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VertragsarztrechtVersichertenpauschale nach Nr. 03000: Die bloße Konsultation (am Empfangstresen) reicht nicht!

Abo-Inhalt28.02.20245 Min. LesedauerVon Rechtsanwältin Meike Schmucker, LL.M., Münster

| Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat im Fall einer Plausibilitätsprüfung einer hausärztlichen Praxis über die Voraussetzungen entschieden, unter denen die Versichertenpauschale (EBM-Nr. 03000) abgerechnet werden darf. Abweichend von der vorhergehenden rechtlichen Bewertung durch das Sozialgericht Berlin (siehe hierzu AAA 12/2020, Seite 13) wurde die Honorarkürzung zulasten des Hausarztes letztlich bestätigt. Daraus ergeben sich für alle vertragsärztlichen Fachgruppen, die Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschalen abrechnen, erhebliche Konsequenzen (Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 20.09.2023, Az. L 7 KA 29/20). |

Sachverhalt

Der betroffene Allgemeinmediziner arbeitet in Einzelpraxis ohne Personal und hatte seine Quartalszeitprofile in elf Quartalen überschritten (bis zu etwa 67.000 Minuten). In jedem dieser Quartale hatte der Hausarzt zwischen 2.160 und 4.599 Versichertenpauschalen abgerechnet, während im betreffenden Zeitraum durchschnittlich etwa 790 Versichertenpauschalen pro Quartal von den hausärztlichen Fachkollegen abgerechnet wurden. Wiederholt wurden Leistungen für weit über 100 (bis zu 219) Patienten pro Tag abgerechnet.

Weiterhin stellte die KV fest, dass der Hausarzt ganz überwiegend Versichertenpauschalen abgerechnet hatte, während Vorsorgeuntersuchungen, Impfungen oder die Verwaltungspauschale (Nr. 01430) selten oder gar nicht vorkamen. Die KV kürzte das Honorar aufgrund der festgestellten Abrechnungsfehler für alle betroffenen Quartale. Der Hausarzt legte Widerspruch gegen die Honorarrückforderung der KV ein und begründete dies im Wesentlichen mit den Besonderheiten seiner Praxis, insbesondere dass er die Patienten

  • direkt am Empfangstresen ohne Vorbestellung empfangen,
  • die Versichertenkarte eingelesen,
  • die Patienten befragt und
  • anschließend die Diagnose und Maßnahme dokumentiert habe.

Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit lag dabei auf der Ausstellung von Rezepten, Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und Attesten.

Merke | Überschreitungen in den Zeitprofilen stellen zunächst lediglich ein Indiz – keinen originären Abrechnungsverstoß – dafür dar, dass vertragsärztliche Leistungen ggf. nicht korrekt abgerechnet worden sind.
Veranlasst durch die auffällig erhöhten Zeitprofile, muss die KV dann durch weitere Prüfungen feststellen, ob tatsächlich Fehler bei der Abrechnung gemacht worden sind.

Entscheidungsgründe

Das LSG Berlin-Brandenburg ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Versichertenpauschalen im vorliegenden Fall – jedenfalls zum Teil – falsch abgerechnet worden sind und die Honorarrückforderung der KV daher letztlich rechtmäßig war.

Der EBM erfordert bei der hausärztlichen Versichertenpauschale als einzig obligaten Leistungsinhalt einen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt.

Nr. 4.1 EBM

Die Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschalen sind von den in der Präambel der entsprechenden arztgruppenspezifischen oder arztgruppenübergreifenden Kapitel genannten Vertragsärzten beim ersten kurativ-ambulanten oder kurativ-stationären (belegärztlich) persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt oder Arzt-Patienten-Kontakt im Rahmen einer Videosprechstunde gemäß Anlage 31b zum Bundesmantelvertrag – Ärzte (BMV – Ä) im Behandlungsfall zu berechnen. […]

Hierfür reicht es nach Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg nicht aus, dass ein bloßer Kontakt zwischen Arzt und Patient am Anmeldetresen stattfindet. Für die Abrechnung der Versichertenpauschale muss es sich gemäß Nr. 4.1. des EBM um einen kurativ-ambulanten Kontakt handeln. Es muss also auch eine Behandlung des Patienten stattfinden.

Merke | Unter einer kurativen Behandlung ist die Feststellung bzw. das Erkennen einer Erkrankung, deren Heilung oder Linderung zu verstehen (§ 27 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch V).

