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Reform des MutterschutzesÄnderungen beim MuSchG ab dem 1.6.25
| Am 30.1.25 beschloss der Bundestag durch Änderung des MuSchG einen verbesserten Mutterschutz nach einer Fehlgeburt. Am 14.2.25 ließ der Bundesrat das Gesetz durch Einspruchsverzicht passieren. Der Mutterschutz nach einer Entbindung mit Fehlgeburt wird erweitert. Was ändert sich ab 1.6.25? |
1. Hintergrund
Das MuSchG regelt den rechtlichen Schutz der schwangeren Frau. Das Gesetz ermöglicht es der Frau, ihre Beschäftigung oder sonstige Tätigkeit in dieser Zeit ohne Gefährdung ihrer Gesundheit oder der ihres Kindes fortzusetzen. Es wirkt Benachteiligungen während der Schwangerschaft, nach der Entbindung und in der Stillzeit entgegen. Die Mutterschutzfrist, also der Zeitraum, in dem die schwangere Frau nicht arbeiten darf, beginnt normalerweise sechs Wochen vor dem errechneten Geburtstermin. Sie endet normalerweise acht Wochen nach der Geburt, soweit die schwangere Frau sich nicht zur Arbeitsleistung ausdrücklich bereit erklärt. Sie kann diese Erklärung jederzeit mit Wirkung für die Zukunft widerrufen. Bislang hatten Mütter, die ein Kind vor der 24. Woche durch eine Fehlgeburt verloren, allerdings keinen Anspruch auf den achtwöchigen Mutterschutz.
Praxistipp | Bislang besteht für Frauen bis zum Ablauf von vier Monaten nach einer Fehlgeburt nach der zwölften Schwangerschaftswoche lediglich ein Kündigungsverbot nach § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 MuSchG. |
Der Begriff „Entbindung“ ist im MuSchG bislang nicht näher definiert. Vor diesem Hintergrund griff die bisherige höchstrichterliche Rechtsprechung des BAG (2.12.13, 8 AZR 838/12) zur Bestimmung des Begriffs „Entbindung“ auch auf die Personenstandsverordnung zur Abgrenzung von Fehl- und Totgeburten zurück. Das BAG führte hierzu aus: „Unter ‚Entbindung‘ ist grundsätzlich die ‚Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib‘ zu verstehen, was bei einer Lebendgeburt vollkommen unproblematisch ist“. Im Falle einer Totgeburt wurde bis 1994 von einer Entbindung gesprochen, wenn die Frucht eine Körperlänge von 35 cm hatte. Nach einer Änderung der Personenstandsverordnung, entsprechend den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO von 1977, gelten nunmehr Kinder als tot geboren oder in der Geburt verstorben, wenn das Gewicht der Leibesfrucht mindestens 500 g betragen hat. Auch eine solche Totgeburt ist als Entbindung anzusehen. Dies gilt auch im Fall eines Schwangerschaftsabbruchs, wenn sich das Kind schon bis zu einem Stadium entwickelt hatte, in dem es zu einem selbstständigen Leben – wenn auch nur kurz – grundsätzlich fähig war. Eine tot geborene Leibesfrucht von geringerem Körpergewicht als 500 g gilt dagegen als Fehlgeburt, § 31 Abs. 3 PStV, die keine Entbindung im Sinne des Mutterschutzgesetzes bedeutet.“
Das BVerfG (21.8.24, 1 BvR 2106/22) wies zwar eine Verfassungsbeschwerde zum Mutterschutz nach Fehlgeburten, die sich gegen § 3 Abs. 2 bis 4 MuSchG richtete, als unzulässig zurück. Es formuliert jedoch Bedenken wegen der unzureichenden gesetzlichen Regelung und der Auslegung durch das BAG.
In der BVerfG-Entscheidung führten die Richter aus: „Denn der Gesetzgeber stellte bei Einführung des mutterschutzrechtlichen Kündigungsverbots bei Fehlgeburten ausdrücklich klar, dass er die durch die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Auslegung des Begriffs ‚Entbindung‘ vorgenommene Bezugnahme auf die Personenstandsverordnung aus medizinischer Sicht und nach Intention des Mutterschutzgesetzes für nicht sachgerecht erachtet (vgl. BT-Drs 18/8963, S. 87 f.; vgl. BR-Drs 230/16, S. 99). Die Zwecksetzung der Personenstandsverordnung unterscheidet sich damit grundsätzlich von den Regelungen des § 3 Abs. 2 bis 4 MuSchG, die eine störungsfreie Regeneration der nach der Entbindung in besonderer Weise schonungs- und pflegebedürftigen Frau sowie eine Intensivierung des Kontakts zum neu geborenen Kind ermöglichen sollen. Es ist mit Blick auf diese unterschiedlichen Zielsetzungen nicht ausgeschlossen, dass die Gerichte bei Auslegung der mutterschutzrechtlichen Bestimmungen unter Berücksichtigung der Interessenlage eine ‚Entbindung‘ auch im Falle einer Fehlgeburt annehmen oder im Lichte des Artikel 6 Absatz 4 GG für geboten erachten“.
