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Interview„Wir haben eine KI mitentwickelt, um die ärztliche Schweigepflicht abzusichern“

Abo-Inhalt04.07.202560 Min. Lesedauer

| Prof. Dr. med. Wolfgang von Meißner ist Facharzt für Anästhesiologie und Allgemeinmedizin, Notfallmedizin und Intensivmedizin. In Baiersbronn im Schwarzwald ist er Teilhaber der Praxisgemeinschaft Hausärzte am Spritzenhaus. Seit einiger Zeit nutzt er den Medicbot – eine KI, die er mitentwickelt hat. Ursula Katthöfer (textwiese.com) fragte, was das für den Praxisalltag bedeutet. |

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Frage: Wer in Ihrer Praxis anruft, wird vom Sprachmenü komplett durch das Gespräch geleitet. Der Kontakt zu einer MFA wird zunächst nicht angeboten. Warum haben Sie sich für diese Art der Kommunikation entschieden?

Antwort: In unserer Praxis mit acht Ärztinnen und Ärzten sowie zwei Physician Assistants hatten wir montagvormittags über 1.000 Anrufversuche. Damals kamen 200 durch. Wir waren telefonisch kaum erreichbar. Manche Patienten kamen deshalb persönlich in die Praxis. Für eine bessere Erreichbarkeit haben wir zunächst mit Sprachassistenten experimentiert. Doch war das System nicht gut genug, um einen Kontext zu erkennen. Jetzt arbeiten bei uns mehrere aufeinander abgestimmte KI-Systeme. Nehmen wir zum Beispiel einen Anrufer, der ein Medikament bzw. ein Rezept benötigt: Die KI prüft zunächst, ob es den Patienten überhaupt gibt. Sie schaut, ob das Medikament auf dem Medikationsplan steht, ob die Dosierung passt und ob es von einem Arzt freigegeben wurde. Muss zuerst ein Labortermin vereinbart werden, weiß die KI auch das. Sie prüft zudem, ob der Patient im laufenden Quartal noch neu bestellen darf oder ob das Budget ausgereizt ist. Dabei arbeitet sie nicht losgelöst von der Praxis. Eine Person aus der Praxis muss jeden einzelnen KI-Schritt überprüfen – bis zum Signierstapel.

Frage: Wie nutzen die MFA die Zeit, die sie nun nicht mehr mit Medikamentenlisten oder am Telefon verbringen?

Antwort: Wir haben 20 MFA, das sind weniger als früher. Fast alle arbeiten in Teilzeit, meist sind sie als VERAH oder NäPa qualifiziert. Sie haben nun mehr Zeit am Patienten und leisten höherwertige Arbeiten. So bereiten sie im Sprechzimmer den Patienten vor. Wenn ich dazukomme, steht die Anamnese bereits im PC. Manche Patienten erledigen es selbst über die App. Die MFA klären, ob die Patienten eine AU oder Überweisung benötigen, ob eine Blutabnahme oder eine Impfung ansteht. Wenn ein Patient mit vielen Anliegen kommt, filtern sie das Wesentliche im Gespräch heraus. Wir sind so auch als Arbeitgeber attraktiver geworden.

Frage: Das Team hat keine Vorbehalte gegenüber der KI?

Antwort: Wer bei einem Anruf in unserer Praxis im Sprachmenü „Termin“ wählt oder in der Leitung bleibt, wird an eine MFA weitergeleitet. Diese Möglichkeit zum Telefonat haben wir auch deshalb behalten, weil einige MFA die KI kritisch sehen. Wir haben ihnen bewusst unseren Wunsch vermittelt, dass sie sich am Telefon Zeit nehmen, dem Patienten den bestmöglichen Termin zu geben. Das hat funktioniert. Die MFA sind bei den Telefonaten nun medizinisch mehr gefordert. Sie schätzen ab, ob das Anliegen Zeit hat oder ob der Patient heute noch zum Arzt muss. Das überlassen wir noch nicht der KI.

Frage: Wie fließt der Inhalt der Aufzeichnungen in die Abrechnung ein?

Antwort: Die Logik im Hintergrund der KI schlägt eine Abrechnungsposition vor. Hat beispielsweise ein Gespräch stattgefunden, schlägt die KI eine Gesprächsziffer vor und bietet die Abrechnung als psychologisches Gespräch an. Klicke ich „ja“, macht sie das. Klicke ich „nein“, muss ich die Entscheidung begründen. Wegen der sauberen Dokumentation durch die KI, die jede Uhrzeit und jede Länge eines Gesprächs festhält, ist unsere Abrechnung wesentlich besser geworden, die KI sorgt für Abrechnungssicherheit. Werden wir von der KV geprüft, können wir eine detaillierte Dokumentation vorlegen.

Frage: Warum haben Sie sich dazu entschieden, Medicbot als eigene KI mitzuentwickeln?

Antwort: Wegen der Prozessqualität und der Datensicherheit. Wir haben eine eigene „Private Cloud“, in der das Praxisverwaltungssystem (PVS) läuft. Genau dort läuft auch die KI, im gleichen Schrank. Nichts verlässt die Praxisumgebung. Mit der Nutzung einer „Private Cloud“ stellen wir sicher, dass sämtliche sensiblen Gesundheitsdaten ausschließlich innerhalb unserer eigenen IT-Infrastruktur verbleiben – ein entscheidender Beitrag zur Wahrung der ärztlichen Schweigepflicht. Arztbriefe zur Korrektur irgendwo hochzuladen heißt, Patientendaten zum Training von KI herauszugeben. Natürlich könnten wir die Interaktionsprüfung von Medikamenten durch andere KI-Systeme machen lassen. Doch was ist, wenn die Daten nach außen dringen und der Patient deshalb keine Krankenversicherung oder einen Job nicht bekommt? Ich möchte nicht, dass die ärztliche Schweigepflicht unterwandert wird.

Frage: Wie hat KI Ihre Haltung als Mediziner verändert?

Antwort: Ich bin demütiger geworden. Wenn ich mir die KI-Dokumentation mit Anamnese, Befund und Therapie ansehe, stelle ich manchmal fest, dass ich etwas nicht mitbekommen habe. Doch steht es wörtlich im Transkript. Ich habe erkannt, dass ich unbewusst filtere – und nur wahrnehme, was in mein Vorverständnis passt. Die KI zwingt mich dazu, meine selektive Wahrnehmung kritisch zu hinterfragen. Ich stecke Patienten manchmal zu schnell in Schubladen. Das war anfangs eine bittere Erkenntnis, es hat mich an meinem Selbstverständnis als Arzt zweifeln lassen. Inzwischen akzeptiere ich, dass ich nicht gleichzeitig zuhören, untersuchen, tippen, auf den Patienten eingehen und das Telefon abnehmen kann. Weil die KI das Gespräch aufzeichnet, kann ich mich anders positionieren: Weg vom Computer, hin zum Patienten.

Herr. Prof. Dr. von Meißner, vielen Dank!

Weiterführender Hinweis
  • Sämtliche bisher erschienenen Interviews im Rahmen der Serie „Digitale Tools für die Arztpraxis“ finden Sie bei AAA online unter iww.de/s13197.

AUSGABE: AAA 7/2025, S. 16 · ID: 50466270

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