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Insolvenzen auf 10-Jahres-Hoch – Was nun zu tun istInsolvenzen und Unternehmensschließungen in Deutschland nehmen zu

Abo-Inhalt06.08.20257456 Min. LesedauerVon Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung

| Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland bleiben angespannt. Unternehmen kämpfen mit schwacher Nachfrage und steigenden Kosten. Diese Faktoren führen zu einer sinkenden Auslastung der Industriekapazitäten. Noch gravierender sind jedoch die langfristigen Folgen der mittlerweile über zwei Jahre andauernden Rezession: Immer mehr Betriebe brauchen ihre Rücklagen auf, Kreditlinien werden nicht verlängert, eine zunehmende Zahl von Firmen gerät in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten. |

1. Die jüngsten Zahlen sind beunruhigend

Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen stieg im ersten Halbjahr 2025 auf den höchsten Stand seit zehn Jahren – und liegt damit auch höher als vor der Corona-Pandemie.

Nach den jüngsten Untersuchungen der Creditreform Wirtschaftsforschung wurden 11.900 Unternehmensinsolvenzen registriert. Das entspricht einem Anstieg von 9 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum, als 10.880 Fälle registriert wurden. Dies war bereits ein kräftiger Zuwachs von nahezu 30 %. Und es wird zumindest kurzfristig nicht besser: Bis Jahresende wird die Zahl der Insolvenzen wohl weiter steigen.

2. „Die Krise zieht sich“

„Die Krise zieht sich, und immer mehr Betrieben geht die Luft aus“, fasste etwa Volker Treier, Chefanalyst der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), im Frühjahr die Entwicklung zusammen. „Die Konjunktur ist im Keller, die Belastung mit Kosten und Bürokratie ist hoch.“ Die US-Zölle und die noch immer unklare künftige Wirtschaftspolitik hierzulande würden die Unternehmen verunsichern. Das bringe vor allem viele kleine Betriebe in die Bredouille. „Schon über einen längeren Zeitraum sind die Einnahmen vielfach sinkend, aber Kosten für Mieten, Löhne, Strom etc. laufen weiter“, so Treier, „das zehrt immer mehr an Liquidität und Substanz.“

Nun muss man zunächst sagen: Insolvenzen gehören zu einer funktionierenden Marktwirtschaft dazu. Immer wieder überleben sich Geschäftsmodelle, werden von innovativeren Ansätzen abgelöst. Letztlich sind Insolvenzen wichtig für künftiges Wachstum. Denn wenn nicht genügend produktive, wirtschaftlich angeschlagene Unternehmen aus dem Markt scheiden und durch Firmen mit hoher Produktivität ersetzt werden, führt dies zu positiven gesamtwirtschaftlichen Effekten. Unternehmen, die nicht marktgerecht agieren, die Fehler in der Finanzierung machen, müssen austreten. Sie werden durch Neugründungen ersetzt, die innovativer, agiler und finanzstärker sind. In der Theorie ergibt sich so immer wieder ein Gleichgewicht. Dieses einzuhalten, stellt allerdings den Idealfall dar.

Das aktuelle Insolvenzgeschehen spiegelt allerdings, wie schlecht es aktuell um die deutsche Wirtschaft steht. Die Insolvenzzahlen steigen und steigen, während die Zahl neugegründeter Unternehmen von Jahr zu Jahr fällt.

Eine weitere beunruhigende Tatsache

Nur etwa ein Drittel der Firmen mit einem Umsatz über 10 Mio. EUR, die 2024 Insolvenz anmeldeten, wurde bisher erfolgreich saniert. Die aktuelle Rettungsquote liegt – wie eine soeben veröffentlichte Analyse der Unternehmensberatung Falkensteg zeigt – bei lediglich 33,1 %.

Vor vier Jahren hätten noch fast 60 % der betroffenen Unternehmen eine zweite Chance erhalten. Besonders deutlich ist der Einbruch der Untersuchung zufolge in den Krisenbranchen und bei den Metallwaren, wo sich die Rettungsquoten innerhalb eines Jahres halbiert haben.

3. Erhebliche wirtschaftliche Folgen

Die vielen Insolvenzen und die mäßige Rettungsquote haben erhebliche wirtschaftliche Folgen: Die geschätzten Forderungsausfälle aus Unternehmensinsolvenzen beliefen sich der aktuellen Creditreform-Untersuchung zufolge im ersten Halbjahr 2025 auf rund 33,4 Mrd. EUR. Pro Insolvenzfall ergibt sich damit eine durchschnittliche Schadenssumme von etwa 2,8 Mio. EUR.

