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RechtsprechungFehlerhafte Verwendung des Medikaments Toxavit

Abo-Inhalt03.06.2024546 Min. LesedauerVon Anja Mehling, RAin und FAin für MedR, Hamburg

| Die Verwendung des Medikaments Toxavit zur Devitalisation der Pulpa ist seit Jahrzehnten in der Diskussion. Toxavit ist immer noch im Einsatz. Während das Oberlandesgericht (OLG) Hamm (Urteil vom 24.10.2006, Az. 26 U 171/05) und das OLG Köln (Urteil vom 12.01.2005, Az. 5 U 96/03) die Verwendung vor rund 20 Jahren als schlechterdings unverständlich und danach als grob fehlerhaft eingestuft haben, verneinte das OLG Jena in seinem aktuellen Urteil vom 23.01.2024 einen groben Behandlungsfehler eines Zahnarztes. Der Patient konnte den ihm obliegenden Beweis für die behaupteten gesundheitlichen Folgen nicht führen (Az. 7 U 1170/22). |

Behandlung mit Toxavit war fehlerhaft

Das OLG hielt fest, dass die Behandlung mit dem Medikament behandlungsfehlerhaft gewesen sei. Dabei stützten sich die gerichtlichen Feststellungen auf den hinzugezogenen zahnmedizinischen Sachverständigen. Diesem zufolge entsprach die Mortaltechnik, d. h. die Abtötung des noch schmerzreaktiven Nervengewebes zum Zweck der Schmerzbeseitigung unter Verwendung des Medikaments Toxavit, nicht mehr dem gegenwärtigen zahnmedizinischen Kenntnisstand. Nach den Ausführungen des Gerichts ergaben sich aus der Behandlungsdokumentation des Zahnarztes auch keine Voraussetzungen für das Vorliegen eines Ausnahmefalls zur Verwendung.

Patient trägt grundsätzlich Darlegungs- und Beweislast für kausalen Gesundheitsschaden

Grundsätzlich trägt der Patient die Darlegungs- und Beweislast für eine Pflichtverletzung des Arztes, das Vorliegen eines Behandlungsfehlers, den Eintritt eines Körper- oder Gesundheitsschadens, die Kausalität zwischen dem Behandlungsfehler und dem Körper- oder Gesundheitsschaden und dem Sachverhalt, aus dem sich ein Behandlungsverschulden begründet. Lediglich in dem Fall, dass ein grober Behandlungsfehler vorliegt und dieser grundsätzlich geeignet ist, eine Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich war.

Kein grober Behandlungsfehler

Das OLG wertete die Anwendung von Toxavit als nicht grob fehlerhaft. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) ist ein Verhalten dann grob fehlerhaft, wenn der Arzt eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln oder gesicherte medizinische Erkenntnisse verstoßen und einen Fehler begangen hat, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf. Bei der Einstufung eines ärztlichen Fehlverhaltens als grob handelt es sich um eine juristische Wertung, die dem Tatrichter und nicht dem Sachverständigen obliegt. Dabei muss diese wertende Entscheidung des Tatrichters jedoch in vollem Umfang durch die vom ärztlichen Sachverständigen mitgeteilten Fakten getragen werden und sich auf die medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens durch den Sachverständigen stützen können (vgl. BGH-Urteil vom 26.06.2018, Az. VI ZR 285/17).

Das OLG berücksichtigte in diesem Zusammenhang, dass das Medikament Toxavit nach wie vor im Handel erhältlich und in Deutschland als Arzneimittel zugelassen ist. Zwar werde in der zahnmedizinischen Fachliteratur von der Anwendung von Mortaltechniken abgeraten und die Anwendung von Devitalisationsmedikamenten wie Toxavit wegen ungünstiger Nutzen-Risiko-Verhältnisse kritisch gesehen. Dabei handele es sich aber um eine S1-Leitlinie, eine durch ärztliche Fachgremien gesetzte Handlungsempfehlung, die nicht unbesehen mit dem medizinischen Standard gleichzusetzen sei, und damit um eine Expertenmeinung, von der abgewichen werden könne. Schon deshalb könne die Anwendung des Medikaments Toxavit nicht als schlechterdings unverständlich beurteilt werden. Zudem könne das Medikament in bestimmten Ausnahmesituationen verwendet werden, wenngleich ein solcher Ausnahmetatbestand nicht dokumentiert sei. Das Medikament sei eingebracht worden, um die Schmerzen des Patienten zu lindern. Gänzlich unverständlich erscheine die Anwendung nicht.

Der Patient konnte allerdings nicht beweisen, dass seine Beschwerden, die von ihm erlittene Entzündung des Kieferknochens, auf die Medikation zurückzuführen ist. Der Sachverständige hatte sogar ausgeschlossen, dass diese durch die Behandlung mit dem Medikament Toxavit verursacht worden sei. Zwar könne die Entzündung durch die Anwendung grundsätzlich verursacht werden. Voraussetzung sei indes ein Kontakt des Medikaments Toxavit mit dem Kieferknochen, der nicht gegeben gewesen sei. Das gelte für den (provisorischen) Verschluss ebenso wie für einen Kontakt über den Wurzelkanal.

Das OLG verneinte zudem einen Behandlungsfehlervorwurf wegen des Vorwurfs der fehlenden oder unzureichenden therapeutischen Sicherungsaufklärung. Dem Patienten sei mitgeteilt worden, dass er sich binnen zehn Tagen in die weitere Behandlung eines Zahnarztes begeben müsse. Das genüge den Anforderungen an eine therapeutische Sicherungsaufklärung, die Benennung des Medikaments sei hingegen nicht erforderlich. Schließlich blieb auch die erhobene Risikoaufklärungsrüge erfolglos. Zwar hatte der Zahnarzt nach Ansicht des Gerichts seine Pflicht zur Risikoaufklärung verletzt. Daraus sei jedoch kein Gesundheitsschaden entstanden.

Fazit | Selbst wenn das OLG den Behandlungsfehler als grob eingestuft hätte, wäre die Klage abgewiesen worden. Denn wie ausgeführt, war ein Ursachenzusammenhang zwischen Fehler und behaupteten Schaden ausgeschlossen. Nach dem Stand der zahnmedizinischen Wissenschaft und Kenntnis ist die Verwendung des Medikaments Toxavit zur Devitalisierung der Zahnpulpa allenfalls notfallmäßig zulässig. Die Verwendung sollte daher sorgfältig geprüft und auf absolute Ausnahmefälle beschränkt bleiben.

AUSGABE: ZP 6/2024, S. 5 · ID: 50041275

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