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Außerordentliche KündigungGrobe Beleidigung des Vorgesetzten in einem Vier-Augen-Gespräch = fristlos raus
| Grob ehrverletzende, diffamierende und von erheblicher Missachtung der Person geprägte Äußerungen über Vorgesetzte oder Kollegen in einem Vier-Augen-Gespräch am Arbeitsplatz können die außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Dies gilt dann, wenn der ArbN nach den Umständen und dem Inhalt des Gesprächs im Einzelfall nicht davon ausgehen kann, dass seine Äußerungen als vertraulich eingeordnet und behandelt werden. |
Sachverhalt
Der 22-jährige unverheiratete ArbN war seit 2011 beim ArbG als Packer und Kommissionierer beschäftigt. Der Einsatz erfolgte am Standort A, für den ein Betriebsrat gewählt ist.
In einem Schreiben im Jahr 2019 ermahnte der ArbG den ArbN wegen seines aggressiv wirkenden Auftretens und unangemessenen Tonfalls gegenüber dem Schichtleiter B.. Dies geschah in der Schicht vom 9.10.19, als dieser ihm bestimmte Arbeiten zuweisen wollte. Hier wurde der ArbN dazu aufgefordert, sich künftig respektvoll und kollegial im Umgang mit Arbeitskollegen und Führungskräften zu verhalten. Zudem sollte er Meinungsverschiedenheiten und Unstimmigkeiten auf sachlicher Ebene klären sowie den Arbeitsanweisungen seiner Vorgesetzten Folge leisten. Unter gleichem Datum erhielt er eine schriftliche Abmahnung. Ihm wird vorgehalten, nach der in der Ermahnung angesprochenen verbalen Auseinandersetzung mit dem Schichtleiter B. eine Entsorgungskiste auf eine mit Produkten bestückte Palette geworfen zu haben.
Eine weitere Abmahnung erhielt der ArbN im März 2021. Gegenstand hier sind Äußerungen des ArbN, die am 17.2.21 in einem Klärungsgespräch nach Schichtende fielen. Anlass waren Differenzen zwischen dem ArbN und seinem unmittelbaren Vorgesetzten C.. Der Schichtleiter D. wurde hinzugezogen, der ArbN bezeichnete den Vorgesetzten C. als „Arschlecker von E.“ und drohte diesem mit dem Worten: „Wir können auch nach draußen gehen. Ich finde Dich sowieso“. Daraufhin beendete der Schichtleiter die Unterredung, um eine Eskalation zu vermeiden.
Am Montag, den 27.9.21 sei um etwa 16.00 Uhr dem Vorgesetzten C. aufgefallen, dass der ArbN nicht die ihm zugewiesene Tätigkeit im Hochregallager verrichtet habe, sondern an einer Maschine („Wickler“) tätig gewesen sei. Als der ArbN der Aufforderung, die ihm zugewiesene Tätigkeit auszuführen nicht nachgekommen sei, habe der Vorgesetzte den Schichtleiter D. hinzugezogen. Der ArbN habe die beiden Gesprächspartner als „Polen-Mafia“ und „schlechte Menschen“ bezeichnet. Gegenüber einem anderen ArbN bezeichnete er den Vorgesetzten C. mehrfach als „Hurensohn“ und erklärte weiter, er wolle diesem „den Kopf abschneiden“. Dieser andere ArbN informierte insoweit noch am selben Tag den Schichtleiter D.. Der ArbG hörte den Betriebsrat mit Schreiben vom 8.10.21 zu einer außerordentlich-fristlosen, vorsorglich fristgerechten Tat- und Verdachtskündigung an. Mit E-Mail vom 12.10.21 teilte der Betriebsratsvorsitzende der Personalabteilung mit, dass man sich gemäß abschließender Beschlussfassung des Gremiums zu beiden Kündigungen nicht äußern werde. Mit Schreiben vom gleichen Tag kündigte der ArbG das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, vorsorglich fristgerecht.
Entscheidungsgründe
Das LAG Hamm (14.7.22, 8 Sa 365/22, Abruf-Nr. 231368) kam zum gleichen Ergebnis wie das Arbeitsgericht und wies die Kündigungsschutzklage ab. Der ArbG habe im Hinblick auf die außerordentliche Kündigung einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zur sofortigen Auflösung des mit dem ArbN begründeten Arbeitsverhältnisses gehabt.
