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Elektronischer Rechtsverkehr„beA-Führerschein“: Nutzen Sie das beA „unfallfrei“ und sparen Sie Zeit, Geld und Nerven
| Der elektronische Rechtsverkehr (ERV) ist vergleichbar mit dem Straßenverkehr: Wer ein Fahrzeug führen möchte, braucht einen Führerschein. Beim ERV ist der „beA-Führerschein“ zwar noch keine Pflicht, es hilft jedoch enorm, wenn man die Regeln kennt und weiß, worauf es ankommt. |
Inhaltsverzeichnis
- 1. Rechtsprechung stellt strenge Anforderungen
- 2. Das ist der „beA-Führerschein“ in der Kanzleipraxis
- 3. Wer darf die beA-Anwaltskarte benutzen?
- 4. Was muss man zu beA-Karten und Softwarezertifikat wissen?
- 5. Wie gut kennen Sie sich mit Rollen- und Rechtevergabe aus?
- 6. Was ist der Unterschied zwischen Zugang und Zustellung?
- 7. Wohin mit eingegangenen/gesendeten beA-Nachrichten?
- 8. Was tun, wenn der Empfänger im beA nicht auffindbar ist?
- 9. Wo finde ich die automatisierte Eingangsbestätigung?
- 10. Was tun, wenn die Nachricht im Postausgang stecken bleibt?
1. Rechtsprechung stellt strenge Anforderungen
„ERV“
Die bisherige Rechtsprechung geht bei Wiedereinsetzungsanträgen im Zusammenhang mit dem ERV häufig davon aus, dass ein anwaltliches Organisationsverschulden vorliegt. So hat der BGH folgende Grundsätze statuiert:
- Der Rechtsanwalt muss die Gesetze kennen und dazu gehören auch die Gesetze zum ERV (BGH 17.11.22, IX ZB 17/22, Abruf-Nr. 233228; iww.de/ak, Abruf-Nr. 48988184).
- Darüber hinaus muss sich der Rechtsanwalt mit dem beA vertraut machen und in der Lage sein, dieses zu bedienen – auch, wenn die Mitarbeiter im Urlaub oder krank sind (Noe, AK 23, 39).
- Der Anwalt muss seine Mitarbeiter schulen und stichprobenartig kontrollieren (BGH 11.1.23, IV ZB 23/21, Abruf-Nr. 233790; AK 23, 38; FMP 23, 73; BGH 28.7.22, III ZB 65/21, Abruf-Nr. 230879, AK 22, 184; Noe, AK 24, 114 m. w. N.; Noe, AK 23, 187 m. w. N.).
- Für den Fall einer erforderlichen Ersatzeinreichung kommt es darauf an, dass diese aufgrund vorübergehender, technischer Unmöglichkeit erfolgt. Ein in der Person des Einreichers liegendes „menschliches“ Unvermögen wird nicht akzeptiert (Cosack, AK 23, 114; Huff, AK 23, 130).
2. Das ist der „beA-Führerschein“ in der Kanzleipraxis
Um Rechtsanwälte und Mitarbeiter fit für die beA-Nutzung zu machen, hat das IWW Institut in Zusammenarbeit mit der Autorin ein „Führerschein“-Format entwickelt (iww.de/s11438).
Die Referentin greift sich für jedes Webinar aktuelle Schwierigkeiten oder typische Fehler heraus, die Kanzleien in der Praxis (immer noch) unterlaufen. Die Fragen dazu werden in der Veranstaltung mit Multiple-Choice-Antwortmöglichkeiten gestellt. Dabei hat jeder Teilnehmer die Möglichkeit, seine Antworten anonym abzugeben. D. h., anders als beim Führerschein im Straßenverkehr gibt es beim beA-Führerschein kein „Durchfallen“. Vielmehr werden die beA-Fragen dann besprochen und kompetent beantwortet. Jeder beA-Nutzer kann so sein Wissen fast spielerisch erweitern und mögliche Defizite im ERV-Handling erkennen und abbauen. Eine Teilnahmebestätigung gibt es nach der Veranstaltung natürlich auch – unabhängig davon, wie Sie die Fragen beantwortet haben. Hier einige Beispiele, mit denen Sie Ihr Wissen selbst testen können.
3. Wer darf die beA-Anwaltskarte benutzen?
Diese Frage konnten immer alle Teilnehmer richtig beantworten. Das ist auch gut so. Denn § 26 RAVPV bestimmt: Der Inhaber (= Rechtsanwalt) eines für ihn erzeugten Zertifikats (beA-Anwaltskarte) darf dieses keinen weiteren Personen (z. B. anwaltlichen Vertretungen, Mitarbeitenden, IT-Dienstleistern oder sonstigen Personen) überlassen und muss die dem Zertifikat zugehörige Zertifikats-PIN (Eingabe über das Kartenlesegerät zur Anmeldung am beA und zur Erzeugung der Fernsignatur) geheim halten. In der Vergangenheit wurde dies Rechtsanwälten zum Verhängnis, die ihre Anwaltskarte einer Vertretung überließen oder eEB durch Auszubildende oder Mitarbeiter abgeben ließen.
