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Hilfsmittel zur Verprobung von Umsätzen und Gewinnen Richtsatzsammlung: Das Zustandekommen der Werte darf laut BFH geheim bleiben
| Der BFH hat entschieden, dass die Vertraulichkeitsregelung des § 21a Abs. 1 S. 4 und 5 FVG einem Anspruch nach den Informationsfreiheitsgesetzen der Bundesländer und des Bundes auf Einsicht in Dokumente im Zusammenhang mit der Erstellung der amtlichen Richtsatzsammlung entgegensteht (BFH 9.5.25, IX R 1/24). |
Sachverhalt
Der Kläger begehrte vom FinMin Mecklenburg-Vorpommern nach dem Informationsfreiheitsgesetz von Mecklenburg-Vorpommern (IFG MV) die Beantwortung folgender Fragen zur Erstellung der amtlichen Richtsatzsammlung:
- Wie hoch ist die Anzahl der in Mecklenburg-Vorpommern in den Jahren 2016 bis 2020 geprüften Betriebe zwecks Gewinnung von Daten für die amtliche Richtsatzsammlung?Fragen zum Zustandekommen der amtliche Richtsatzsammlung
- Welche Auswahlkriterien für die Heranziehung zur Richtsatzprüfung sowie sodann Aufnahme der Daten in die amtliche Richtsatzsammlung bestehen?
- Werden auch Daten die (teilweise) auf Schätzungen beruhen in die amtliche Richtsatzsammlung übernommen?
- Welche Prüfungsjahre sind in die amtlichen Richtsatzsammlungen der Jahre 2016 bis 2020 übernommen worden?
Das beklagte FinMin Mecklenburg-Vorpommern gab u. a. an, dass Zuschätzungen im Zuge von Nachkalkulationen aufgrund betriebsinterner Daten in die amtliche Richtsatzsammlung einfließen würden, ansonsten wurden nur allgemeine Ausführungen zur Entstehung der Richtsatzsammlung gemacht. Die Vorinstanz (FG Mecklenburg-Vorpommern 23.11.23, 2 K 349/21, EFG 24, 1449) sah die Klage hinsichtlich der beiden ersten Fragen für begründet an.
Entscheidungsgründe
Der BFH verneinte hinsichtlich aller vier Fragen einen Anspruch auf Auskunft, es besteht auch kein Anspruch darauf, in anonymisierter Form (mit Schwärzungen) entsprechende Unterlagen vorgelegt zu bekommen. Denn § 21a Abs. 1 S. 4 und 5 FVG steht einem Auskunftsanspruch nach § 32e AO i. V. m. den Informationsfreiheitsgesetzen der Länder und des Bundes entgegen.
Die amtliche Richtsatzsammlung stellt Verwaltungsgrundsätze i. S. v. § 21a Abs. 1 S. 1 FVG dar, die der Verbesserung und Erleichterung des Steuervollzugs sowie der gleichmäßigen Besteuerung dienen. In diesem Zusammenhang ist die Vertraulichkeit zugehöriger Sitzungen zu wahren, es sei denn, im Einzelfall ist einstimmig etwas anderes bestimmt (§ 21a Abs. 1 S. 4 und 5 FVG), was jedoch im Fall nicht gegeben ist.
Als bundesrechtliche Norm mit identischem sachlichen Regelungsgegenstand verdrängt § 21a Abs. 1 S. 4 und 5 FVG die Bestimmungen des IFG MV aber auch nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes – IFG (BVerwG 3.11.11, 7 C 4.11, DVBl 12, S. 180). Dabei verfolgt § 21a Abs. 1 S. 4 und 5 FVG das Ziel, den freien, vertrauensvollen Austausch aller Beteiligten an entsprechenden Sitzungen zu gewährleisten. Eine Weitergabe von diesbezüglichen Unterlagen an Empfänger außerhalb der Finanzverwaltung ist somit ausgeschlossen (ähnlich auch § 6 Abs. 3 IFG MV).
Der Ausschluss gilt für alle vorbereitenden Unterlagen, Ergebnisse und nachbereitenden Unterlagen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Erstellung von amtlichen Richtsatzsammlungen und folglich auch für die diesbezügliche Zulieferung von Daten durch nachgeordnete Behörden.
Seine verfassungsrechtliche Grundlage findet dabei § 21a FVG in Art. 108 Abs. 4 S. 1 Alt. 1 GG, wobei die Verschwiegenheitsregelung des § 21a Abs. 1 S. 4 und 5 FVG eine Annexkompetenz aus der benannten verfassungsrechtlichen Ermächtigung darstellt, denn es handelt sich insofern um eine den Steuervollzug punktuell unterstützende und flankierende Regelung.
Durch die Vertraulichkeitsregelung ist auch der gerichtliche Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht verkürzt, da bei auf der amtlichen Richtsatzsammlung beruhenden Schätzungen der diesbezügliche Steuerbescheid mit Einspruch und finanzgerichtlicher Klage angefochten werden kann.
Relevanz für die Praxis
Nach § 1 Abs. 3 IFG gilt das Ausgeführte auch für den Informationsanspruch nach dem Informationsfreiheitsgesetz des Bundes.
Der BFH hat zudem offengelassen, ob einem entsprechenden Auskunftsanspruch auch § 32c Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 32b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AO (Gefährdung der ordnungsgemäßen Erfüllung der Aufgaben der Finanzverwaltung), § 32c Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 32b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO (Geheimhaltungspflicht) oder § 32c Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 32b Abs. 1 S. 2 und § 32a Abs. 2 AO (die Auskunft würde dazu dienen, Praktiken der Verschleierung bzw. Steuerumgehungen zu entwickeln) entgegenstehen. In diesem Kontext hat der BFH auch entschieden, dass sich aus Art. 15 DSGVO kein Anspruch auf Auskunft über die bei der Informationszentrale für steuerliche Auslandsbeziehungen (IZA) gespeicherten Daten herleiten lasse (BFH 17.11.21, II R 43/19, DStR 22, S. 937).
Somit erweist es sich als schwierig – zumindest, wenn es sich um eine auf der amtlichen Richtsatzsammlung beruhende Zuschätzung außerhalb eines Klageverfahrens handelt – nähere Informationen zur Generierung dieser Richtsatzsammlung zu erhalten. In solchen Klageverfahren muss jedoch die Finanzverwaltung nach den Beweislastregeln näher darlegen, wie sie zum Schätzungsergebnis gelangt (Nöcker, NWB 15, 3548, 3554; Gehm, NZWiSt 12, S. 408 m.w.N.; Wenzel, NWB 23, S. 3505). Schließlich sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass momentan beim BFH noch ein Verfahren (X R 19/21) zu der Frage anhängig ist, ob die amtliche Richtsatzsammlung überhaupt ein taugliches Instrumentarium bei der Zuschätzung ist.
AUSGABE: BBP 8/2025, S. 210 · ID: 50485862