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CBChefärzteBrief

Digitalisierung„Digitale Vernetzung und Telemedizin werden für Krankenhäuser eine zentrale Rolle spielen!“

Abo-Inhalt03.02.20256 Min. Lesedauer

| Telemedizin wird in den unterschiedlichsten Fächern eingesetzt. Auch Intensivmedizin ist aus der Ferne möglich – rund um die Uhr. Schlüsselfaktor sind hochfrequente Echtzeitdaten der Intensivstationen. Sie werden an externe Intensivmediziner übertragen und von ihnen ausgewertet. Prof. Dr. med. Christian Storm, Facharzt für Innere Medizin, Intensivmedizin & Notfallmedizin, ist CEO und Co-Founder des tcc Telehealth Competence Centers, das diesen digitalen Service anbietet. Wissenschaftsjournalistin Ursula Katthöfer (textwiese.com) sprach mit ihm. |

Frage: Herr Professor Storm, welche Häuser nehmen Ihren telemedizinischen Service in Anspruch?

Prof. Dr. Storm: Zum einen sind kleine Häuser auf dem Land typische Kunden. Dort unterstützen wir jüngere Kollegen oder nicht intensivmedizinisch tätige Ärzte bei ihren Entscheidungen. Sie fühlen sich oft allein durch das Wissen entlastet, dass unsere Intensivmediziner als Back-up erreichbar sind. Insbesondere durch den seit Jahren deutlich zunehmenden Fachkräftemangel – auch in der Ärzteschaft – ist der Bedarf erheblich. Zum anderen bieten wir Maximalversorgern und Universitätskliniken eine telemedizinische Plattform, über die sie sich mit kleineren Häusern aus ihrem eigenen Verbund oder gruppenfremden Häusern aus der Region vernetzen können. Wir nennen das Hub-and-Spoke. Das UKSH am Standort Lübeck ist beispielsweise einer unserer Kunden und ein solcher Hub. Kleinere Häuser – die Spokes – wenden sich über unsere Plattform zum konsultativen Austausch an das UKSH. Es ist genau das Thema, das uns in Deutschland und Europa umtreibt: Wie können wir mit digitaler Vernetzung über die Telemedizin neue Strukturen schaffen, um eine hochwertige Versorgung sicherzustellen?

Frage: Lassen Sie uns zunächst bei Ihrer ersten Kundengruppe bleiben: kleine Krankenhäuser. Wie unterstützt Ihr Team beispielsweise die intensivmedizinische Versorgung eines 62-jährigen Patienten mit Herzinfarkt?

Prof. Dr. Storm: Die Vitaldaten des Patienten werden in Echtzeit an unseren Service übertragen. Dort werten unsere Intensivmediziner, die alle mehrere Jahre als Oberarzt tätig waren, die Daten aus – unser Team ist rund um die Uhr erreichbar. Unsere Intensivmediziner geben eine Empfehlung, die sich sehr eng an den Leitlinien unserer Fachgesellschaften orientiert. Ziel ist, die lokale Behandlungsqualität zu verbessern und Risiken frühzeitig zu erkennen.

Frage: Welche Rolle spielt künstliche Intelligenz bei diesem intensivmedizinischen Monitoring?

Prof. Dr. Storm: Von einem intensivmedizinisch behandelten Patienten gibt es pro Tag fünf- bis zehntausend einzelne Informationen zu Vitalparametern, Laborergebnissen, Medikamenten, Beatmungs-Set-ups, Bemerkungen des Personals etc. Ist die Intensivstation voll belegt, strömen alle diese Informationen auf die Ärzte ein. Sie müssen sie aus- und bewerten. Dafür bietet KI sich als klinisches Entscheidungsunterstützungssystem hervorragend an. Deshalb haben wir unterschiedliche KI-Systeme und Algorithmen selbst entwickelt.

Frage: Hätten Sie dafür ein Beispiel?

Prof. Dr. Storm: Soeben durch den TÜV Süd als MDR 2a Medizinprodukt zugelassen ist unser Algorithmus zur Sepsis. Damit sind wir gestartet, weil die Sepsis als komplexe Erkrankung häufig übersehen wird und eine hohe Sterblichkeit hat. Es ist eine Herausforderung, ihre Entwicklung frühzeitig zu erkennen. Unser Algorithmus stellt keine Diagnose, sondern berechnet anhand der Vitalparameter eine Risikoprädiktion in Prozent für einen hohen qSOFA Score. Er teilt beispielsweise mit, dass das Risiko für einen hohen qSOFA Score, und damit häufig einer kritischen Sepsis, in den kommenden zehn Stunden bei 85 Prozent liegt. Für die Ärzte öffnet sich ein Zeitfenster, um rechtzeitig mit der erweiterten Diagnostik und Therapie zu beginnen. Das Besondere am Algorithmus ist, dass er ohne Laborwerte und Untersuchungsbefunde auskommt. Ihm reichen in Echtzeit Daten zu Blutdruck, Herz- und Atemfrequenz, Temperatur und Sauerstoffsättigung.

