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Kfz-VersicherungKaskoversicherung: So lässt sich ein Unfall- vom Betriebsschaden richtig abgrenzen

Abo-Inhalt28.07.2023498 Min. LesedauerVon Nicole Vater, Fachanwältin für Verkehrsrecht, Regensburg

| In der Vollkaskoversicherung ist der Unfallschaden versichert, ein Betriebsschaden in aller Regel nicht. Kein Wunder also, dass darüber insbesondere in „Grenzfällen“ heftig gestritten wird. VVP stellt Ihnen die aktuellen Spielregeln vor und gibt Ihnen einen Überblick über die neueste Rechtsprechung zu verschiedenen Fallgruppen. |

Das ist die vertragliche Regelung in der Kasko

Kaskorecht ist Vertragsrecht. Hinsichtlich des Versicherungsumfangs gibt es keine gesetzlichen Mindestanforderungen. Nahezu alle Kaskoversicherer orientieren sich jedoch an den Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB) des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Die AKB 2015 mit Stand 28.09.2022 lauten hierzu wie folgt:

A.2.2.2.2

Versichert sind Schäden am Fahrzeug durch Unfall

Ein Unfall ist ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis. Keine Unfallschäden sind deshalb insbesondere:

  • Schäden am Fahrzeug, die ihre alleinige Ursache in einem Bremsvorgang haben, z. B. Schäden an der Bremsanlage oder an den Reifen.
  • Schäden am Fahrzeug, die ausschließlich aufgrund eines Betriebsvorgangs eintreten, z. B. durch falsches Bedienen, falsches Betanken oder verrutschende Ladung.
  • Schäden am Fahrzeug, die ihre alleinige Ursache in einer Materialermüdung, Überbeanspruchung oder Abnutzung haben.
  • Schäden zwischen ziehendem und gezogenem Fahrzeug oder Anhänger ohne Einwirkung von außen, z. B. Rangierschäden am Zugfahrzeug durch den Anhänger.
  • Verwindungsschäden.

Vorhersehbare Beschädigungen des Fahrzeugs, die üblicherweise im Rahmen der bestimmungsgemäßen Verwendung des Fahrzeugs entstehen, gelten nicht als Unfallschaden. Beispiel: Schäden an der Ladeoberfläche eines Lkw durch Beladen mit Kies.

Der Betriebsschaden ist somit der Gegenbegriff zum Unfallschaden.

Einzelne Fallgruppen im Lichte der Rechtsprechung

Die folgenden Beispiele und Fallgruppen aus der Rechtsprechung verdeutlichen die teils diffizile Unterscheidung:

Fallgruppen in der Rechtsprechung

Fallgruppe

Entscheidung

  • Kollision Zugfahrzeug- und Anhänger
  • Kommt ein Anhänger aufgrund von unerwartet starken Spurrillen auf der Autobahn ins Schleudern und prallt gegen den Pkw, so muss dafür die Kraftfahrzeugversicherung haften. Denn die Spurrillen stellen eine äußere, mechanische Einwirkung auf das Fahrzeug dar (BGH, Urteil vom 19.12.2012, Az. IV ZR 21/11, Abruf-Nr. 130507). An einer Einwirkung von außen fehlt es dagegen etwa bei einem Material- oder Bedienungsfehler, der sich auf eines der Fahrzeuge bezieht, die zu dem Gespann gehören.
  • Von außen stammen Ursachen, die weder vom ziehenden noch vom gezogenen Fahrzeug ausgehen. Solche Ursachen können auch in der Fahrbahnbeschaffenheit oder den Witterungsverhältnissen liegen (OLG Schleswig-Holstein, Urteil vom 30.11.1994, Az. 9 U 62/94, Abruf-Nr. 225690).
  • Verwindungsschäden

Verwindungsschäden gelten als Betriebsschaden, wenn kein ungewöhnliches, von außen her einwirkendes Ereignis vorliegt. Gerade bei Baustellenfahrzeugen sorgt dies für Schwierigkeiten.