Auch die Zahl der betroffenen Beschäftigten ist gestiegen: Rund 141.000 Arbeitnehmer arbeiteten in den betroffenen Unternehmen – ebenfalls ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr (133.000). Vor allem Großinsolvenzen treiben diese Zahl in die Höhe. Zu den jüngsten prominenten Fällen zählen der Pflegeheimbetreiber Argentum Pflege und die Haushaltswarenkette KODi Diskontläden GmbH – beide mit jeweils über 2.000 Beschäftigten.

Soweit die Insolvenzzahlen insgesamt. Schaut man näher auf die Insolvenzen in einzelnen Unternehmensgrößenklassen, fällt ein anhaltend dynamisches Insolvenzgeschehen im Segment der mittelständischen Unternehmen auf. So stieg die Zahl der Insolvenzen in der Größenklasse von 51 bis 250 Beschäftigten überdurchschnittlich stark um 16,7 %. Auch bei größeren Unternehmen mit Umsätzen ab 5 Mio. EUR stiegen die Insolvenzen; sie liegen hier mittlerweile 2,5-mal so hoch wie vor der Corona-Krise.

4. Probleme im verarbeitenden Gewerbe und bei Automotive

Weil die Industrieproduktion schwächelt, gerät auch das verarbeitende Gewerbe in Schieflage. Hier stiegen die Insolvenzen deutlich um 17,5 %. Besonders heftig ist der Zuwachs bei metallerzeugenden und -bearbeitenden Unternehmen sowie bei Herstellern von Papier, Pappe und Waren daraus.

Auch im Handel wurde ein überdurchschnittlicher Zuwachs von 13,8 % verzeichnet – bedingt durch Kaufzurückhaltung und den intensiven Wettbewerb im Onlinehandel. Im Baugewerbe fiel die Zunahme mit 1,7 % dagegen vergleichsweise gering aus.

Der Großteil der Insolvenzen entfällt nach wie vor auf den Dienstleistungssektor: Mit fast 7.000 Fällen macht dieser Bereich rund 58,5 % aller Unternehmensinsolvenzen aus.

Schlecht steht es auch um die aktuelle Situation der Automobilzulieferer. Die Branche kämpft derzeit mit schwacher Nachfrage, steigenden Energie- und Rohstoffkosten sowie erschwertem Zugang zu Finanzierung. Vor allem mittelständische Zulieferer geraten zunehmend unter Druck, aber auch größere Unternehmen sind betroffen. Die Zahl der Insolvenzen steigt entsprechend: Seit 2020 hat Creditreform bundesweit 154 Insolvenzen in diesem Segment erfasst – allein 19 davon im laufenden Jahr 2025. Schätzungsweise 43.000 Beschäftigte waren in den vergangenen fünf Jahren direkt betroffen.

Am häufigsten betroffen von der negativen Insolvenzentwicklung sind auch weiterhin ältere, etablierte Unternehmen mit über zehn Jahren Betriebsdauer – ihr Anteil liegt bei fast 42 %. Auch Traditionsbetriebe sind immer Opfer des schwierigen Geschehens. Dies hat Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland insgesamt. Denn mit jedem etablierten Unternehmen, das in Schieflage gerät, drohen auch Fertigungskompetenz, Innovationskraft und Know-how verloren zu gehen. Man könnte sagen: Der Maschinenraum Deutschland steht mächtig unter Druck.

5. Auf eine Insolvenz kommen zehn Firmenschließungen

Dafür gibt es weitere Belege. Insolvenzen sind ja nur eine mögliche Folge der Schwierigkeiten, in die derzeit so viele Unternehmen wie lange nicht mehr geraten. Insolvenzen sind ein geregeltes gesetzliches Verfahren zum Austritt aus dem Markt. Die Regeln sind juristisch genau definiert. Tatsächlich ist es so, dass in Deutschland nicht nur die Insolvenzzahlen steigen, sondern auch die Zahl der Unternehmen, die aufgeben. Das geht aus einer gemeinsamen Untersuchung von Creditreform und dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim hervor. Demnach stieg die Zahl der Unternehmensschließungen im Jahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 16 %. Insgesamt haben bundesweit 196.100 Unternehmen ihre Geschäftstätigkeit eingestellt. Das ist der höchste Wert seit 2011, als viele Betriebe infolge der Finanzkrise aufgeben mussten.

Vergleicht man Insolvenz- und Schließungszahlen, ergibt sich ungefähr der Faktor 10: Auf eine Insolvenz kommen ungefähr zehn Schließungen. Darunter sind laut der Studie beispielsweise viele technologieintensive Dienstleister – hier nahm die Zahl der Schließungen um 24 % zu. Betroffen sind etwa IT, Produktentwicklung, Umwelttechnik und Diagnostik, obwohl dieser Sektor als Zukunftsbranche eigentlich wachsen müsste. Auch hier geht wertvolles Know-how verloren.