4. Was muss man zu beA-Karten und Softwarezertifikat wissen?
Für beA-Karten und beA-Mitarbeiterkarten wird immer ein Kartenlesegerät oder eine Tastatur mit einem Kartenleser benötigt. Die PIN-Eingabe muss zwei Mal erfolgen. Dafür können beA-Anwaltskarten mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (qeS, Fernsignatur der BNotK) ausgestattet sein, sodass ein arbeitsteiliges Arbeiten mit einem Vier-Augen-Prinzip möglich ist: Der Mitarbeiter erstellt ein Dokument, der Rechtsanwalt signiert mit qeS, der Mitarbeiter überprüft und versendet. Danach erfolgt die Überprüfung der automatisierten Eingangsbestätigung sowie der Export der ZIP-Datei.
Mit beA-Mitarbeiterkarten kann der Anwalt die Rechtevergabe an ausgewählte Mitarbeiter delegieren, sodass die Rollen- und Rechtevergabe für neue Anwälte (Vertretung oder VHN-Berechtigung) oder Mitarbeiter durch versierte Mitarbeiter unmittelbar erfolgen kann.
Des Weiteren bieten beA-Karten eine höhere Sicherheit und verhindern Missbrauch. Softwarezertifikate sind beliebig kopierbar und sollten daher nur mit Bedacht eingesetzt werden. Zwingend benötigt man ein zusätzliches Softwarezertifikat, wenn man mit einer beA-Schnittstelle zur Anwaltssoftware arbeitet. Und auch zur Nutzung der neuen beA-App der BRAK ist ein Softwarezertifikat erforderlich. Als Backup für den mobilen Anwalt ist ein Softwarezertifikat durchaus sinnvoll, bedingt dann allerdings, dass der Rechtsanwalt selbst versendet, weil er mit einem Softwarezertifikat keine qeS anbringen kann.
5. Wie gut kennen Sie sich mit Rollen- und Rechtevergabe aus?
Seit der Einführung der verschiedenen Rollen sind gewisse Rechte direkt an eine Rolle geknüpft. Jedoch genügt es oft nicht, dass nur die automatisch vergebenen Rechte freigeschaltet werden. Vielmehr sollten Sie immer prüfen, welche weiteren Rechte sinnvoll zusätzlich erteilt werden sollen. Auch wenn eine anwaltliche Vertretung bei bestimmten Konstellationen durch die RAK freigeschaltet wird, muss geprüft werden, ob weitere Rechte erforderlich sind, um die Vertretung ordnungsgemäß durchzuführen. Einige Rechte wurden mittlerweile entfernt. So ist es kein Fehler, sondern richtig, wenn z. B. die Rechte 02 (Nachrichtenübersicht exportieren/drucken) und 04 (Nachricht signieren) in Ihrem beA fehlen.
6. Was ist der Unterschied zwischen Zugang und Zustellung?
Unsicherheit herrscht häufig bei der Frage, wann eine Notfrist oder richterliche Frist zu laufen beginnt. Im beA ist zwischen Zugang (Eingang im beA ohne elektronisches Empfangsbekenntnis (eEB) und der Zustellung mit eEB zu unterscheiden: Beim eEB gilt immer noch, dass hier das Datum der Kenntnisnahme des Anwalts maßgeblich ist. Beim Zugang kommt es dagegen auf den Eingang im beA an – unabhängig davon, wann die Nachricht (von wem auch immer) geöffnet oder zur Kenntnis genommen wird. Auch das Argument eines Wiedereinsetzungsantrags, es gelte der Tag der Rücksendung des eEB, lässt der BGH insofern nicht gelten (BGH 17.1.2024, VII ZB 22/23, Abruf-Nr. 240324; iww.de/ak, Abruf-Nr. 50043762).
7. Wohin mit eingegangenen/gesendeten beA-Nachrichten?
Bei der Frage, wohin mit eingegangenen oder gesendeten beA-Nachrichten, zeigt sich, dass der Weg zur Digitalisierung weit und steinig ist. Es gibt noch viele „Baustellen“ im ERV:
- Die Justiz ist bisher nur teilweise in der Lage, auf beA-Nachrichten elektronisch zu antworten. Leider gibt es immer noch einen Medienbruch und viele Gerichte schicken nach wie vor auf eine elektronische Nachricht Papierpost zurück. Dies wird sich erst zum 1.1.26 ändern, wenn die Justiz verpflichtet ist, elektronische Akten zu führen und damit hoffentlich dem Ausdrucken ein Ende bereitet wird.Justiz arbeitet erst ab 1.1.26 vollelektronisch
- Auch Kanzleien arbeiten heutzutage vielfach noch hybrid: Dabei werden elektronische Nachrichten zwar oft schon elektronisch gespeichert. Dennoch werden E-Mails und beA-Nachrichten zusätzlich ausgedruckt und in Papierakten einsortiert. Abgesehen davon, dass im ERV nur elektronische Dokumente zählen, ist es aus Umweltgesichtspunkten sinnvoll, auf Ausdrucke zu verzichten.Auch in Kanzleien gibt es noch viele Papierakten
Beachten Sie | Da das beA kein Archiv ist, werden Nachrichten gemäß § 27 RAVPV automatisch nach 90 Tagen in den Papierkorb verschoben und nach weiteren 30 Tagen aus dem Papierkorb gelöscht. Wer die Nachrichten nicht exportiert hat, kann dann ggf. einen Nachweis nicht mehr führen.