Bisher wurde (wird) angesichts dieser Rechtsauslegung bei den Mutterschutzfristen (§ 3 MuSchG) zwischen Fehl- und Totgeburt unterschieden. Um eine Totgeburt handelt es sich, wenn das Gewicht des Kindes mindestens 500 Gramm beträgt oder die 24. Schwangerschaftswoche erreicht wurde. In diesen Fällen hat die Mutter ein Anrecht auf 18 Wochen Mutterschutz und Mutterschaftsgeld. Stirbt der Embryo hingegen vorher und wiegt unter 500 Gramm, wird von einer Fehlgeburt gesprochen. In diesen Fällen besteht nach bislang geltender Rechtslage kein Anspruch auf Mutterschutz.
2. Kritik am Unterschied zwischen Fehl- und Totgeburt
Die aktuelle Rechtslage führt bislang zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Betroffenen einer Tot- und einer Fehlgeburt, die schon länger heftig kritisiert wurde. Zwar können aktuell Frauen nach einer Fehlgeburt im Falle einer Arbeitsunfähigkeit Lohnfortzahlung im Krankheitsfall (§ 3 EFZG) erhalten. Dies setzt jedoch eine aktive Krankschreibung einer Ärztin oder eines Arztes voraus. Eine mögliche Krankschreibung wird in vielen Fällen der konkreten psychischen und körperlichen Belastungssituation der Frauen aber nicht gerecht.
Mit einer am 5.7.24 gefassten Entschließung auf Initiative der Länder Saarland, Niedersachsen und Hamburg forderte der Bundesrat die Bundesregierung auf, für Betroffene von Fehlgeburten Schutzfristen im Sinne des MuSchG einzuführen. Nach ca. 20 Schwangerschaftswochen seien die Embryos bereits so weit entwickelt, dass entbunden werde müsse und Schwangere einen Geburtsvorgang erlebten. Für eine Reform des Mutterschutzes sprächen neben der Gleichbehandlung psychologische Aspekte, da eine Fehlgeburt oft eine traumatische Erfahrung darstelle. Bisher bliebe ihnen nur die ärztliche Krankschreibung. Durch eine Erweiterung des Mutterschutzes könne daher verhindert werden, dass sich Frauen nach einer Fehlgeburt unnötigen Belastungen am Arbeitsplatz aussetzten.
3. Verbesserter Mutterschutz nach Entbindung
Der Bundestag reagierte am 30.1.25 auf Empfehlung des Familienausschusses auf die Kritik des Bundesrats und beschloss einstimmig das Mutterschutzanpassungsgesetz (MuSchAnpG). Das Gesetz sieht vor, Unklarheiten bezüglich des Begriffs „Entbindung“ auszuräumen. Dieser wird nunmehr gesetzlich definiert. Ferner klärt das neue Gesetz Beschäftigungsverbot und Beschäftigungsmöglichkeit einschließlich der sozialrechtlichen Erstattung an den ArbG. Ferner erfolgt unter dem Aspekt der Gleichbehandlung eine entsprechende Anpassung mutterschutzrechtlicher Sonderregelungen; dies betrifft Frauen, die vom MuSchG nicht erfasst werden, wie beispielsweise Beamtinnen oder Soldatinnen.
Der Bundesrat verzichtete am 14.2.25 auf einen Einspruch und ließ damit das vom Bundestag beschlossene MuSchAnpG passieren. Dieses wurde am 27.2.25 verkündet (BGBl. I Nr. 59).
4. Wesentlicher Inhalt des MuSchGAnpG
a) Neuregelung des Entbindungsbegriffs und der Schutzfristen im MuSchG
Der Entbindungsbegriff wird ausdrücklich in § 2 Abs. 6 MuSchG n. F. geregelt. Eine Entbindung ist danach „eine Lebend- oder eine Totgeburt. Die Regelungen zur Entbindung finden im Falle einer Fehlgeburt ab der 13. Schwangerschaftswoche entsprechende Anwendung, soweit nicht in diesem oder einem anderen Gesetz Abweichendes geregelt ist“.
