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HaftungsrechtZahnarzthaftungsprozesse sind keine Selbstläufer: Gericht bestätigt hohe Hürden für Patienten
| Ein Patient verklagte seine ehemalige Zahnärztin u. a. auf Schmerzensgeld und Folgekosten. Er behauptete, die von ihr im Unterkiefer eingegliederte Brücke habe von Anfang an nicht gepasst. Die Okklusion sei fehlerhaft gewesen, was zu dauerhaften Schmerzen geführt habe. Das Landgericht (LG) Köln wies nach Einholung des Sachverständigengutachtens die Klage ab, das Oberlandesgericht (OLG) Köln bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung (Beschlüsse vom 10.04. und 13.05.2025, Az. 5 U 129/24). |
Inhaltsverzeichnis
Die Entscheidungsgründe
Nach den gerichtlichen Feststellungen habe der Kläger nicht beweisen können, dass ein Behandlungsfehler vorgelegen habe. Der gerichtliche Sachverständige habe weder nach persönlicher Untersuchung noch nach Auswertung der Dokumentation der vor- und nachbehandelnden Zahnärzte Fehler verifizieren können. Der Zustand, wie er nach Eingliederung bestanden habe, sei zudem zwischenzeitlich verändert worden. Die Brücke habe sich nicht mehr im Mund befunden. Feststellungen zur Okklusion hätten so nicht mehr getroffen werden können.
Die zentralen Botschaften des OLG
Die Ausführungen des OLG enthalten eine Vielzahl wichtiger Merksätze, mit denen sich nicht nur Patienten, sondern auch Zahnärzte und deren Anwälte befassen sollten. Eine konfliktsensitive Strategie beginnt vor Zustellung einer Klageschrift. Sie beinhaltet Kenntnisse und Bewusstsein über relevante Fakten.
Darlegungs- und Beweislast liegt beim Patienten
Das OLG führt eingehend aus, dass der beweisbelastete Patient einen Behandlungsfehler nicht bewiesen hat. Grundsätzlich gilt: Wer Ansprüche behauptet, muss den Beweis erbringen. Danach trägt regelmäßig der Patient die Darlegungs- und Beweislast für von ihm behauptete Behandlungsfehler. Der Vollbeweis setzt voraus, dass es sachverständige Feststellungen gibt, auf deren Basis das Gericht urteilen kann. Das war hier nicht der Fall.
Versorgung noch in situ
Das Gericht betont, dass für valide Feststellungen das Vorhandensein der Versorgung in situ ausschlaggebend war. Feststellungen zu Okklusion, Passung, Stufenbildung und Randspalt können Sachverständige erfahrungsgemäß nur aufgrund eigener Wahrnehmung anhand der eingegliederten Versorgung treffen. Wird der beanstandete Zahnersatz – wie hier – vor der Begutachtung entfernt, scheitert die Klage häufig schon am Sachverständigenbeweis.
Privatgutachter und Nachbehandler sind keine Sachverständigen
Zu Recht hält das OLG fest: Die medizinisch-sachverständige Bewertung der Befunde und die Begutachtung der umstrittenen Behandlung sind gerichtlichen Sachverständigen vorbehalten. Grundsätzlich sind weder Privatgutachter noch Nachbehandler geeignete (sachverständige) Zeugen zur Frage der Fehlerhaftigkeit der Behandlung. Bei beiden ist eben der Anschein einer mangelnden Objektivität nicht von der Hand zu weisen. Ihre Einschätzungen ersetzen mithin kein gerichtliches Gutachten. Zutreffend verweist das OLG auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), wonach eine Vernehmung der behandelnden Ärzte als (sachverständige) Zeugen entbehrlich ist, wenn das Ergebnis ihrer Befundung schriftlich niedergelegt, vom Sachverständigen gewürdigt und in die Beweiswürdigung einbezogen worden ist. Das war geschehen.
Einschleifmaßnahmen sind üblich, kein Indiz für Fehler
Es entspricht dem Praxisalltag, dass der Zahnersatz nicht auf Anhieb sitzt. Die erste Eingliederung darf Folgekorrekturen auslösen. Dass eine Brücke eingeschliffen wird, lässt allein keinen Rückschluss auf einen Standardverstoß zu. Die Notwendigkeit von Einschleifmaßnahmen im Rahmen des Prozesses des Einsetzens und Gewöhnens an den Zahnersatz ist üblich – das hebt das OLG zu Recht im Einklang mit der Position anderer Gutachter und weiterer obergerichtlicher Rechtsprechung hervor.
Fristlose Kündigung des Behandlungsvertrags jederzeit möglich
Nach § 627 BGB darf ein Zahnarzt das Behandlungsverhältnis aufgrund des besonderen Vertrauens und Dienstleistungscharakters grundsätzlich jederzeit lösen. Im Ausgangsfall hatte der Patient die Zahnärztin beschimpft und Therapieempfehlungen ignoriert; die sofortige Beendigung war zulässig.
Fazit | Die Entscheidung zeigt (wieder einmal), dass Zahnarzthaftung vor allem auf Patientenseite kein Selbstläufer ist. Wer klagt, muss Zeit und Kosten investieren, darlegen und beweisen, benötigt die Feststellungen eines gerichtlichen Sachverständigen und muss dazu den unveränderten Zahnersatz tragen. Das ist durchaus ein Problem, weil oft der ungeliebte Zahnersatz so schnell wie möglich entfernt werden soll.
Praxistipp | Eine sorgfältige Dokumentation liefert wie immer entscheidende Hinweise für den Behandlungsverlauf. Ist die Behandlung danach gut nachvollziehbar, erscheint sie weniger angreifbar. Wenn Patienten unmittelbar nach Eingliederung des Zahnersatzes Beschwerden haben, sollten diese ernst genommen werden. Allerdings sollten Versorgungen nicht voreilig entfernt oder übermäßig beschliffen werden. Patienten sollten darüber aufgeklärt werden, dass Nachjustierungen und Gewöhnungsphasen normal sind. Eine gute Kommunikation der Behandlungsschritte und möglicher Ergebnisse schützt vor überzogenen Erwartungen. Gerade bei dem Großteil der gesetzlich versicherten Patienten können Zahnärzte zudem nach – vergeblicher – Nachbesserung souverän anbieten, ein Begutachtungsverfahren einzuleiten. Und zum Thema Begutachtungen jeglicher Art: Das sind Meinungsäußerungen, Stellungnahmen, Bewertungen. Ein professioneller Umgang rundet das Bild einer ordnungsgemäßen Behandlung ab.
AUSGABE: ZP 10/2025, S. 5 · ID: 50515398