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AnrechnungIsolierte Kostenerstattungsklage: Vorgerichtliche Geschäftsgebühr muss angerechnet werden

Top-BeitragAbo-Inhalt26.01.20244 Min. LesedauerVon Wolf Schulenburg, Geprüfter Rechts- und Notarfachwirt, Berlin

| Erfüllt der erstattungspflichtige Gegner außergerichtlich zwar die geltend gemachte Hauptforderung, verweigert er aber die Erstattung der entstandenen Rechtsanwaltskosten, müssen diese isoliert gerichtlich geltend gemacht werden. Der BGH hat in diesem Zusammenhang geklärt, dass die außergerichtliche Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr dieses Rechtsstreits gemäß Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG angerechnet werden muss. |

Sachverhalt und Entscheidungsgründe

Während die bisherige Rechtsprechung (LG Saarbrücken AGS 07, 291; AG Rosenheim AGS 20, 202; AG Berlin-Mitte JurBüro 15, 576) und die Literatur (z. B. AnwK-RVG/N. Schneider, 9. Aufl., Vorb. 3 VV Rn. 232) bei der isolierten gerichtlichen Geltendmachung der vorgerichtlichen Anwaltskosten eine Anrechnung ausschließen, hat der BGH nun das Gegenteil entschieden. Denn bei den aus der Hauptforderung entstandenen Rechtsanwaltskosten und der in ihr enthaltenen Geschäftsgebühr handelt es sich um denselben Gegenstand i. S. d. Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG (24.10.23, VI ZB 39/21, Abruf-Nr. 238672).

Merke | Der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit im kostenrechtlichen Sinn wird durch das Recht oder das Rechtsverhältnis definiert, auf das sich die Tätigkeit des Anwalts im Rahmen des ihm von seinem Mandanten erteilten Auftrags bezieht. Nach Auffassung des BGH ist dabei keine formale, sondern eine wertende Betrachtungsweise angezeigt und auf die wirtschaftliche Identität abzustellen. Da die Anrechnungsbestimmung den geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand des vorgerichtlich mit der Angelegenheit bereits befassten Anwalts regulieren soll, handelt es sich daher wirtschaftlich betrachtet um denselben Gegenstand.

Dass die vorgerichtliche Hauptforderung und die daraus entstandenen Anwaltskosten einen unterschiedlich hohen Wert haben und damit der Gegenstand nur teilweise identisch ist, ändert nach Auffassung des BGH nichts. In diesem Fall erfolgt die Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 S. 4 VV RVG nur nach dem Wert des Gegenstands, der auch Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens ist. Die Folge ist: Der für die Abrechnung maßgebliche Wert wird durch die Höhe der im gerichtlichen Verfahren geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten bestimmt.

Relevanz der Entscheidung

Die Entscheidung bewirkt, dass die Anrechnung folgendermaßen vorzunehmen ist:

Ausgangsfall
Anwalt A macht mit Schreiben vom 1.11.23 für seinen Mandanten eine Schadenersatzforderung aus einem Verkehrsunfall i. H. v. 10.000 EUR gegenüber dem Gegner geltend. A verlangt daneben die Erstattung der aus dem Gegenstandswert von 10.000 EUR außergerichtlich (§ 23 Abs. 1 S. 3 RVG i. V. m. § 48 Abs. 1 S. 1 GKG, § 3 ZPO) entstandenen Anwaltskosten, also:
1,3-Geschäftsgebühr aus 10.000 EUR, § 14 Abs. 1 RVG, Nr. 2300 Abs. 1 VV RVG

798,20 EUR

Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

155,45 EUR

973,66 EUR

Nachdem der Gegner vorgerichtlich zwar den Schadenersatz, aber nicht die Anwaltskosten zahlt, erhebt A für seinen Mandanten Klage. Nach mündlicher Verhandlung verurteilt das Gericht kostenpflichtig den Gegner zur Zahlung der 973,66 EUR. Der Streitwert wird auf 973,66 EUR festgesetzt (§ 63 Abs. 2 GKG). A berechnet wie folgt:
1,3-Verfahrensgebühr aus 973,66 EUR, Nr. 3100 VV RVG