  • Ein Betriebsschaden, aber kein von der Vollkaskoversicherung umfasster Unfallschaden liegt vor, wenn sich ein Lkw bei einem Abkippvorgang im Leiterrahmen verwindet, weil ein Sicherungsbolzen fehlt (OLG Koblenz, Beschluss vom 04.03.2010, Az. 10 U 412/09, Abruf-Nr. 103415).
  • Das Einsinken auf der Baustelle ist ebenso wie ein Wegsacken auf frisch aufgeschütteter Erde dem Betriebsrisiko zuzurechnen, wenn keine Besonderheiten vorliegen (OLG Köln, Beschluss vom 28.11.1985, Az. 5 W 47/85, Abruf-Nr. 225691).
  • Kippt ein Anhänger bei einen Betriebsvorgang, z. B. beim Abladen des Schüttgutes von der hochgestellten Ladebrücke des Anhängers um und überträgt sich die Seitenbewegung auf den mit dem Anhänger starr verbundenen Sattelschlepper, so sind die hierdurch an dem Sattelschlepper ausgelösten Verzerrungs- und Verwindungsschäden Betriebsschäden. Dagegen fallen die erst durch das Aufschlagen des Sattelschleppers auf den Boden entstandenen Schäden als Unfallschäden unter den Deckungsschutz der Fahrzeugversicherung (BGH, Urteil vom 02.07.1969, Az. IV ZR 625/68).
  • Kühler- und anschließender Motorschaden

Wurde der Kühler eines Fahrzeugs von außen beschädigt und kommt als Ursache ein von der Straße gegen den Kühler geschleuderter Gegenstand oder ein Anstoß gegen einen Bordstein oder eine Stange in Betracht, muss die Vollkaskoversicherung für den Schaden und den wegen des Wasserverlusts entstandenen Motorschaden eintreten (OLG Koblenz, Urteil vom 11.02.2011, Az. 10 U 742/10, Abruf-Nr. 113365).

  • Motorschaden bei umgekipptem Fahrzeug

Landet ein Fahrzeug aufgrund eines Unfalls schräg im Graben und führt dies bei noch weiterlaufendem Motor zu einem Ölmangelschaden und dadurch zu einem Motorschaden, liegt darin ein mitversicherter Folgeschaden nach dem Unfallereignis. Der Schaden ist nicht beim Betrieb des Fahrzeugs, sondern eben in Folge des Unfalls entstanden (OLG Thüringen, Urteil vom 24.03.2005, Az. 4 U 812/03, Abruf-Nr. 050920).

  • Motorschaden infolge Ölverlusts nach Unfall

Stößt ein fahrendes Fahrzeug mit der Ölwanne gegen ein Hindernis, ist der dabei unmittelbar entstehende Schaden ein Unfallschaden im Sinne der Vollkaskoversicherung. Nimmt der Motor alsbald danach wegen des Ölverlusts Schaden, ist auch das dem versicherten Unfallschaden zuzurechnen. Der Vollkaskoversicherer muss für den gesamten Motorschaden eintreten (LG Zweibrücken, Urteil vom 05.12.2011, Az. 1 O 166/11, Abruf-Nr. 130862).


  • Motorhaube öffnet sich während der Fahrt
  • Ist die Motorhaube nicht richtig verschlossen und schlägt sie während der Fahrt gegen das Fahrzeug, handelt es sich um einen Betriebsschaden (LG Ravensburg, Urteil vom 01.07.2010, Az. 1 S 92/10, Abruf-Nr. 225692).
  • Auch wenn die Motorhaube von außen gegen das Fahrzeug schlägt, handelt es sich bei ihr selbst um ein Bauteil des versicherten Fahrzeugs. Anders würde der Fall zu bewerten sein, wenn über die normale, durch den Fahrbetrieb üblicherweise bedingte physikalische Einwirkung hinausgehende Kräfte einwirken und das Öffnen der Motorhaube bewirken (OLG Hamm, Urteil vom 20.01.1989, Az. 20 U 138/88, Abruf-Nr. 225693).
  • Schlaglöcher
  • Wird bewusst eine schlechte Straße befahren und kommt es dabei zu einem Fahrwerkschaden, stellt dies einen Betriebsschaden dar.
  • Ist hingegen auf einer gut ausgebauten Straße plötzlich ein Schlagloch vorhanden und führt dies zu einem Schaden am Fahrzeug, spricht dies für ein Unfallereignis. Das Schlagloch oder die Beschädigung der Straße wirkt dann von außen mit plötzlicher mechanischer Gewalt ein.
  • Geplatzter Reifen aufgrund von in den Reifen eingefahrenem Gegenstand

Platzt der Reifen eines vollkaskoversicherten Fahrzeugs und entsteht darüber hinaus noch am Fahrzeug selbst ein Schaden, liegt ein vom Versicherungsschutz umfasster Unfallschaden vor, wenn die Ursache des Reifenplatzers ein in den Reifen eingefahrener Gegenstand ist, wie z. B. ein Bolzen oder eine Schraube (LG Karlsruhe, Urteil vom 20.08.2013, Az. 9 O 95/12, Abruf-Nr. 132745).