Bei der Konkretisierung der Rücksichtnahmepflichten aus § 241 Abs. 2 BGB seien die grundrechtlich geschützten Interessen beider Parteien und dabei insbesondere das Grundrecht des ArbN auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG zu berücksichtigen. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit greife jedoch nicht grenzen- und schrankenlos ein. So könnten nach ständiger BAG-Rechtsprechung zwar auch überspitzte und erkennbar polemische Äußerungen im betrieblichen Kontext vom Schutz der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG umfasst sein. Hingegen seien Formalbeleidigungen, bloße Schmähkritik und bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen grundrechtlich nicht geschützt. Von Schmähkritik außerhalb des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG sei dabei auszugehen, wenn jenseits aller Polemik und Überspitzung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein die Diffamierung der anderen Person im Vordergrund steht bzw. ein sachliches Anliegen gegenüber der gewollten persönlichen Kränkung völlig in den Hintergrund trete.
Gemessen an diesen Maßstäben könne sich der ArbN hinsichtlich seiner Äußerungen „Hurensohn“ und „den Kopf abschneiden“ nicht auf das Recht auf Meinungsfreiheit berufen. Die Bezeichnung „Hurensohn“ ziele auf die Abstammung des Betroffenen und den Bereich seiner familiären Verbundenheit ab. Es ginge um die Verächtlichmachung des Anderen und darum, ihn auf der persönlichsten Ebene als beliebiges und zufälliges Produkt einer zumal moralisch missbilligten Geschäftsbeziehung zu brandmarken, damit quasi zu versachlichen und so als Person schmerzlich zu treffen. Es handele sich um eine Formalbeleidigung im Sinne der BVerfG-Rechtsprechung.
Die weitere Äußerung des ArbN, er werde dem Vorgesetzten C. „den Kopf abschneiden“ könne man als Drohung mit einer Tötung oder als Ankündigung körperlicher Gewalt verstehen. Im Kontext mit „Hurensohn“ handele es sich um eine Schmähkritik am Vorgesetzten. Denn diesem werde sein Recht auf körperliche Existenz abgesprochen sowie verbunden damit angekündigt, ihn einer besonders entwürdigenden Art der Tötung überantworten zu wollen. Damit habe der ArbN nicht nur den Bereich von Polemik oder Überspitzung überschritten, sondern den Kontext einer sachlichen Auseinandersetzung um eine am Arbeitsplatz erteilte Weisung verlassen und allein noch auf die Verächtlichmachung des Vorgesetzten gezielt.
Zwar könne ein Erfahrungssatz dahin angenommen werden, dass anfechtbare Äußerungen über Vorgesetzte, etwa überspitzte bzw. polemische Kritik, Lästerei sowie eine plakative politische Einordnung, sofern sie im Kollegenkreis erfolgen, regelmäßig in der sicheren Erwartung geschehen, dass diese nicht über den Kreis der Gesprächsteilnehmer hinausdringen werden. Entscheidend sei jedoch, ob der ArbN sicher davon ausgehen durfte, dass die beteiligten Kollegen die Äußerungen für sich behalten werden, also ob die Äußerungen in einer abgeschirmten Sphäre fallen und Ausdruck eines besonderen Vertrauens sind, weshalb mit ihrer Weitergabe nicht gerechnet werden müsse.
Gemessen daran habe der ArbN hinsichtlich seiner Äußerungen, „Hurensohn“ und „den Kopf abschneiden“ nicht erwarten können, dass diese für sich behalten und insbesondere nicht an Vorgesetzte weitergegeben würden. Es könne dahinstehen, ob der ArbN nicht die Weiterleitung dieser Äußerungen an den Vorgesetzten C. beabsichtigt habe, um diesen erneut einzuschüchtern. Denn das Gespräch mit dem anderen ArbN habe während der Arbeitszeit in der Logistikhalle, nicht aber in einem privaten Kontext und auch nicht in einem abgegrenzten und geschützten Bereich, wie in einem Pausen- oder Waschraum, stattgefunden. Eine besondere persönliche oder in anderer Weise enge Vertrauensbeziehung habe zwischen dem ArbN und Kollegen bestanden. Der ArbN habe seine Äußerungen nicht mit einem besonderen Vertraulichkeitshinweis gekennzeichnet, womit diese nach den Beteiligten und ihren gesamten äußeren Umständen nicht in einer besonders geschützten, sondern in einer durchaus gelockerten Gesprächssituation gefallen seien.
Entscheidend trete hinzu, dass der ArbN dabei nicht nur mit der schon eingeordneten Wortwahl „Hurensohn“ den Grenzbereich des Erträglichen deutlich überschritten habe. Vielmehr sei mit der Ankündigung „den Kopf abzuschneiden“ eine mindestens zweideutige Erklärung abgegeben worden, die den anderen ArbN durchaus dazu veranlassen konnte, dies als ernsthafte Ankündigung massiver körperlicher Gewalt gegenüber einem weiteren Kollegen oder gar dessen Tötung verstehen zu können. Der ArbN habe damit rechnen müssen, dass der Gesprächspartner diese im Interesse der persönlichen und körperlichen Integrität des angesprochen Vorgesetzten C. weitergeben werde oder sich dazu verpflichtet fühlte.