Frage: Zu Ihrer zweiten Kundengruppe gehören große Häuser, die über Ihre Plattform und das Hub-and-Spoke-Modell kleinere Partner beraten. Mit welchem Benefit?

Prof. Dr. Storm: Durch die digitale Vernetzung auf einer cloudbasierten Plattform können die Häuser ihre Auslastung und ihre Ressourcen untereinander besser steuern und somit wirtschaftlicher arbeiten. Telefonisch wäre diese Steuerung kaum möglich, telemedizinisch hingegen klappt sie gut. Hub und Spoke haben unterschiedliche Versorgungsaufträge: Die großen Maximalversorger kümmern sich um schwer kranke, multimorbide Patienten, die kleinen Häuser um die einfacheren Fälle. Über den telemedizinischen Austausch lassen die Patienten sich untereinander richtig allokieren. Fehlbelegungen und unnötige Krankentransporte reduzieren sich. Genau das sehen die Leistungsgruppen der Krankenhausreform vor. Den richtigen Patienten zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu behandeln, ist für mich der Schlüssel zu einer flächendeckend guten Versorgung. Telemedizin betrachte ich daher nicht als unsere Zukunft, sie wird in vielen Häusern bereits heute gelebt.

Frage: Gilt Hub-and-Spoke nur für die Intensivmedizin?

Prof. Dr. Storm: Nein, jede andere Fachdisziplin kann auf Knopfdruck den Service der Plattform nutzen. Telemedizinisch einfach zu erschließen sind z. B. Radiologie, Neurologie mit Schlaganfallversorgung und das sehr visuelle Fach Dermatologie. Auch Kardiologie und Pädiatrie eignen sich, weil es häufig um Beratung geht. Sehr apparative Fächer wie z. B. die Augenheilkunde sind hingegen weniger einfach für die Telemedizin. Grundsätzlich kann jede Fachrichtung unsere telemedizinische Plattform nutzen, insbesondere wenn eine Klinik den medizinischen Service selbst als Hub erbringt.

Frage: Wie kann die „Intensivmedizin on demand“ dabei helfen, Strukturvorgaben für die intensivmedizinische Versorgung zu erfüllen, z. B. zum ärztlichen Personal?

Prof. Dr. Storm: Grundsätzlich ersetzt die Telemedizin nicht das ärztliche oder pflegerische Personal. Es geht eher darum, die fachliche Expertise in einem Hub zu zentralisieren. Hier kann der medizinische Service 24/7 von TCC-Medizinern und/oder aus einer Klinik, die als Hub arbeitet, kommen. Die erfahrensten Intensivmediziner eines großen Hauses können zentral alle anderen Häuser betreuen, das lässt sich sehr gut skalieren. Doch kann ein Haus, das die Strukturvoraussetzungen für die Komplexpauschale erbringen muss, diese Vorgaben noch nicht durch Telemedizin ersetzen. Allerdings diskutieren erste Bundesländer für die Zukunft bereits Ausnahmeregelungen für Fachkliniken, die keine Intensivstationen haben. Das könnten beispielsweise Kliniken der Wirbelsäulenchirurgie sein. Mit zunehmendem Einsatz der Telemedizin auch in der Intensivmedizin wird die Regulatorik hier sicher zeitnah angepasst.

Frage: Welche technischen Voraussetzungen benötigen Ihre Kunden?

Prof. Dr. Storm: Wir haben unseren webbasierten Cloudservice zusammen mit Intensivmedizinern und Intensivpflegekräften entwickelt, um ihn für deren Einsatz zu optimieren. Software und Service brauchen keine spezielle Hardware und keine besonderen Schnittstellen. Im Regelfall etablieren wir Standardschnittstellen für PDMS, Laborsysteme oder RIS. Das ist reine Routine und dauert wenige Tage. Kollegen, die uns nur ein- oder zweimal im Jahr kontaktieren möchten, bieten wir eine App für Smartphone oder Tablet an. Sie verschlüsselt die Leitung Ende zu Ende und sichert sie DSGVO-konform ab. Alles ist sehr niedrigschwellig.

Frage: Wie finanziert sich Ihr Service?

Prof. Dr. Storm: Unsere Kunden rechnen mit einer Effizienz- und Qualitätssteigerung sowie weniger Fehlbelegung. So können sie unseren Service refinanzieren. Zusätzlich hat der G-BA darüber informiert, dass es jetzt intensivmedizinische Zentren geben kann, die extrabudgetär vergütet werden. Das trifft insbesondere auf Maximalversorger und Universitätskliniken zu, die sich in einem digitalen Telemedizinnetzwerk als Hub etablieren können.

Herr Prof. Dr. Storm, vielen Dank für das Gespräch! L

Weiterführende Hinweise
  • „Vom ‚virtuellen Krankenhaus‘ verspreche ich mir eine deutliche Arbeitsersparnis!“ (CB 06/2024, Seite 2 f.)
  • „Für die bestmögliche medizinische Versorgung müssen wir Sektorengrenzen überwinden!“ (CB 12/2023, Seite 18 f.)

AUSGABE: CB 3/2025, S. 3 · ID: 50293076

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