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HaftungNeues Schallschutz-Urteil: Worauf Planer bei der Beratung achten müssen

Abo-Inhalt25.06.20257 Min. LesedauerVon Rechtsanwältin und Architektin Aleksandra Gleich, Recht und Räume – Rechtsberatung Architektur –

| Die Erwartungen an die Wohnqualität steigen, gleichzeitig drängt die Politik auf Vereinfachung und Kostensenkung im Wohnungsbau. Konzepte wie der Gebäudetyp E und Debatten um reduzierte Standards prägen die Fachwelt. Doch wie weit darf man Vereinfachungen treiben, ohne die berechtigten Interessen der Nutzer und die zivilrechtlichen Anforderungen an die Planung zu verletzen? Ein klassischer Streitpunkt – das lehrt auch die jüngste Rechtsprechung des OLG Frankfurt – ist der Schallschutz. Erfahren Sie, was das OLG entschieden hat und was das für Ihre Planung und Beratung bedeutet. |

Das Spannungsfeld beim Schallschutz

Während viele Planer in der für den Schallschutz relevanten DIN 4109 einen verlässlichen Maßstab sehen, zeigen aktuelle Entscheidungen der Obergerichte und des BGH: Wer sich allein auf diese Norm beruft, bewegt sich auf dünnem Eis. Denn was vertraglich geschuldet ist, bemisst sich nicht nur an technischen Richtwerten, sondern vor allem an den berechtigten Erwartungen des Bauherrn und an der Frage, wie gut er über Alternativen informiert wurde.

Das Urteil des OLG Frankfurt, bestätigt vom BGH, verdeutlicht die Konsequenzen: Architekten und Ingenieure müssen Schallschutz qualifiziert beraten; auch und gerade dann, wenn die Planungsaufgabe vermeintlich klar erscheint.

Der Fall: Neu errichteter Wohnraum mit alten Problemen

Ausgangspunkt des Verfahrens war die Planung und Bauüberwachung für die Neuerrichtung von drei Wohneinheiten in einer ehemaligen Scheune. Das Gebäude stand unter Denkmalschutz, das Projekt war ambitioniert: Moderne Wohnungen mit Aufzug und gehobenem Ausstattungsstandard sollten entstehen. Der Architekt übernahm die Planungs- und Überwachungsleistungen, allerdings ohne schriftlichen Vertrag. Auch über das Schallschutzniveau gab es keine gesonderten und dokumentierten Absprachen.

Nach Fertigstellung bemängelte der Bauherr gravierende Schallschutzdefizite. Trittschall und Luftschall seien inakzeptabel. Der Architekt verwies darauf, dass die DIN 4109 eingehalten worden sei. Das Gericht gab dennoch dem Bauherrn Recht. Ein erhöhter Schallschutz sei geschuldet gewesen, schon wegen der erkennbaren Nutzung als hochwertiger Wohnraum. Es bestehe ein Anspruch auf Kostenvorschuss zur Mängelbeseitigung.

Die Kernaussage: Mindeststandard genügt nicht

Die Richter stellten klar: Die DIN 4109 definiert lediglich Mindestanforderungen, die die Grenze zur Unzumutbarkeit markieren. Sie stellen keinen Maßstab für durchschnittliche oder gar komfortorientierte Wohnverhältnisse dar. Maßgeblich sei, welches Leistungsziel im Architektenvertrag – ausdrücklich oder durch Auslegung – geschuldet war. Im konkreten Fall war klar, es ging nicht um einfachen Wohnraum, sondern um komfortables, modernes Wohnen. Der Architekt hätte daher entweder einen erhöhten Schallschutz einplanen oder die Entscheidung des Bauherrn für einen abgesenkten Standard dokumentieren müssen (OLG Frankfurt, Urteil vom 30.12.2022, Az. 29 U 192/21, Abruf-Nr. 248673; rechtskräftig durch Zurückweisung der NZB, BGH, Beschluss vom 15.01.2025, Az. VII ZR 9/23).