Die außerordentliche Kündigung stelle sich auch als im Einzelfall geeignetes, erforderliches und im engeren Sinne verhältnismäßiges Mittel dar, um das Interesse des ArbG an störungs- und spannungsfreien betrieblichen Abläufen für die Zukunft zu gewährleisten. Die weitere Zusammenarbeit mit dem ArbN war ihm aufgrund einer nach dem Vorfall vom 27.9.21 zu stellenden negativen Zukunftsprognose nicht weiter zuzumuten. Insbesondere müsse er sich zur Wahrung ihrer Interessen nicht auf mildere Mittel wie eine weitere Abmahnung oder die ordentliche Kündigung verweisen lassen.
Soweit der ArbN die Ermahnung und vor allem die Abmahnung als nicht bestimmt genug oder nicht einschlägig betrachtet, sei dies offensichtlich seiner Interessenlage geschuldet. Denn während die Ermahnung zunächst einen klaren Verhaltensrahmen vorgab, lasse die genannte Abmahnung durch wörtliche Zitate, eine deutliche Beanstandung des angesprochenen Verhaltens, eine klar formulierte Erwartungshaltung für die Zukunft und eine unverkennbare Kündigungsandrohung für den Wiederholungsfall weder in ihrer Bestimmtheit noch in ihrer Aussage Unklarheiten oder Interpretationsspielräume aufkommen.
Dabei sei bei der Erfassung, Bewertung und Abwägung der Einzelfallumstände zugunsten des ArbN durchaus einzubeziehen, dass seine folgenden drastischen Äußerungen allein in einem Vier-Augen-Gespräch mit einem Dritten, und damit nicht gegenüber dem Betroffenen, einer Mehrzahl von Kollegen oder gar gegenüber einer breiten Betriebsöffentlichkeit gefallen seien. Dies entlaste ihn jedoch vorliegend nicht entscheidend, weil er mit der Ankündigung „den Kopf abzuschneiden“ graduell eine nochmalige Steigerung seiner vorausgehenden verbalen Fehlgriffe gezeigt habe.
Zwar hab der ArbG die Kündigung gegenüber dem Betriebsrat und zunächst auch im Prozess primär und ausdrücklich nicht auf den Tatvorwurf, sondern auf den dringenden Verdacht des beschriebenen Fehlverhaltens gestützt. Diese beiden an sich gesondert zu betrachtenden, jeweils eigenständigen Kündigungsgründe ständen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Werde die Kündigung aufgrund eines vom ArbG im Vorfeld ermittelten und danach angenommenen Sachverhalts gerade und sogar ausschließlich mit dem Verdacht einer Pflichtwidrigkeit begründet, stehe aber auf dessen Grundlage unter Würdigung der tatsächlichen Umstände und nach Verwertung etwaiger Beweismittel für das befasste Gericht indessen die Pflichtwidrigkeit als solche fest, so lasse dies die Wirksamkeit der Kündigung unberührt.
Der ArbG habe die Kündigungserklärungsfrist gem. § 626 Abs. 2 BGB eingehalten. Vorliegend sei die Personalabteilung am 28.9.21 über die relevanten Vorfälle in der Spätschicht des Vortags informiert worden. Nach § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB ende die Kündigungserklärungsfrist folglich mit Ablauf des Dienstags der übernächsten Woche, mithin mit Ablauf des 12.10.21. Der Zugang des Kündigungsschreibens sei an eben diesem Tag gegen 22.00 Uhr bewirkt worden. Die außerordentliche Kündigung sei nicht gem. § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam. Der ArbG habe zu Ablauf und Inhalt des Anhörungsverfahrens schlüssig und umfassend vorgetragen, ohne dass daraus insoweit relevante Verfahrensfehler oder Informationsdefizite erkennbar seien.
Relevanz für die Praxis
Auch wenn ein mehrfach durch ehrrührige, beleidigende oder gar bedrohende Äußerungen gegen Vorgesetzte auffällig gewordener ArbN entsprechende Äußerungen gegenüber einem oder mehreren Kollegen abgibt, kann dieses Verhalten einen wichtigen Grund nach § 626 Abs. 1 BGB für eine fristlose Kündigung bilden. Wie das LAG Hamm klarstellt, kann sich der ArbN in solchen Konstellationen auch nicht stets erfolgreich darauf berufen, auf die Vertraulichkeit eines Gesprächs im Kollegenkreis und die Nichtweitergabe der Äußerungen vertraut zu haben. Ein solches Vertrauen ist nämlich nur bei entsprechender persönlicher Nähebeziehung und einem entsprechenden Ort und Inhalt der Äußerungen gerechtfertigt.
AUSGABE: AA 3/2023, S. 39 · ID: 49205162