Generell gilt nach der Geburt für Mütter eine achtwöchige Schonfrist, in der sie nicht arbeiten dürfen. Bislang hatten Mütter, die ein Kind vor der 24. Woche durch eine Fehlgeburt verloren, allerdings keinen Anspruch auf den achtwöchigen Mutterschutz. Nun soll der Mutterschutz für Frauen nach einer Fehlgeburt bereits ab der 13. Woche gestaffelt gelten. Folgende Schutzfristen sind im Gesetz (§ 3 Abs. 5 MuSchG n. F.) ab 1.6.2025 vorgesehen:
- ab der 13. Schwangerschaftswoche bis zu zwei Wochen;
- ab der 17. Schwangerschaftswoche bis zu sechs Wochen;
- ab der 20. Schwangerschaftswoche bis zu acht Wochen.
Mit der Einführung der Mutterschutzfristen ab der 13. Schwangerschaftswoche wird auch dem Umstand Rechnung getragen, dass im Allgemeinen die Schwangerschaft der Frau aus psychologischer Sicht als „sicher“ bewertet wird und sich die Bindung der Mutter zu ihrem ungeborenen Kind ab diesem Zeitraum besonders intensiviert.
Praxistipp | Eine redaktionelle Folgeänderung betrifft die Mutterschutz- und Elternzeitverordnung, die angepasst wird. |
Die Änderung von § 9 Abs. 6 S. 2 MuSchG („Frau nach der Entbindung“) trägt dem Umstand Rechnung, dass der ArbG einen Nachweis über die Fehlgeburt verlangen kann. Die Änderung in § 32 MuSchG trägt dem Umstand Rechnung, dass besondere Mutterschutzfristen bei Fehlgeburten ab der 13. Schwangerschaftswoche gelten, gegen die der ArbG nicht verstoßen darf.
b) Anpassung der Mutterschutzverordnung für Soldatinnen
Das MuSchuG gilt nicht für Soldatinnen, die sich in der Dienstzeit in einem besonderen Gewaltverhältnis befinden. Um eine Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) für schwangere Soldatinnen zu gewährleisten, wird auch die Mutterschutzverordnung für Soldatinnen beim Entbindungsbegriff und der Neuregelung der Mutterschutzfristen angepasst.
c) Beschäftigungsverbot nach Fehlgeburt
Ein Beschäftigungsverbot nach der Fehlgeburt soll nur gelten, sofern sich die betroffene Frau nicht ausdrücklich zur Arbeit bereit erklärt; dies entspricht der schon bislang geltenden Rechtslage bei Totgeburten. Betroffene Frauen werden damit künftig nicht mehr auf eine Krankschreibung einer Ärztin oder eines Arztes nach einer Fehlgeburt angewiesen sein.
d) Änderungen beim Mutterschaftsgeld
Wegen der Änderungen des Mutterschutzes müssen auch die Regelungen für das Mutterschaftsgeld nach § 24i Abs. 3 SGB V angepasst werden. Das Mutterschaftsgeld wird für die Zeit der Schutzfrist nach § 3 MuSchG sowie für den Entbindungstag gezahlt. Für die Zahlung des Mutterschaftsgeldes vor der Entbindung ist das Zeugnis eines Arztes oder einer Hebamme maßgebend, in dem der voraussichtliche Tag der Entbindung angegeben ist. Für Mitglieder, deren Arbeitsverhältnis während der Schutzfristen nach § 3 MuSchG beginnt, wird das Mutterschaftsgeld von Beginn des Arbeitsverhältnisses an gezahlt.
Praxistipp | Der ArbG der betroffenen Frau hat im Fall eines entsprechenden Beschäftigungsverbots Anspruch auf Erstattung der mutterschutzrechtlichen Leistungen im Rahmen des U2-Umlageverfahres in Höhe von 100 %. |
5. Inkrafttreten
Die Änderungen im Mutterschutzrecht nach Fehlgeburten treten nach Verkündung des MuSchAnpG im Bundesgesetzblatt (BGBl. I Nr. 59 vom 27.2.25) am 1.6.25 in Kraft.
- Mutterschutzgesetz (MuSchG) vom 23.5.17, BGBl. I S. 1228, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23.10.24, BGBl. I Nr. 323
- Mutterschutzanpassungsgesetz, BT-Drs. 20/14231: iww.de/s12654
- Beschlussempfehlung BT-Drs. 20/14783: iww.de/s12655
- BR-Drs. 34/25 v. 14.2.25: iww.de/s12656
- Entschließung des Bundesrats BR-Drs. 289/24 (B) vom 5.7.24: iww.de/s12657
AUSGABE: AA 4/2025, S. 70 · ID: 50359723