Das Urteil steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des BGH. Schon 2007 hatte der VII. Zivilsenat klargestellt, dass DIN-Normen keine Rechtsnormen sind und der tatsächliche Standard sich nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik (aaRdT) bemisst. Diese Regeln können über der DIN liegen. Bei modernen Wohngebäuden ist das regelmäßig der Fall.

Die DIN 4109 und was sie wirklich regelt

Die DIN 4109 sichert lediglich eine gewisse Mindestqualität, aber nicht mehr. Sogar die Norm selbst erklärt an mehreren Stellen, dass sie keine Komfortstandards definiert. Genau dort liegt der häufige Irrtum in der Praxis. Wer glaubt, mit der DIN 4109 auf der sicheren Seite zu sein, vergisst, dass das Zivilrecht einen anderen Maßstab anlegt. Die aaRdT orientieren sich an dem, was in Fachkreisen als bewährt, sicher und dem Stand der Technik entsprechend gilt. Sie entwickeln sich dynamisch und viel schneller als viele DIN-Normen.

So ist es nicht verwunderlich, dass die Gerichte in Fällen wie dem vorliegenden regelmäßig feststellen: Der Bauherr durfte erhöhten Schallschutz erwarten. Insbesondere, wenn er nicht über Alternativen aufgeklärt wurde.

Beratungspflicht konkret: Was muss ein Architekt tun?

Die Beratungspflicht des Architekten umfasst nicht nur technische Aspekte, sondern auch wirtschaftliche und funktionale Erwägungen. Wer nicht über unterschiedliche Schallschutzstandards aufklärt, begeht eine Pflichtverletzung, auch ohne konkreten Schaden. Denn der Bauherr kann sich dann nicht bewusst für oder gegen einen bestimmten Standard entscheiden. In der Praxis bedeutet das: Sie müssen proaktiv erläutern,

  • welche Schallschutzniveaus technisch möglich sind,
  • wie diese sich auf Kosten und Ausführung auswirken,
  • welche Anforderungen daraus für Planung, Bauüberwachung und Abnahme folgen und
  • welche Nutzungseinschränkungen bei Verzicht auf erhöhten Schutz denkbar sind.

Hinzu kommt: Als baulicher Laie ist der Bauherr in der Regel nicht in der Lage, eigenständig die Tragweite seiner Entscheidung zu erfassen. Ein wirksamer Verzicht auf aaRdT setzt daher zwingend eine qualifizierte, umfassende und dokumentierte Beratung voraus. Wer rein aus Kostengründen auf Komfortstandards verzichtet, ohne die technischen und funktionalen Auswirkungen zu erläutern, schafft nicht nur schlechte Wohnverhältnisse, sondern öffnet auch die Tür zur Haftung.

Praxistipp | Erstellen Sie eine standardisierte Beratungsunterlage zum Thema Schallschutz und weiteren Themen mit gleichgelagerter Problematik. Diese sollte Unterschiede zwischen Mindest- und erhöhtem Schutz, Beispiele typischer Bauteilkombinationen sowie Empfehlungen für Nutzungsklassen enthalten. Lassen Sie sich die Auswahl durch den Bauherrn unterschriftlich bestätigen, idealerweise als Bestandteil des Architektenvertrags.

Gebäudetyp E: Einfache Standards, komplexe Verantwortung

Die Diskussion um den Gebäudetyp E suggeriert, dass man durch bewusste Vereinfachung von Regeln zu schnellerem und kostengünstigerem Wohnungsbau gelangt. Doch zivilrechtlich bleibt die Verantwortung des Planers gleich: Wer auf technische Standards verzichtet, muss transparent und vollständig beraten.

Erhöhten Schallschutz „wegzuberaten“, nur weil die Kosten drücken, funktioniert nur, wenn der Bauherr die Konsequenzen genau kennt und der Verzicht qualifiziert dokumentiert ist.

