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KommunikationMit dem Harvard-Konzept Konflikte effektiv und gewinnbringend schlichten

Abo-Inhalt02.11.20229377 Min. LesedauerVon Dr. Doortje Cramer-Scharnagl, Edewecht

| Zu den Schlüsselqualifikationen eines jeden Juristen gehört Verhandlungskompetenz. Wertvolle Dienste kann hier sowohl bei gerichtlichen als auch bei außergerichtlichen Verhandlungen die sog. Harvard-Methode leisten. Das Konzept wurde 1981 an der Harvard Law School (Cambridge, Massachusetts) entwickelt, um Anwälte in die Lage zu versetzen, Konflikte effektiv und gewinnbringend zu schlichten. Doch nicht nur für die Mediation, sondern auch für Verhandlungssituationen allgemein erweist sich das Harvard-Konzept als erfolgreich. Denn sein Ziel ist es, einen fairen und konstruktiven Ausgleich verschiedener Parteiinteressen zu erarbeiten. |

1. Das sind die Prinzipien der Harvard-Methode

Die Harvard-Methode beruht auf den folgenden Prinzipien:

  • Die Beteiligten sind Partner, die auf Augenhöhe kommunizieren.
  • Es geht nicht ums Gewinnen oder Verlieren, sondern um Übereinstimmung.
  • Das Verhältnis der Gesprächspartner soll sich durch die Verhandlung nicht verschlechtern – im Idealfall verbessert es sich sogar.
  • Auch, wenn jeder das eigene Anliegen vertritt, werden die Interessen des jeweiligen Gegenübers bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Ziel ist ein konstruktiver und einvernehmlicher Interessenausgleich mit dem größtmöglichen Nutzen für beide Seiten.

2. Das sind die vier Haupt-Spielregeln

Der Fokus der Harvard-Methode liegt immer auf der einvernehmlichen Problemlösung. Sowohl Sie als auch Ihre Mandanten sollen am Ende das bekommen, was sie brauchen. Das funktioniert so:

a) Menschliche und sachliche Ebene konsequent voneinander trennen

Auf der einen Seite steht die Person mit ihren persönlichen Befindlichkeiten und Emotionen. Diese Ebene wird nach Möglichkeit ausgeklammert, da sie konstruktive Lösungen erschwert. Auf der anderen Seite steht die Sachebene. Sie allein bildet beim Harvard-Konzept das Zentrum der Verhandlungen.

Praxistipp | Wenn die persönliche Ebene „dazwischenfunkt“, thematisieren Sie die entsprechenden Aspekte (z. B. unterschiedliche Wahrnehmung, emotionale Äußerungen oder die Art des Austauschs) offen. Das holt die Verhandlungen auf die Sachebene.

b) Sich auf die jeweiligen Interessen konzentrieren

Das Harvard-Konzept unterscheidet zwischen Positionen (Was will das Gegenüber erreichen?) und Interessen (Warum will das Gegenüber genau das erreichen?). Eine Verhandlungsspielregel lautet, dass man sich auf die Interessen und nicht auf die Positionen konzentriert: Was ist Ihr eigenes Interesse, was ist das Interesse Ihres Gegenübers? Um Letzteres präzise festzustellen, müssen Sie aktiv zuhören und Fragen stellen. Nehmen Sie die Perspektive Ihres Verhandlungspartners ein: Was sind die Beweggründe für sein Verhalten?

Das Orangen-Beispiel der Entwickler des Harvard-Konzepts

Zwei Menschen streiten sich heftig um eine Orange – beide wollen sie haben (Position). Der Streit dauert an, bis klar wird, welche unterschiedlichen Interessen hinter der Position stehen: Der eine benötigt die Schale, der andere das Fruchtfleisch. Sobald diese Interessen geklärt sind, kann der Streit friedlich beigelegt werden, indem der eine alle Schalen, der andere das gesamte Fruchtfleisch erhält. Beide Parteien haben gewonnen.

c) Gemeinsam Alternativlösungen zu den jeweiligen Interessen entwickeln

Sammeln Sie Lösungsideen. Die Vorschläge sollen für beide Seiten einen Nutzen bringen. Bewerten Sie die Lösungsvorschläge zunächst einmal nicht, sondern bleiben Sie vollkommen neutral und lehnen Sie keinen Mandanten-Vorschlag direkt ab. Auf diese Weise ermöglichen Sie es sich und dem Gesprächspartner, später gemeinsam die beste Entscheidung zu treffen. Dabei geht es, wie man an dem Orangen-Beispiel sieht, bei Weitem nicht immer um eine Entweder-Oder-Entscheidung!

d) Das Ergebnis auf objektiven Entscheidungskriterien aufbauen

Als Jurist sind Sie es gewohnt, Probleme von mehreren Seiten aus zu beleuchten und einzuschätzen. Bei gerichtlichen und außergerichtlichen Verhandlungen sollten Sie darauf bestehen, dass nur neutrale Entscheidungsprinzipien bzw. faire Kriterien angewendet werden. Vereinbarungen sollten niemals auf gegenseitigen Druck hin getroffen werden. Die gemeinsame Lösungssuche auf der Basis objektiver Kriterien kann – sofern beide Parteien dazu bereit sind – übrigens selbst dann noch hilfreich sein, wenn sich eine reguläre Verhandlung zu einem Streitfall entwickelt.

