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ProzessrechtAn den Vollmachtsnachweis werden keine übertriebenen Anforderungen gestellt

Abo-Inhalt19.05.20224813 Min. LesedauerVon OStA a. D. Raimund Weyand, St. Ingbert

| Beim „Gang durch die Instanzen“ darf der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer und durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden. Dies gilt nach dem BVerfG insbesondere bei übertriebenen verfahrensrechtlichen Ansprüchen. |

Sachverhalt und Entscheidungsgründe

Das OVG hatte den Antrag auf Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des VG als unzulässig verworfen, weil der Rechtsanwalt die vom Gericht explizit angeforderte Originalvollmacht nicht fristgemäß binnen einer Woche präsentiert hatte. Die hiergegen erhobene Verfassungsbeschwerde war erfolgreich, weil das BVerfG das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz nach Art. 19 Abs. 4 GG verletzt sah (18.2.22, 1 BvR 305/21, Abruf-Nr. 229124): Zum einen sahen die Richter keinen sachlichen Grund, an der Bevollmächtigung des Anwalts zu zweifeln. Zum anderen hätte ihm auch bei anderer Beurteilung eine angemessene Frist eingeräumt werden müssen, um eine entsprechende Vollmacht vorzulegen.

Relevanz für die Praxis

Der Mangel einer schriftlichen Vollmacht kann im verwaltungsgerichtlichen Verfahren durch die Beteiligten jederzeit geltend gemacht werden (§ 67 Abs. 4 S. 1, Abs. 6 S. 1 VwGO). Das Gericht muss dies nur von Amts wegen berücksichtigen, wenn nicht ein Rechtsanwalt als Bevollmächtigter auftritt (§ 67 Abs. 6 S. 3, 4 VwGO).

Tritt ein Rechtsanwalt als Beistand auf, wird seine Vollmacht von Amts wegen nur geprüft, wenn die Art und Weise der Prozessführung bzw. sonstige besondere Umstände dem Gericht berechtigten Anlass dazu geben. Dies ist z. B. der Fall, wenn der Anwalt den angeblich von ihm vertretenen Mandanten falsch bezeichnet (BVerwG 15.8.19, 1 A 2/19) oder wenn andere erhebliche Zweifel an dem Mandatsverhältnis bestehen. Allein durch die Nichtvorlage der Vollmachtsurkunde wird das dem Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege beigemessene besondere Vertrauen nicht erschüttert, zumal eine Urkunde im Zweifel auch nachgeliefert werden kann (§ 67 Abs. 6 S. 2 VwGO). Bleibt sie aus, kann das Gericht hierauf allenfalls nach mehrmaliger vergeblicher Erinnerung und Fristsetzung abstellen (OVG Bremen 9.3.21, 1 D 343/20).

Bestehen trotzdem Zweifel, muss das Gericht dem Anwalt auf jeden Fall eine angemessene Zeitspanne für die Nachbesserung einräumen. Eine Woche ist hierfür regelmäßig nicht ausreichend, es sei denn, dass ein besonderer Eil- oder Beschleunigungsbedarf besteht. In der zu entscheidenden Sache bestand dafür kein erkennbarer Grund: Die Effektivität des gebotenen Rechtsschutzes hätte ohne Weiteres auch eine längere Fristsetzung erlaubt. Die Frist zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung war zum Zeitpunkt der Entscheidung des OVG noch nicht einmal abgelaufen.

AUSGABE: AK 6/2022, S. 93 · ID: 48192322

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