Praxistipp | Wenn Sie in Projekten mit vereinfachten Standards arbeiten, legen Sie gemeinsam mit dem Bauherrn ein „Technisches Zielprofil“ fest. Dieses beschreibt das geplante Ausstattungsniveau, etwa analog zur Gebäudeklasse nach DIN 276 und enthält ausdrücklich Hinweise auf Komfortverzicht. Dieses Profil sollte als Anlage zum Vertrag genommen werden.

aaRdT versus DIN: Ein rechtliches Missverständnis

Viele Bauherren und sogar Planer setzen DIN-Normen mit den aaRdT gleich. Das ist gefährlich. Zwar spiegeln viele Normen die aaRdT wider, aber nicht immer. Gerade die DIN 4109 wurde in der Vergangenheit häufig kritisiert. Zu geringe Anforderungen, zu wenig Differenzierung, unklare Bezugnahme auf Nutzungsklassen.

Das OLG Frankfurt a. M. betont deshalb ausdrücklich: Wer sich auf die DIN zurückzieht, obwohl diese nicht dem realen Komfortstandard entspricht, haftet. Umgekehrt gilt: Wer eine vom Standard abweichende Leistung erbringen soll, muss dies vereinbaren und dokumentieren.

Planung und Vertrag: Wie sich Klarheit schaffen lässt

Vertraglich kann der Planer viele Risiken ausschließen, wenn er sie erkennt. Wer z. B. im Vertrag oder in einer technischen Anlage das Leistungsziel klar beschreibt („erhöhter Schallschutz nach Beiblatt 2 zu DIN 4109“), kann sich im Streitfall auf diese Vereinbarung berufen. Fehlt eine solche Regelung, wird der Vertragsinhalt ausgelegt. Dabei kommt es dann stark auf die Nutzung, die Gebäudeart und die erkennbare Erwartungshaltung an.

Praxistipp | Integrieren Sie in Ihre Architektenverträge eine Standardformulierung zur Schallschutzberatung. Beispiel: „Der Auftraggeber wurde über die unterschiedlichen Schallschutzniveaus gemäß DIN 4109 und den allgemein anerkannten Regeln der Technik beraten. Er wählt auf dieser Grundlage folgende Zielqualität: …“. Lassen Sie diesen Passus unterschreiben und im Zweifel mit einem Protokoll hinterlegen.

Dokumentation: Ihre beste Verteidigung

Gerade im Streitfall entscheidet oft nicht das bessere Argument, sondern die bessere Dokumentation. Beratungsgespräche sollten daher stets in nachvollziehbarer Form festgehalten werden. Das beginnt mit einem Beratungsvermerk, geht über die Übergabe von Unterlagen und reicht bis hin zur ausdrücklichen Entscheidung des Bauherrn.

Auch im Planungsverlauf sollte jede technische Entscheidung, die Auswirkungen auf Komfortstandards wie den Schallschutz hat, schriftlich nachvollziehbar gemacht werden, etwa bei der Wahl von Deckenaufbauten, Türsystemen oder Wandkonstruktionen.

Praxistipp | Führen Sie ein „Bauherrenlogbuch“ in digitaler Form. Jeder Beratungspunkt, z. B. zu Schallschutz, Wärmeschutz oder Barrierefreiheit, wird dort mit Datum, Beteiligten, Entscheidungsvermerk und ggf. Unterlagen dokumentiert. Dieses Logbuch hilft nicht nur rechtlich, sondern ist auch eine wertvolle Qualitätssicherung im Planungsteam.

Die Konsequenz für die Praxis

Der Streit um den Schallschutz in denkmalgeschützten Neubauwohnungen zeigt, wie schnell es zu kostspieligen Auseinandersetzungen kommen kann, wenn technische Standards nicht sauber definiert und kommuniziert werden. Als Planer sind Sie gut beraten, Ihre Beratungspflichten ernst zu nehmen, die Erwartungen des Auftraggebers systematisch zu erfragen und die gewählten Standards vertraglich und planerisch sauber zu dokumentieren.

Wer hier sauber arbeitet, kann auch mit vereinfachten Regeln bauen, ohne auf Komfort, Sicherheit oder Rechtssicherheit zu verzichten. Dabei gilt jedoch: Ein bloßes Einverständnis des Bauherrn zur Absenkung von Standards genügt nicht. Die Entscheidung muss informiert, dokumentiert und nachvollziehbar sein. Andernfalls bleibt der Planer in der Verantwortung.

AUSGABE: PBP 7/2025, S. 13 · ID: 50457951

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