  • Fahrzeug kippt vom Wagenheber

Kippt ein Fahrzeug vom Wagenheber und kommt es durch den Aufprall zu einem Schaden am Fahrzeug, so ist dies ein Unfallschaden. Im Urteilsfall hatte der Versicherungsnehmer beim Reifenwechsel zu heftig am Rad gerüttelt. Das Fahrzeug rutschte vom Wagenheber. Nach Ansicht des LG Augsburg lag keine falsche Bedienung vor, die zu einem Haftungsausschluss der Kaskoversicherung führe. Die falsche Bedienung beschränkt sich auf Fälle, bei denen es an der plötzlichen Einwirkung von außen fehle. Zudem handele es sich beim Wagenheber, selbst wenn er ein Bordwerkzeug wäre, um kein eigenes Fahrzeugteil (LG Augsburg, Urteil vom 28.02.2014, Az. 012 O 3509/13, Abruf-Nr. 143299).

  • Traktor verliert sein Frontballastgewicht

Verliert ein Traktor sein Frontballastgewicht und fährt im Anschluss darüber, ist der sodann entstehende Schaden nicht von der Kaskoversicherung zu erstatten. Es handelt sich um keinen Unfallschaden, sondern um einen Betriebsschaden. Das Ballastgewicht ist Teil des Traktors. Es soll die Traktion der Vorderräder verbessern. Das Gewicht dient dem bestimmungsgemäßen Gebrauch. Selbst dann, als das Gewicht sich löst und zum Hindernis wird, bleibt es weiter ein Fahrzeugteil. Das Gewicht kann noch nicht als von außen wirkender Gegenstand angesehen werden. Es handelte sich um einen einheitlichen Lebensvorgang, der beim unmittelbar anschließenden Überfahren zumindest noch andauerte (BGH, Beschluss vom 15.05.2013, Az. VI ZR 62/12, Abruf-Nr. 225694).

  • Pflug am Traktor stößt an Böschung

Stößt der an einen Traktor angehängte Pflug beim Abbiegen gegen die Böschung neben dem Feldweg und übertragen sich dadurch Kräfte auf die Hydraulikaufhängung, ist der dadurch entstehende Schaden am Traktor ein in der Vollkaskoversicherung versicherter Unfallschaden (LG Amberg, Urteil vom 09.08.2018, Az. 21 O 103/18, Abruf-Nr. 202960).

  • Hängenbleiben eines Fahrzeugs an einer Hausecke

Bleibt ein Verkaufsfahrzeug mit geöffneter Seitenklappe während der Fahrt an einer Hausecke hängen, ist das ein Ereignis, das unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkt. Damit erfüllt es den Unfallbegriff und ist vom Vollkaskoschutz umfasst (OLG Karlsruhe, Urteil vom 01.06.2021, Az. 9 U 54/19, Abruf-Nr. 224087).

  • Schwelle zu schnell überfahren

Nimmt das Fahrzeug beim zu schnellen Überfahren einer der Verlangsamung dienenden Schwelle Schaden, muss die Vollkasko nicht dafür eintreten (OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2020, Az. 7 U 57/20, Abruf-Nr. 217368).

Wichtig | Das OLG meint, dass die Schwelle nicht in diesem Sinne „von außen“ einwirkt. Die Entscheidung des BGH vom 19.12.2012 (Az. IV ZR 21/11, Abruf-Nr. 130507), wonach sogar Spurrillen eine Einwirkung von außen sein können, hat das OLG zwar zitiert, aber u. E. falsch verstanden.

  • Zusammentreffen von Betriebs- und Unfallschaden

Der Übergang vom Betriebsschaden zum Unfallschaden ist möglich, wenn der Betriebsschaden einen Unfall auslöst. Schäden, die z. B. nach dem Umkippen eines Lkw durch das Aufschlagen auf den Boden entstehen, sind Unfallschäden und keine Betriebsschäden. Abzuziehen ist nur das, was vorher schon kaputt war (BGH, Urteil vom 05.11.1997, Az. IV ZR 1/97, Abruf-Nr. 225695).

Weiterführender Hinweis
  • Übersicht „Unfall- oder Betriebsschaden – Fallgruppen in der Rechtsprechung“ auf vvp.iww.de → Abruf-Nr. 49756852

AUSGABE: VVP 11/2023, S. 22 · ID: 47923067

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