Konkret bedeutet das, dass der Arzt-Patienten-Kontakt auf die Feststellung des Vorliegens bzw. Nichtvorliegens einer Erkrankung ausgerichtet ist und ggf. auf die Ergreifung von Behandlungsmaßnahmen abzielen muss, die die Krankheit heilen oder lindern.

Es reicht also nicht aus, wenn eine bloße Befragung am Empfangstresen für den Grund des Besuchs des Patienten stattfindet und diese Informationen dann lediglich in medizinische Fachtermini und Diagnosen übersetzt werden, ohne dass sich der Arzt von dem Vorliegen der Symptome tatsächlich überzeugt.

Konsequenzen für die Praxis

Die Rechtsprechung des LSG Berlin-Brandenburg gilt nicht nur für die hausärztliche Versichertenpauschale, sondern ebenso für alle übrigen fachärztlichen Grund- und Konsiliarpauschalen, die einen persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt als obligaten Leistungsinhalt voraussetzen.

Im Kern heißt das, dass ein bloßes „Hallo“ des Arztes (bspw. auf dem Flur) nicht zur Abrechnung der Pauschalen berechtigt.

Auch wenn es im zugrunde liegenden Fall eine Rolle spielte, dass sich die Begegnungen zwischen dem Hausarzt und seinen Patienten ausschließlich am Empfangstresen abgespielt haben, ist nach der LSG-Rechtsprechung tatsächlich aber nicht die Umgebung an dem der Arzt-Patienten-Kontakt stattfindet entscheidend, sondern der medizinische Inhalt dieses Kontakts.

Mit anderen Worten: Ein Arzt-Patienten-Kontakt am Empfangstresen der Praxis kann grundsätzlich mit der Versicherten-, Grund- oder Konsiliarpauschale abgerechnet werden, wenn es sich dabei um eine kurative Behandlung handelt.

Merke | Aus der bloßen Abrechnung einer EBM-Position folgt nicht, dass der Leistungsinhalt korrekt erfüllt wurde, die Abrechnung also richtig ist. Der Nachweis, dass eine EBM-Leistung vollständig erbracht wurde und damit richtig abgerechnet wurde, gelingt nur über eine ausreichende Dokumentation der ärztlichen Leistungen.
Im Fall der Versichertenpauschale genügt damit nicht allein die Dokumentation des Kontaktzeitpunkts, der Diagnose und der veranlassten Maßnahme, sondern welche kurativen Maßnahmen stattgefunden haben (wie bspw. die Anamnese, Befundung etc.).

Zu guter Letzt: Es sollte stets berücksichtigt werden, dass eine kurative Behandlung an sensiblen „Schwachstellen“ wie dem Praxisempfang aus Datenschutzgründen ausgeschlossen sein kann.

FAZIT | Letztlich sollte im Praxisalltag also vor dem Hintergrund der EBM-Voraussetzungen und des Datenschutzes ein angemessen sorgfältiger Umgang mit der Abrechnung von Versicherten-, Grund- und Konsiliarpauschalen gepflegt werden, wenn der kurative Arzt-Patienten-Kontakt außerhalb der Behandlungsräume stattfindet. Ausgeschlossen ist dies im Hinblick auf die Abrechnung jedoch nicht.
Weiterführende Hinweise
  • Neue Verordnungsmöglichkeiten per Videosprechstunde (ohne persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt; AAA 01/2024, Seite 10)
  • Für das Einlesen der Versichertenkarte ohne Behandlung gibt es keine Rechtfertigung (AAA 10/2021, Seite 13)
  • Kurativer und präventiver ICD-10-Code nebeneinander (zur Abrechnung der Grund-/Versichertenpauschale; AAA 09/2021, Seite 6)
  • Konsultation am Empfangstresen reicht zur Abrechnung der Versichertenpauschale aus (zum Urteil der Vorinstanz [SG Berlin]; AAA 12/2020, Seite 12)
  • Abrechnung der Versichertenpauschale nach EBM-Nr. 03000 bei präventiven Leistungen (AAA 10/2019, Seite 1)
  • Substitutionsbehandlung ohne persönlichen APK: Ärztin muss 610.000 Euro Honorar zurückzahlen (AAA 06/2019, Seite 12)
  • Lohnt sich eine Samstagssprechstunde? (AAA 08/2018, Seite 9)

AUSGABE: AAA 3/2024, S. 10 · ID: 49932785

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