8. Was tun, wenn der Empfänger im beA nicht auffindbar ist?
Sowohl die Nutzer von Anwaltssoftware und deren beA-Schnittstelle als auch die Nutzer der beA-Webanwendung sind gehalten, sich rechtzeitig mit den Empfängergerichten zu befassen. So wies das OLG Schleswig-Holstein bei der Versäumung einer Berufungsfrist darauf hin (13.10.22, 7 U 160/22): „Das Büropersonal ist bereits vor Anfertigung und Verarbeitung der Berufungsschrift anzuweisen, in der entsprechenden Anwaltssoftware (hier „RA-Micro“) das zuständige Berufungsgericht einzupflegen.“ Und weiterhin: „Ein Rechtsanwalt hat durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht.“
Auch Nutzer der beA-Webanwendung müssen rechtzeitig vor Fristablauf z. B. den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München finden, um Fristen zu wahren. Eine Ersatzeinreichung war in diesem Fall jedenfalls keine technische Unmöglichkeit, sondern ein „Unvermögen bei der Bedienung der Einrichtung“ (VGH München 1.7.22, 15 ZB 22.286).
Praxistipp | Hier hilft die Suche mit Platzhaltern (z. B. *gericht) und der konkreten Postleitzahl oft weiter. Auch die Speicherung im persönlichen Adressbuch des Nutzers oder die direkte Eingabe der SAFE-ID können hilfreich sein. Jedenfalls sollten Sie rechtzeitig vor Fristablauf prüfen, ob der Empfänger auffindbar ist. |
9. Wo finde ich die automatisierte Eingangsbestätigung?
Bei dieser Frage gibt es immer wieder reichlich Aufklärungsbedarf. Tragen doch die Bezeichnungen an verschiedenen Stellen leider identische Benennungen. Prüfprotokoll ist nicht gleich Prüfprotokoll – es taucht sowohl im Signaturprotokoll als auch im Exportprotokoll auf. Das in der ZIP-Datei als „VerificationReport“ bezeichnete Prüfprotokoll ist ein wichtiger Hinweis, wer die Datei versendet hat und ob die Dokumente mit einer qeS versehen waren. Als Eingangsbestätigung reicht dieses Prüfprotokoll jedoch nicht aus. Verwirrend ist sicherlich, dass im Export-Protokoll auch „Zusammenfassung Prüfprotokoll“ steht, dieses sich jedoch auf den Übermittlungsvorgang bezieht, der für den Nachweis entscheidend ist. Es ist gut, wenn man die Unterschiede kennt (Einzelheiten: Cosack, iww.de/ak, Abruf-Nr. 49856564).
10. Was tun, wenn die Nachricht im Postausgang stecken bleibt?
Das Worst-case-Szenario bei Fristablauf ist, dass die Nachricht im Postausgang stecken bleibt. Hier stellen sich u. a. die folgenden Fragen: Wann darf/muss ich eine Ersatzeinreichung vornehmen? Wann unterscheidet man zwischen „vorübergehender technischer Störung“ und „menschlichem Unvermögen“? Brauche ich einen mobilen Hotspot? Wie lange muss ich probieren, bevor ich eine Ersatzeinreichung vornehmen darf? Wie und wann muss die Glaubhaftmachung erfolgen? Können Sie alle Beispielfragen richtig beantworten? Die Teilnehmer des IWW-Webinars zum beA-Führerschein waren nach der Präsentation der Lösungen auf der richtigen Spur. Testen Sie Ihr Wissen: Die Termine für die nächsten Webinare zum beA-Führerschein finden Sie unter iww.de/s11438.
Regelmäßig schulen, prüfen und organisieren Fazit | Die Rechtsprechung kennt kein Pardon, wenn Anwälte und Mitarbeiter das beA auf die leichte Schulter nehmen. Es empfiehlt sich, alle Personen, die mit dem ERV zu tun haben, regelmäßig zu schulen und zu überprüfen, ob ihr Wissen auf dem neuesten Stand ist. beA-Regeln und Checklisten helfen, Organisationsverschulden zu vermeiden und im ERV sicher unterwegs zu sein. |
- In AK und auf der Seite https://bea-abc.de halten wir Sie auf dem Laufenden und informieren Sie, sobald es Neuigkeiten in Sachen beA gibt.
AUSGABE: AK 9/2024, S. 149 · ID: 50124265