3. Hindernisse bewältigen

Das Verhandeln nach dem Harvard-Prinzip setzt voraus, dass beide Gesprächspartner bereit sind, die Interessen des jeweils anderen zu berücksichtigen. Ist dies zunächst nicht der Fall, versuchen Sie – je nachdem, welches Problem zugrunde liegt – eine der folgenden Strategien.

a) Problem: zu viel Emotionen – Lösung: zurück auf die Sachebene

Stimmen Sie Ihrem Gegenüber zunächst in einem Punkt zu, bei dem ein Einverständnis möglich ist. Zeigen Sie Anteilnahme, z.B. „Ich finde auch, dass es unverständlich ist, dass Ihr Nachbar nach der aktuellen Gesetzgebung so handeln darf. Ich verstehe, dass Sie das wütend macht. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass es keine Möglichkeit gibt, die Situation zu ändern.“

Rücken Sie die partnerschaftliche Basis Ihres Gesprächs wieder in den Mittelpunkt (Beispiel: „Lassen Sie uns doch noch einmal gemeinsam nach einer Lösung suchen.“). Sprechen Sie das nicht sachbezogene Verhalten des Gegenübers direkt an, jedoch ohne Vorwürfe zu machen. Eine Prise Humor kann dabei sehr hilfreich sein. Im Anschluss führen Sie auf die Sachebene zurück (Beispiel: „Ich wünschte, alle Mandanten würden ihre Interessen mit so viel Temperament vertreten wie Sie, Herr/Frau XY! Aber ich möchte doch noch einmal ganz ruhig ein paar Sachaspekte ansprechen, von denen ich denke, dass sie wichtig sein könnten, um das Problem zu lösen.“).

b) Problem: Druck und „faule Tricks“ – Lösung: offenes Thematisieren

Versucht Ihr Gegenüber, Druck auf Sie auszuüben, Sie aus dem Gleichgewicht zu bringen oder Sie mit absichtlich falschen Angaben zu etwas zu bewegen, sprechen Sie dies direkt, aber ohne Vorwürfe an (also nicht: „Seien Sie doch bitte nicht so aggressiv“ oder „Das kann Ihre Versicherung niemals gesagt haben“, sondern eher: „Auf diese Weise werden wir Ihr Problem nicht gut beheben können, Herr/Frau XY. Ich schlage vor, dass wir, bevor wir weitermachen, festlegen, auf welche Weise wir unser Gespräch führen wollen – was halten Sie davon? Dann können wir vielleicht doch noch einen guten gemeinsamen Weg zum Ziel finden.“).

Praxistipp | Will Ihr Verhandlungspartner sich nicht auf die Harvard-Regeln einlassen, empfehlen deren Erfinder sog. Verhandlungs-Judo. Das bedeutet: Auf persönliche Angriffe hin nicht zurückschlagen, sondern die Angriffe ins Leere laufen lassen, indem Sie die unsachlichen Bemerkungen schlicht ignorieren. Sie können die persönlichen Angriffe auch aktiv in eine sachbezogene Auseinandersetzung umlenken. Das gelingt besonders gut, indem Sie Fragen statt Statements verwenden (Beispiel: „Inwiefern scheint Ihnen dieser Schritt angebracht?“ oder „Kann ich Ihnen ein paar Fragen zu den Fakten stellen, die mir zugänglich sind?“). Lassen Sie sich nicht zu einer Reaktion provozieren, die dem Verhandlungsprinzip widerspricht.

c) Problem: schwierige Forderungen – Lösung: mögliche Folgen aufdecken

Stellt ihr Mandant Forderungen, die nicht annehmbar sind, gibt es bewährte Vorgehensweisen, um vielleicht doch noch zur intendierten Win-win-Situation zu gelangen. So hat es sich bewährt, theoretisch durchzuspielen, was geschehen würde, wenn Sie die Forderung umsetzen. Führen Sie nur Konsequenzen an, deren Stichhaltigkeit Sie belegen können, z. B. anhand von Gerichtsurteilen. Zeigen Sie, dass die Konsequenzen für beide Seiten nicht akzeptabel wären: weder für Sie noch für die Mandanten.

Fazit | Im „Verhandlungsfall“ bringt Ihnen das Harvard-Konzept nicht nur den sachlichen Vorteil, dass weder Sie noch Ihre Mandanten einen schlechten Kompromiss eingehen müssen. Sie können damit auch unangenehme Gesprächssituationen auf eine partnerschaftliche Ebene zurückführen. Ihre Mandanten sind zufriedener und motivierter, das gegenseitige Vertrauen wird gefestigt. Damit wächst auch die Weiterempfehlungsbereitschaft. Das sind gute Gründe, es einmal mit der Harvard-Methode zu probieren!

Weiterführender Hinweis
  • Fisher R, Ury W, Patton B. Das Harvard-Konzept. Die unschlagbare Methode für beste Verhandlungsergebnisse. Erweitert und neu übersetzt. 6. Aufl., Deutsche Verlags-Anstalt, 2018 (als E-Book und gebunden)

AUSGABE: AK 11/2022, S. 193 · ID: 48630588

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