des BFH

Das Urteil des BFH 7.12.16, II R 21/14, behandelt die Besteuerung eines durch Erbanfall erworbenen Pflichtteilsanspruchs. Der Kläger war Alleinerbe seines im September 2008 verstorbenen Vaters, der seinerseits nach dem Tod seiner Ehefrau im April 2008 das Erbe ausgeschlagen hatte und somit einen Pflichtteilsanspruch von 400.000 EUR gegen den Nachlass der Ehefrau erwarb. Das Finanzamt setzte die Erbschaftsteuer unter Einbeziehung dieses Pflichtteilsanspruchs fest, was der Kläger anfocht.

Der BFH entschied, dass ein vom Erblasser nicht geltend gemachter Pflichtteilsanspruch zum Nachlass gehört und beim Erben der Besteuerung unterliegt, unabhängig davon, ob der Erbe den Anspruch geltend macht. Der Pflichtteilsanspruch entsteht zivilrechtlich mit dem Erbfall und gehört zum Vermögen des Pflichtteilsberechtigten, ist vererblich und übertragbar. Die Geltendmachung des Anspruchs ist aus Sicht des BFH für die Besteuerung eines ererbten Pflichtteilsanspruchs nicht erforderlich, im Gegensatz zum originären Pflichtteilsanspruch, der erst bei Geltendmachung besteuert wird. Dabei argumentiert der BFH damit, dass der Pflichtteilsanspruch gemäß § 2317 BGB mit dem betreffenden Erbfall entsteht. Der Erbe des Pflichtteilsanspruchs muss die Erbschaftsteuer danach auch dann entrichten, wenn er sich entschließt, den Anspruch nicht geltend zu machen. Dabei steht der Erbe des Pflichtteilsberechtigten ebenso wie der originär Pflichtteilsberechtigte selbst typischerweise gleichfalls in einem persönlichen Näheverhältnis zum Schuldner des Anspruchs. Der BFH hält dies jedoch für „unerheblich“.

Dabei greift der BFH aber zu kurz. Denn gemäß § 1922 BGB tritt der Erbe des Pflichtteilsberechtigten mit dem Erbfall komplett in dessen rechtliche Fußstapfen, was gemeinhin als Universalsukzession bezeichnet wird. Wenn man also zu Recht auf die zivilrechtliche Wirkung des Erbfalls abstellt, muss man dies vollständig tun. Wenn also der originär Pflichtteilsberechtigte die Steuer erst durch die Geltendmachung zum Entstehen bringen kann, dann muss diese Position konsequenterweise auch für den Erben des Anspruchs gelten.

Die hier kritisierte Ansicht des BFH führt zu schwer aufzulösenden Problemen:

a) Verjährungsproblematik

Unbestritten werden der Versteuerung die Verhältnisse im Zeitpunkt des Erbfalls zugrunde gelegt. Steht jetzt der Pflichtteilsanspruch im Zeitpunkt des Erbfalls, in dem er vererbt wird, kurz vor der Verjährung und gelingt es dem Erben des Pflichtteilsanspruchs nicht rechtzeitig, verjährungshemmende Maßnahmen zu ergreifen, so muss er aus der Konsequenz der BFH-Rechtsprechung den Anspruch versteuern, obwohl er ihn nicht mehr durchsetzen kann.

b) Abzug der Pflichtteilsverbindlichkeit

Dann stellt sich die weitere Frage, ob der von keinem geltend gemachte Pflichtteilsanspruch als derivativer Anspruch aufseiten des Pflichtteilsschuldners als Verbindlichkeit abgezogen werden kann oder ob hierfür zwingend die Geltendmachung erforderlich ist. Der BFH führt in seiner Entscheidung quasi als Obiter Dictum aus, dass erst die Geltendmachung dazu führt, dass der Pflichtteilsanspruch beim Verpflichteten als Verbindlichkeit abgezogen werden kann. Dieses Ergebnis entspricht jedoch nicht dem Sinn des Gesetzes. Denn nach den gesetzlichen Regelungen kommt es bei der Besteuerung des Anspruchs, wie auch bei der Abzugsfähigkeit als Verbindlichkeit, auf die Geltendmachung an. Die Voraussetzungen sind jeweils die gleichen. Dann müsste der derivative Pflichtteilsanspruch aber konsequenterweise auch bei einer nicht vorliegenden Geltendmachung abgezogen werden können.

c) Doppelte Erbschaftsteuer

Was aber passiert, wenn der Erbe den geerbten Pflichtteilsanspruch tatsächlich geltend macht? Kommt es dann zu einer doppelten Besteuerung (einmal aufgrund des Erwerbs durch Erbfall und einmal aufgrund der Geltendmachung des Anspruchs)? Der BFH sieht die Problematik und spricht sich gegen eine doppelte Besteuerung aus. Er beschränkt sich dabei aber auf die Aussage, dass „dafür keine Erbschaftsteuer“ entsteht. Eine Begründung dafür bleibt der BFH schuldig (siehe insoweit Wachter, ZEV 17, 283, 286). Der Steuertatbestand des § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG ist zumindest nach seinem Wortlaut erfüllt.

Praxistipps | Soweit der BFH wie dargestellt die Auffassung vertritt, dass bereits die unbezifferte Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs die Erbschaftsteuer auslöst, muss sich der Pflichtteilsberechtigte überlegen, was ihm wichtiger ist:

Will er so schnell als möglich den Erben in Verzug setzen, um Verzugszinsen geltend machen zu können, läuft er möglicherweise Gefahr, in die Zusammenrechnung gemäß § 14 ErbStG mit vorherigen Erwerben zu kommen, was regelmäßig zu einer höheren Gesamtsteuerbelastung führt.

Auch beim derivativen Pflichtteilsanspruch führt die Sichtweise des BFH zu einem sofortigen Entstehen mit dem (Folge-)Erbfall. Dann besteht wiederum das Risiko einer Zusammenrechnung nach § 14 ErbStG.

Das Problem beim derivativen Pflichtteilsanspruch ließe sich lösen, wenn man dem primär Pflichtteilsberechtigten ein aufschiebend bedingtes Geldvermächtnis in Höhe seines (fiktiven) Pflichtteilsanspruchs vermacht. Die auflösende Bedingung muss dann außerhalb der Zehnjahresfrist des § 14 ErbStG liegen. Der Pflichtteilsanspruch kann in diesem Falle nur entstehen, wenn der Pflichtteilsberechtigte das Geldvermächtnis ausschlägt (§ 2307 Abs. 1 BGB).

AUSGABE: EE 1/2025, S. 11 · ID: 50252090

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