114,40 EUR

0,65 Anrechnung gemäß § 15a Abs. 1 RVG, Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG

– 57,20 EUR

1,2-Terminsgebühr aus 973,66 EUR, Nr. 3104 VV RVG

105,60 EUR

Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

34,73 EUR

217,53 EUR

Beachten Sie | Der erstattungspflichtige Gegner kann sich im Kostenfestsetzungsverfahren auf die Anrechnung berufen, da mit dem Urteil die Geschäftsgebühr gegen ihn tituliert worden ist (Var. 2 des § 15a Abs. 3 RVG).

Abwandlung 1: Zahlung nach Klagezustellung
Wie im Ausgangsfall, aber der Gegner zahlt nach Zustellung der Klage die vorgerichtlichen Anwaltskosten. Nach übereinstimmender Erledigungserklärung legt das Gericht dem Gegner die Kosten des Rechtsstreits auf (§ 91a Abs. 1 ZPO) und setzt den Streitwert (§ 63 Abs. 2 GKG) auf 973,66 EUR fest. Im Kostenfestsetzungsantrag muss A jetzt die Vergütung nach dem Streitwert (§ 32 Abs. 1 RVG) wie folgt berechnen:
1,3-Verfahrensgebühr aus 973,66 EUR, Nr. 3100 VV RVG

114,40 EUR

0,65 Anrechnung gemäß § 15a Abs. 1 RVG, Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG

– 57,20 EUR

1,2-Terminsgebühr aus 973,66 EUR, Nr. 3104 VV RVG

105,60 EUR

Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

34,73 EUR

217,53 EUR

Beachten Sie | Der erstattungspflichtige Gegner kann sich im Kostenfestsetzungsverfahren auf diese Anrechnung berufen, da er die Geschäftsgebühr unstreitig erfüllt hat (Var. 1 des § 15a Abs. 3 RVG).

Abwandlung 2: Mahn- und Vollstreckungsbescheid
Wie im Ausgangsfall. Nachdem der Gegner vorgerichtlich zwar den Schadenersatz, aber nicht die Anwaltskosten zahlt, beantragt A für seinen Mandanten den Erlass eines Mahnbescheids. Dort trägt A das Folgende ein:
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© IWW Institut
Beachten Sie | Die vorgerichtlichen RA-Kosten sind Teil (Nebenforderung) des vom Unfallgegner zu leistenden Schadenersatzes (vgl. Onderka, RVG prof. 14, 178). Da dieser Teil nun isoliert erstattet werden soll, gibt A im Mahnbescheid weiterhin als Katalog-Anspruch die Katalog-Nr. 29 an (nicht: „Rechtsanwalts-/Rechtsbeistandshonorar“ = Katalog-Nr. 24).
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© IWW Institut
Hier hat A korrekt beachtet: Die bisherigen vorgerichtlichen Anwaltskosten (= 973,66 EUR) werden nach dem bisherigen Gegenstandswert (= 10.000 EUR) eingetragen. Der Anrechnungsbetrag berechnet sich aber nur anhand der Höhe der Anwaltskosten und wird entsprechend eingetragen (Anrechnung Vorbem. 3 Abs. 4 VV = Gebührensatz 0,65 aus Gegenstandswert 973,66 EUR = Anrechnungsbertrag 57,20 EUR netto).
Nach Zustellung des Mahnbescheids beantragt A den Erlass eines Vollstreckungsbescheids, der rechtskräftig wird. Es sind die folgenden Anwaltskosten für das Mahnverfahren entstanden:
1,0-Verfahrensgebühr, Nr. 3305 VV RVG

88,00 EUR

0,65 Anrechnung, §§ 1, 2, 13, 15a Abs. 1 RVG, Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG

– 57,20 EUR

0,5-Verfahrensgebühr, Nr. 3308 VV RVG

44,00 EUR

Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV RVG

20,00 EUR

19 Prozent USt., Nr. 7008 VV RVG

18,01 EUR

112,81 EUR

AUSGABE: RVGprof 2/2024, S. 25 · ID: 49868504

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