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UnternehmensnachfolgeDie Rechtsstellung des Erwerbers gegenüber dem ArbN nach dem Betriebsübergang – Teil 2
| Nachdem es im ersten Teil um den Eintritt in die Rechte und Pflichten des Betriebsveräußerers durch den Erwerber in Hinblick auf Zahlungs-, Herausgabeansprüche und Fristen im Allgemeinen ging, beschäftigt sich der zweite Teil mit spezielleren Problemen, wie Optionen, Urlaub, dem Zeugnis und der Insolvenz. |
1. Entgelt, Aktienoptionen, Urlaub und Zeugnis – sonstige Pflichten des Erwerbers
Neben der Hauptleistungspflicht zur Lohnzahlung tritt der Erwerber auch in die Pflichten des Veräußerers zur Gewährung sonstiger (arbeits-)vertraglich zugesagter Leistungen ein. Dies ist bei Lohn- und Gehaltsansprüchen und deren Surrogaten, wie Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall nach §§ 3, 4 EFZG unproblematisch. Es kann aber bei bestimmten Ansprüchen, insbesondere wenn eine klare vertragliche Regelung fehlt, im Einzelfall zu Abgrenzungsproblemen führen. Fraglich kann dann sein, ob sich der ArbN nur an seinen alten Vertragspartner, den Veräußerer, oder wie gesetzlich als Regelfall vorgesehen, an den Erwerber als neuen Arbeitsvertragspartner halten kann.
Für Stock Options und andere Vereinbarungen zwischen ArbN und ArbG über die Gewährung oder den Kauf von Anteilen des ArbG-Unternehmens zu bestimmten Bedingungen unter im Einzelnen geregelten Voraussetzungen gilt zunächst, dass diese wie ein Gehaltsbestandteil sonstiger Art zu behandeln sind. Sie gehen also im Fall des Betriebsübergangs abhängig von der konkreten Ausgestaltung der Optionsansprüche auf den Erwerber über. Gegebenenfalls ist dann im Rahmen ergänzender Auslegung dieser Bestimmungen das Bezugsrecht anzupassen, wenn der Erwerberbetrieb die Voraussetzungen für die Erfüllung des Bezugsrechts weder durch Kapitalerhöhung noch durch Ausgabe neuer eigener Aktien schaffen kann.
Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob für den Fall eines künftigen Betriebsübergangs im Optionsvertrag selbst eine Verfallklausel und damit der Ausschluss des Übergangs des Bezugsrechts auf den Erwerber vereinbart werden kann (offengelassen von BAG 12.2.03, 10 AZR 299/02). Die Antwort dürfte von der Ausgestaltung des Optionsrechts im Einzelfall abhängen.
Ähnliches gilt auch für die ausdrücklich oder konkludent vereinbarte Möglichkeit des vergünstigten Einkaufs von Waren oder Dienstleistungen, die der ArbG anbietet (sogenannter Personaleinkauf). Auch solche Leistungen des ArbG gelten als Entgelt im weiteren Sinn, sodass entsprechende Verpflichtungen des Veräußerers im Fall des Betriebsübergangs auf den Erwerber übergehen. Dies gilt aber nur dann und solange der Erwerber die entsprechenden Waren oder Dienstleistungen nach dem Übergang des Betriebs noch selbst fertigt oder anbietet. Mit dem Ende eines solchen Angebots erlischt regelmäßig auch die Pflicht des Erwerbers zur Weitergewährung einer solchen Vergünstigung (BAG 7.9.03, 9 AZR 631/03).
Beachten Sie | Die Rabattierung von Produkten oder Dienstleistungen von Drittanbietern ist dem Erwerber nämlich zugunsten der übergegangenen Belegschaft regelmäßig unzumutbar.
Auch im Fall einer Werkdienstwohnung nach § 576b BGB gehört das Wohnrecht (anders als bei der Werkmietwohnung nach §§ 576, 576a BGB) zu den arbeitsvertraglich zugesagten Leistungen und geht mit dem Arbeitsverhältnis selbst auf den Erwerber über.
Der Anspruch auf Gewährung oder Abgeltung nach § 7 Abs. 4 BUrlG des (anteilig) im Arbeitsverhältnis zu dem Veräußerer entstandenen Erholungsurlaubs hat der Erwerber so zu erfüllen, als hätte das Arbeitsverhältnis zum Veräußerer ohne den Übergang des Betriebs weiter fortbestanden. Der Anspruch auf tatsächliche Gewährung des Erholungsurlaubs in natura wandelt sich durch den Betriebsübergang auch nicht etwa in einen Abgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG um (BAG 18.11.03, 9 AZR 95/03).
