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Verhaltensbedingte KündigungStrafrechtliche Relevanz entbindet ArbN nicht von der Darlegung des Kündigungsgrunds

Abo-Inhalt27.04.20224978 Min. Lesedauer

| Der ArbG trägt auch dann die Beweislast für den von ihm behaupteten Kündigungs- bzw. Auflösungsgrund, wenn das betreffende Verhalten des ArbN den Tatbestand der üblen Nachrede i. S. v. § 186 StGB erfüllen würde. |

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung und einen Auflösungsantrag der ArbG sowie über die vorläufige Weiterbeschäftigung der ArbN. Der ArbG erbringt mit regelmäßig mehr als zehn ArbN Dienstleistungen für seine Alleingesellschafterin, u. a. im Bereich Infopoints/Callcenter. Dort war die ArbN eingesetzt. Ende März 2019 entschied der ArbG, die Funktion der Teamleiterin der Infopoints von Frau R auf Frau P zu übertragen. Am 8.4.19 sandte die ArbN eine mit „Die Mitarbeiter des Infopoints“ unterzeichnete E-Mail an den Vorstand der Alleingesellschafterin des ArbG. Darin wurde verlangt, dass Frau R „in der Funktion unserer Teamleitung verbleibt“, unter Frau P gehe es „drunter und drunter“.

Nachdem sie von der Geschäftsführung des ArbG mehrfach aufgefordert worden war, die Vorwürfe zu erläutern und die Urheber der E-Mail zu benennen, nahm die ArbN mit zwei auf den 28.5.19 datierten Schreiben Stellung, die mit „Die Mitarbeiter des Infopoint“ bzw. „Mehrere Mitarbeiter des Infopoint“ unterzeichnet waren. Dort schilderte sie diverse Vorfälle mit einer Durchsuchung des Infopoints durch den Sicherheitsdienst. Hierbei habe Frau P die Mitarbeiter wegen angeblicher Verstöße gegen das Datenschutzrecht beschimpft sowie dazu aufgefordert, den Vorfall „unter den Teppich zu kehren“ und „Stillschweigen zu bewahren“. Frau P wehre konsequent Meldungen über Fehlverhalten des Sicherheitsdienstes ab. Der ArbG hörte den Betriebsrat an und kündigte dann das Arbeitsverhältnis. Dagegen wandte sich die ArbN.

Das Arbeitsgericht gab dem Kündigungsschutzantrag statt. Das LAG wies die Berufung des ArbG zurück und seinen Auflösungsantrag ab.

Entscheidungsgründe

Das BAG (16.12.21, 2 AZR 356/21, Abruf-Nr. 227965) kam zum Ergebnis, dass mit der Begründung des LAG weder die Berufung gegen das der Klage stattgebende erstinstanzliche Urteil zurück- noch der zweitinstanzlich angebrachte Auflösungsantrag hätte abgewiesen werden dürfen. Ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung aufgelöst worden sei, könne der Senat nicht entscheiden. Das führe zur Aufhebung des gesamten Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LAG (§ 563 Abs. 1 ZPO). Das LAG habe dem Kündigungsschutzantrag zu Unrecht mit der Begründung entsprochen, die Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Zwar habe das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei gemeint, der Versand der E-Mail vom 8.4.19 an den Vorstand der Alleingesellschafterin des ArbG rechtfertige – vorbehaltlich der darin enthaltenen falschen Angaben zur Urheberschaft – die Kündigung ohne vorherige Abmahnung nicht.

Jedoch sei das Berufungsgericht rechtsfehlerhaft zu der Annahme gelangt, die ArbN habe durch die von ihr verfassten Schreiben vom 28.5.19 ihre arbeitsvertraglichen Pflichten nicht „gravierend“ verletzt. Es habe verkannt, dass hinsichtlich der darin geschilderten Vorgänge nicht bloß die „Wahrnehmung und Bewertung“ durch die Parteien auseinandergehe. Vielmehr solle die ArbN nach dem Vorbringen des ArbG bewusst unwahre, ehrenrührige Tatsachenbehauptungen aufgestellt haben. Das betreffe namentlich – aber nicht allein – ihre Behauptung, Frau P habe im Zusammenhang mit den Vorkommnissen im Juni 2017 Mitarbeiter des Infopoints aufgefordert, den Vorfall „unter den Teppich zu kehren“ und „Stillschweigen zu bewahren“.

Zudem fehle es an jeder Begründung durch das LAG, warum in der wahrheitswidrigen Behauptung der ArbN, es stünden alle oder doch mehrere Mitarbeiter des Infopoints hinter der E-Mail vom 8.4.19 und den Schreiben vom 28.5.19, keine besonders schwere, unmittelbar den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdende Pflichtverletzung gelegen habe. Das sei jedenfalls in Bezug auf die Schreiben vom 28.5.19 nicht offenkundig. Denn diese enthalten konkrete, weiteren Verfassern zugeschriebene Tatsachenbehauptungen und seien erst versandt worden, nachdem der ArbG durch die Bitte um Konkretisierung klar gemacht habe, dass es ihm auch auf die (Zahl der) Urheber ankomme.

Relevanz für die Praxis

An dem Grundsatz, dass den ArbG nicht nur die primäre Darlegungs-, sondern ggf. auch die Beweislast für den von ihm behaupteten Kündigungs- bzw. Auflösungsgrund treffe, änderte es zum einen nichts, dass das fragliche Verhalten der ArbN zugleich den Tatbestand der üblen Nachrede i. S. v. § 186 StGB erfüllen könne. Das gelte nach dem BAG schon deshalb, weil die strafrechtliche Beurteilung des inkriminierten Verhaltens für die kündigungs- bzw. auflösungsrechtliche Bewertung nach § 1 Abs. 2, § 9 Abs. 1 KSchG ohne Belang sei.

Zum anderen verschiebt sich die Beweislast nicht deshalb, weil es um den Beweis einer negativen Tatsache geht. Eine solche Beweisführung unterliege zwar für die beweisbelastete Partei im Allgemeinen besonderen Anforderungen. Doch sei den Schwierigkeiten, denen sich die Partei gegenüberstehe, die das Negativum (das Nichtvorliegen einer Tatsache) beweisen müsse, im Rahmen des Zumutbaren regelmäßig dadurch zu begegnen, dass sich der Prozessgegner auf die bloße Behauptung des Negativen durch den primär Darlegungs- und Beweispflichtigen seinerseits nicht mit einem einfachen Bestreiten begnügen dürfe. Er müsse vielmehr im Rahmen einer sekundären Darlegungslast vortragen, welche tatsächlichen Umstände für das Vorliegen des Positiven sprächen. Dem Beweispflichtigen obliege sodann (nur) der Nachweis, dass diese Darstellung nicht zutreffe. Dieser Nachweis könne von der beweisbelasteten Partei auch mithilfe von Indizien erbracht werden.

Weiterführende Hinweise
  • Coronaleugnern kann gekündigt werden: Arbeitsgericht Darmstadt in AA 22, 40
  • Weitergabe fremder Daten führt zur Kündigung: LAG Köln in AA 22, 24

AUSGABE: AA 5/2022, S. 75 · ID: 48209799

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