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GebührenrechtGOÄ: Potenziale und Grenzen innovativer Analogabrechnung

Abo-Inhalt08.05.20254 Min. LesedauerVon Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht Torsten Münnch, D+B Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Berlin

| Die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) enthält zwar rund 2.400 Gebührenordnungspositionen, gleichwohl werden damit nicht alle denkbaren ärztlichen Leistungen abgedeckt. Das liegt bekanntlich am Alter der GOÄ. Ihre letzte vollständige Überarbeitung stammt aus dem Jahr 1982. Das Spannungsverhältnis zwischen der Statik ihres Gebührenkatalogs und der laufenden Fortentwicklung der Medizin löst die GOÄ über die sogenannte Analogabrechnung. Mit ihr kann eine ärztliche Leistung, die in der GOÄ nicht enthalten ist, entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden (§ 6 Abs. 2 GOÄ). Welche Kreativität dabei möglich ist, zeigt ein jüngst vom Oberlandesgericht (OLG) Hamm entschiedener Fall, dessen Urteil rechtskräftig ist (Urteil vom 04.02.2025, Az. 26 U 116/24). |

Sachverhalt

Ein Universitätsklinikum behandelte ein CUP-Syndrom (= Cancer of Unknown Primary, Krebserkrankung mit unbekanntem Primärtumor) im Bereich der Ohrspeicheldrüse mit sechs ambulanten Bestrahlungen in Form einer sogenannten Protonenstrahlentherapie. Im Gegensatz zur herkömmlichen Strahlentherapie mit Röntgen- bzw. Gammastrahlen arbeitet die Protonenstrahlentherapie mit hochbeschleunigten, geladenen Atomkernen. Wegen der damit verbundenen hohen Präzision können auch relativ strahlenunsensible Tumore in besonders sensiblen Körperregionen mit ausreichend hoher Dosis behandelt werden.

Das Klinikum rechnete jede Bestrahlung analog nach der Nr. 5855 GOÄ (Intraoperative Strahlenbehandlung mit Elektronen, kurz IORT; bewertet mit 6.900 Punkten, das entspricht beim Regelsatz [1,8-fach] 723,93 Euro) ab, setzte dabei aber diese Position nicht nur einmal, sondern zweimal pro Bestrahlung an und ging zudem jeweils über den 1,8-fachen Satz, den sogenannten Regelsatz, hinaus. Die Patientin wandte sich zwar nicht gegen die Analogabrechnung als solche, jedoch gegen den doppelten Ansatz pro Bestrahlung sowie gegen die Überschreitung des Regelsatzes.

Entscheidungsgründe

Das Universitätsklinikum setzte sich in beiden Punkten vor Gericht durch. Die doppelte Analogabrechnung der Nr. 5855 GOÄ pro Fraktion sei, so das Gericht, unter Berücksichtigung des deutlich erhöhten Aufwands, der mit der durchgeführten Behandlung verbunden war, gerechtfertigt. Dazu stützte sich das Gericht auf das Gutachten eines medizinischen Sachverständigen und seine ergänzende mündliche Anhörung im Verhandlungstermin. Im Vergleich zu der unter der Nr. 5855 GOÄ beschriebenen IORT erfordere die Protonenstrahlentherapie einen vielfachen

  • zeitlichen,
  • personellen,
  • materiellen und
  • finanziellen Aufwand.

Der Sachverständige stellte dafür nicht nur auf die Anschaffungskosten für das Gerät ab, die in etwa um den Faktor 10 bis 20 höher lägen. Auch die Personal- und Unterhaltungskosten seien bei der Protonenstrahlentherapie etwa um den Faktor von 5 bis 10 erhöht. Beispielsweise müssten bei der Protonenstrahlentherapie regelmäßig zwei Ingenieure im Umfang „24/7“ anwesend sei, um das Gerät funktionsfähig zu erhalten. Zudem dauere auch der eigentliche Bestrahlungsvorgang bei der Protonenstrahlentherapie deutlich länger als bei der IORT.

Das Gericht konnte sich für seine Entscheidung auch auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) stützen, das die doppelte Abrechnung einer Gebührenposition zur Schließung einer Regelungslücke für zulässig gehalten hatte, wenn die vorgenommenen ärztlichen Leistungen ihrer Art nach den zwei- bis vierfachen zeitlichen Aufwand verlange (BGH, Urteil vom 15.05.2004, Az. III ZR 344/03).

Darüber hinaus hielt das Gericht auch die Überschreitung des Regelsatzes für gerechtfertigt. An diesem Punkt ist die Entscheidung allerdings mit Vorsicht zu lesen, denn der Sachverständige hatte die Abrechnung nur innerhalb des Gebührenrahmens von 1,0 bis 1,8 gesehen. Das Gericht gab gleichwohl dem Klinikum recht und verwies dazu nicht nur auf den vom Sachverständigen dargestellten erheblichen Aufwand der Protonenstrahlentherapie, sondern auch darauf, dass die beklagte Patientin vorprozessual einen 2,3-fachen Steigerungssatz akzeptiert hatte (freilich unter der Prämisse einer nur einmaligen Abrechnung der GOÄ-Ziffer 5855). An diesem Punkt hätte der Rechtsstreit also möglicherweise anders verlaufen können, wenn es im Vorfeld keine Akzeptanz gegeben hätte.

Fazit | Das Urteil bestätigt in erfreulicher Weise, dass sich mit der „veralteten“ GOÄ auskömmliche Vergütungen erzielen lassen, wenn zum erhöhten Aufwand einer Therapie faktenbasiert argumentiert wird.
Dem aktuellen Vernehmen nach soll die Möglichkeit der Analogabrechnung auch in einer überarbeiteten GOÄ-Version erhalten bleiben. Ob davon dann – falls die GOÄ-Novelle tatsächlich kommen sollte – wirklich Gebrauch gemacht werden muss, hängt von dem neuen Leistungskatalog und seiner Aktualität ab.
Weiterführende Hinweise
  • BGH klärt Fragen zur Analogabrechnung einer selbstständigen Leistung nach GOÄ (AAA 02/2022, Seite 12)
  • AAA-Sonderausgabe „GOÄ-Faktorsteigerungen“ steht im Downloadbereich von AAA online unter iww.de/s12853 bereit.

AUSGABE: AAA 5/2025, S. 13 · ID: 50385945

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