Auffällig ist zudem der starke Anstieg an Schließungen größerer, wirtschaftlich aktiver Unternehmen – ein Trend, der sich nun im dritten Jahr in Folge fortsetzt. 2024 wurden über 4.000 solcher Unternehmen abgemeldet – fast doppelt so viele wie in einem durchschnittlichen Jahr.

Merke | Was gerade geschieht, erinnert ein wenig an eine Handvoll Sand, der langsam, aber stetig durch die Finger rieselt. Nach und nach geht unternehmerische Substanz verloren, die wir aber eigentlich dringend bräuchten, um die großen Aufgaben etwa der Transformation zu meistern und Deutschland wieder in Gang zu bringen. Das ist ein klares Alarmsignal an die Wirtschaftspolitik.

6. Wie Deutschland die Wende schafft

Nun gibt es auch umgekehrt Signale von der Politik an die Unternehmen. So sollen z. B. einige wichtige Steuern sinken – die Körperschaftssteuer etwa oder die Stromsteuer, um deren Reduktion allerdings gerade ein Streit entbrannt ist. Auch die Netzentgelte sollen vermindert werden. Zudem will die neue Regierung die E-Mobilität fördern und die Bürokratiekosten der Wirtschaft reduzieren. Und dann ist da noch das Sondervermögen für Investitionen in die Infrastruktur und das Erreichen der Klimaneutralität bis 2045 i. H. v. bis zu 500 Mrd. EUR. Es soll, so ist zu hören, wie ein Booster wirken. Zudem könnte die Wirtschaft von den steigenden Verteidigungsausgaben profitieren. Außerdem gibt es positive Signale aus einzelnen Branchen.

Beispiel

So ist laut einer aktuellen Untersuchung des Münchner ifo-Instituts beispielsweise der Auftragsbestand im Tiefbau sehr hoch. Setzt man 2021 mit einem Index von 100 an, so nähert sich der Index derzeit bereits einer Marke von 130. 2015 lag der Wert noch unter 60.

Wenn also innerhalb des Baugewerbes der Tiefbau gerade nahezu ausgelastet ist, zeigt dies, dass im Bereich der Infrastruktur und des Industriebaus durchaus jetzt schon etwas passiert. Diese Auslastung wird sich allerdings noch mal deutlich verschärfen, wenn der demografische Wandel mehr und mehr zum Tragen kommt, sprich: wenn die Fachkräfte in Rente gehen und die Babyboomer vom Arbeitsmarkt verschwinden. In dieser speziellen Situation trifft nun eine riesige Geldmenge auf eine stark ausgelastete Teilbranche, und zwar mit dem erklärten Ziel, den Infrastrukturausbau deutlich zu beschleunigen. Das wird am Ende aber dazu führen, dass das Geld, das von der Politik – also von den Steuerzahlern – aufgewendet wird, deutlich weniger erkauft, als es vor einem Jahr der Fall gewesen wäre. Stichwort: Angebot und Nachfrage.

Fazit | Dieses Beispiel macht deutlich: Geld allein wird nicht zu einem signifikanten Wohlstandswachstum führen! Dazu braucht es vielmehr beherzte und „echte“ Strukturreformen. Damit Deutschland die Wende schafft, sind ein ernst gemeinter Bürokratieabbau und wieder mehr unternehmerische Freiräume erforderlich. Oft wird vergessen: Die heutigen Missstände sind nicht allein das Resultat einer verfehlten Ampelpolitik. Sie reichen weit zurück in die Zeit nach der Weltfinanzkrise. Deutschland insgesamt erholte sich schnell, das Geschäftsmodell Deutschland funktionierte dank hoher Exportquote und stabilen Absatzmärkten (vor allem China und die USA), einem gesunden Industriekern mit Qualitätsvorteilen und günstigen Refinanzierungsmöglichkeiten aufgrund niedriger Zinsen. Das alles gibt es so nicht mehr. Die damalige Regierung verschleppte wichtige Strukturreformen. Die Vorzeigebranchen wie Automotive, Stahl und die fertigungsintensiven Bereiche lebten von der Substanz und im Glauben, dass alles schon so weiterginge. Und auch wir, die Bürger, gewöhnten uns an den Gedanken, dass der Wohlstand immer weiter wachse. Diese gravierenden Fehleinschätzungen sind heute Kern der wirtschaftlichen Misere. Und im gleichen Maße, wie diese Gruppen dazu beigetragen haben, dass wir heute den Anschluss verlieren, braucht es eine geballte Kraftanstrengung, wieder auf den Wachstumspfad zurückzufinden. Die Insolvenzen zeigen uns die Defizite der Vergangenheit. Ebenso geben gescheiterte Unternehmen aber auch deutliche Hinweise darauf, was sich zukünftig ändern muss.

AUSGABE: BBP 8/2025, S. 229 · ID: 50480057

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