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HaftungsrechtAufklärung über Therapiealternativen mangelhaft: Patientin erhält 50.000 Euro Schmerzensgeld
| Wenn bei der Behandlung eines Patienten mehrere Behandlungswege in Betracht kommen, ist eine umfassende Aufklärung geboten. In einem solchen Fall hat Gericht die Behandlerseite verurteilt – auch mangels hinreichender Dokumentation (Oberlandesgericht [OLG] Hamm, Urteil vom 02.02. 2024, Az. 26 U 36/23). Das Urteil bietet weiterführende Erkenntnisse, was zu beachten ist bei der Durchführung der Aufklärung und der Dokumentation dessen. Dies sollte der Chefarzt wissen, um seine nachgeordneten Ärzte entsprechend anweisen zu können. |
Wirbelsäulen-OP zieht mehrere Revisionseingriffe nach sich, Haftungsklage der Patientin hat Erfolg
Eine 58-jährige Patientin musste sich im Jahr 2016 mehreren operativen Eingriffe an der Wirbelsäule unterziehen. Sie litt seit vielen Jahren an einer chronisch-progredienten Ischialgie mit begleitender Lumbalgie. Auch mittels einer MRT-Aufnahme wurden eine Bandscheibendegeneration bei LW4/5 mit nahezu vollständig aufgebrauchtem Zwischenwirbelraum sowie ein Wirbelgleiten LW4 Grad I nach Meyerding und eine konsekutive Spinalkanalstenose LW4/5 diagnostiziert. Geplant und dann auch durchgeführt wurde der Eingriff einer Wirbelkörperversteifung LW 4/5 in Form einer posterioren lumbalen intercorporellen Fusion (= PLIF). Der Eingriff verlief komplikationslos. Die Patientin konnte nach wenigen Tagen aus dem Krankenhaus entlassen werden.
Wenige Monate später stellten sich hingegen Schmerzen im Iliosakralgelenk sowie Kribbelparästhesien bei der Patientin ein. Per CT konnte festgestellt werden, dass die Pedikelschraube etwas lateral lag und sich eine progrediente Anschlusspathologie im Bewegungssegment LW5/SW1 in Form einer Protrusion und Osteochondrose gebildet hatte. Dies sollte im Rahmen eines erneuten operativen Eingriffs behoben werden durch eine PILF-Verlängerung auf SW1 sowie eine Revision der lateral liegenden Pedikelschraube. Auch nach diesem Revisionseingriff persistierten die Beschwerden. In der Folge war eine weitere Revisions-OP erforderlich und es folgte eine Reihe weiterer Behandlungsmaßnahmen. Die Patientin litt jedoch weiterhin und anhaltend unter Schmerzen. Sie erhob Haftungsklage gegen mehrere Behandler und rügte Behandlungs- und Aufklärungsfehler in vielfacher Hinsicht. Behandlungsfehler bestätigten die Richter des OLG Hamm nicht. Gleichwohl sprachen sie der Patientin ein Schmerzensgeld von 50.000 Euro zu.
So begründeten die Richter ihre Entscheidung
Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass nicht bewiesen sei, dass die Patientin vor den Eingriffen ordnungsgemäß über die Alternative einer konservativen Behandlung aufgeklärt worden sei.
Praxistipp | Bei gleichermaßen indizierten Behandlungsalternativen besteht eine besondere Aufklärungspflicht! Die Wahl der Behandlungsmethode ist primär Sache des Arztes. Daraus folgt, dass dieser dem Patienten auch nicht ungefragt sämtliche theoretisch in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten im Einzelnen erläutern muss. In Einschränkung hierzu normiert § 630e Absatz 1 Satz 3 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) aber: „Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.“ |
Aufklärung über konservative Behandlungsalternativen war mangelhaft
Nach diesen Maßstäben sei eine ordnungsgemäße Aufklärung im Rahmen der Beweisaufnahme durch die Behandlerseite nicht nachgewiesen worden – so die Wertung der Richter nach Einholung eines Sachverständigengutachtens. Zwar seien die bei der Patientin vorgenommenen Operationen – mit relativer Indikation – vertretbar gewesen. Es habe aber gerade in Form einer konservativen Therapie eine medizinische Alternative bestanden. Nach Aussage des Sachverständigen hätte eine konservative Therapie für die Patientin zwar keine Aussicht auf Heilung, wohl aber auf Beschwerdelinderung geboten, und zwar auch für mehrere Jahre. Es sei eine umfassende Abwägung zwischen operativer und konservativer Behandlung geboten gewesen. Dies auch deshalb, weil eine operative Versteifung der Wirbelsäule typische Risiken wie etwa häufig Folgeoperationen beinhalte.
Zwar enthielt die Behandlungsdokumentation zahlreiche Einträge ...
Zwar fanden sich in der Patientendokumentation an mehreren Stellen Hinweise darauf, dass mit der Patientin über die Möglichkeit einer konservativen Therapie gesprochen worden sei. So enthielt die Patientenkartei vor der ersten OP den Vermerk: „Konservative Therapie wird explizit nicht gewünscht.“ Auch war im Aufklärungsbogen festgehalten, dass „die Möglichkeit einer konservativen Therapie durch Bettruhe, Korsett, Spritzen, Injektionen an die Wirbelgelenke, Infusionen, Medikamente oder durch physikalische Therapie (Krankengymnastik, Bestrahlung, etc.) über einen längeren Zeitraum“ bestehe. Hierzu gab es sogar eine handschriftliche Notiz eines Behandlers: „alternativ: konservative Therapie". Später fanden sich noch einmal zwei wortgleiche Vermerke, wonach die Patientin „über alle möglichen konservativen und operativen Behandlungsmethoden aufgeklärt worden“ sei.
... die dem Gericht aber nicht ausreichten!
All diese Einträge bezog das Gericht zwar in die Beweiswürdigung ein, ließ sie aber nicht ausreichen. Die Richter bemängelten, dass es sich teilweise um wortgleiche Formulierungen handle, die offenbar standardmäßig verwendet würden – was ihre Aussagekraft abschwäche. Ferner fehlten Ausführungen darüber, welche konservativen Therapien bereits erfolgt und welche weiterhin möglich gewesen seien. Auch sei die notwendige Abwägung und deren Erörterung mit der Patientin der Dokumentation nicht zu entnehmen.
Vermeiden Sie Standardeinträge in der Dokumentation! Praxistipp | Vermeiden Sie in der Behandlungsdokumentation wortgleiche Standardeinträge. Wählen Sie individuelle Formulierungen. Belassen Sie es in der Dokumentation nicht bei dem pauschalen Hinweis auf eine erfolgte Aufklärung über die Alternative einer konservativen Therapie. Erwähnen Sie zumindest kurz, welche konservativen Behandlungsformen genau im konkreten Behandlungsfall für den Patienten infrage kommen würden. |
AUSGABE: CB 8/2024, S. 14 · ID: 50086183