Zeugniserteilungsansprüche nach § 109 Abs. 1 GewO muss nach dem Betriebsübergang der Erwerber und nicht mehr der Veräußerer des Betriebs erfüllen. Dies gilt unabhängig von der Dauer des Bestands des Arbeitsverhältnisses zu dem Erwerber nach dem Betriebsübergang und selbst, wenn der Erwerber den oder die übergegangenen ArbN gar nicht persönlich kennt (BAG 16.10.07, 9 AZR 248/07).
In solchen Fällen fehlt dem Erwerber regelmäßig die für die Zeugniserteilung notwendige Kenntnis über den Verlauf des Arbeitsverhältnisses. Daher billigt die Rechtsprechung dem Erwerber einen Auskunftsanspruch gegenüber dem Veräußerer zu. Nur so kann nämlich der Zeugniserteilungsanspruch vom Erwerber gegenüber dem ArbN sinnvoll erfüllt werden.
2. Beschränkte Haftung des Erwerbers bei Betriebsübergang in der Insolvenz
Auch bei einem Betriebsübergang im Rahmen eines Insolvenzverfahrens, etwa durch Erwerb eines Betriebs vom Insolvenzverwalter, sind die übergegangenen Arbeitsverhältnisse nach § 613a BGB geschützt. Sie bestehen also mit dem bisherigen Inhalt beim Erwerber fort (BAG 25.10.07, 8 AZR 917/06).
Gleichwohl wird im Insolvenzfall wegen der Besonderheiten des Insolvenzverfahrens und zur Vermeidung der Privilegierung der früheren ArbN des Insolvenzschuldners eine teleologische Reduktion des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB zugunsten des Betriebserwerbers vorgenommen. Dieser haftet bei einem Betriebsübergang in der Insolvenz nicht nach § 613a BGB für Ansprüche der ArbN gegenüber dem Insolvenzschuldner, die bereits bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestanden haben (grundlegend: BAG 17.1.80, 3 AZR 160/79, BAG 14.11.12, 5 AZR 778/11).
Damit beschränkt sich die Haftung des Erwerbers auf Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO, also Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, deren Erfüllung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausdrücklich vom Insolvenzverwalter oder dem Erwerber verlangt worden ist. Dabei ist für die Haftungsprivilegierung des Erwerbers maßgeblicher Zeitpunkt des Betriebsübergangs der Zeitpunkt, in dem der Erwerber als neuer Inhaber des Betriebs die Geschäftstätigkeit tatsächlich weiterführt oder wieder aufnimmt (EuGH 26.5.05, C-478/03, dem folgend: BAG 21.2.08, 8 AZR 77/07).
Diese Haftungsprivilegierung des Erwerbers in der Insolvenz kann oft zu Unstimmigkeiten hinsichtlich des Zeitpunkts des Übergangs zwischen den betroffenen ArbN und dem Erwerber führen. Das BAG versucht dies durch eine abgestufte Regelung der Darlegungs- und Beweislast zu lösen (BAG 26.3.96, 3 AZR 965/94).
Nach dem grundlegend vom 3. Senat des BAG aufgestellten Modell muss zunächst der Erwerber den nach seiner Auffassung maßgeblichen Zeitpunkt des Erwerbs des Betriebs (oder Betriebsteils) in der Insolvenz nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens darlegen und beweisen. Beruft sich der betroffene ArbN nach diesem Vortrag weiterhin auf die unbeschränkte Haftung des Erwerbers, muss er konkrete Tatsachen darlegen, aus denen sich ergibt, dass der Erwerber schon vor dem von ihm behaupteten Zeitpunkt die Möglichkeit hatte, die Leitungsmacht über den Betrieb, also die personellen, sachlichen und immateriellen Betriebsmittel, auszuüben. Dies ist allerdings mit einem bloßen Hinweis auf den Stand der Übernahmeverhandlungen zu einem bestimmten Zeitpunkt, etwa durch Wiedergabe entsprechender Presseberichte, nicht getan.
- Die Rechtsstellung des Erwerbers gegenüber dem ArbN nach dem Betriebsübergang – Teil 1 in AA 22, 67
- Transformierte Normen bei mehreren Betriebsübergängen anwenden: BAG in AA 20, 49
- 10 häufige Probleme bei der Unternehmensnachfolge, Teil 1 und 2 in AA 19, 159 und 178
AUSGABE: AA 5/2022, S. 87 · ID: 48211744