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Umsatzsteuer Liebhaberei im Umsatzsteuerrecht?

Abo-Inhalt27.08.20244 Min. Lesedauer von StB Prof. Dr. jur. Annemarie Butz-Seidl, TH Aschaffenburg, Institut für Accounting, Auditing, Restructuring und Taxation (IAART)

| Der Beitrag beschäftigt sich mit der Problematik von dauerdefizitären Tätigkeiten und ihren Auswirkungen im Umsatzsteuerrecht. Denn während die Problematik der „Liebhaberei“ im Einkommensteuerrecht klar umrissen ist und die Rechtsprechung in diesem Bereich wenig Fragen offenlässt, liegen die Auswirkungen im Bereich der Umsatzsteuer nicht ganz so klar auf der Hand. |

Dauerdefizitäre Tätigkeiten im Umsatzsteuerrecht

Der Begriff der „Liebhaberei“ ist fest mit dem Einkommensteuerrecht verbunden und beschreibt steuerliche Aktivitäten, denen die Absicht fehlt, positive Einkünfte zu erzielen. Da Einkunfts- bzw. Gewinnerzielungsabsicht für sämtliche Einkunftsarten des Einkommensteuerrechts verbindliche Voraussetzung ist (vgl. BFH 25.6.84, GrS 4/82, BStBl II 84, 751), liegt bei einer Tätigkeit, die in der Gesamtschau nur verlustreich ist, damit keine einkommensteuerbare Tätigkeit vor.

Im Umsatzsteuerrecht geht es hingegen um Unternehmer, die eine gewerbliche oder berufliche – also wirtschaftliche – Tätigkeit selbstständig ausüben. Gewerblich oder beruflich ist dabei jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt (§ 2 Abs. 1 S. 3 UStG). Nachhaltig ist eine Tätigkeit, die auf Dauer zur Erzielung von Entgelten angelegt sein muss (Abschn. 2.3 Abs. 5 S. 1 UStAE); eine bloß gelegentliche Tätigkeitsausübung ist davon abzugrenzen. Doch können dauerdefizitäre Tätigkeiten zum Verlust der Unternehmereigenschaft führen mit der Folge, dass ein Vorsteuerabzug nicht mehr möglich ist?

Höchstrichterliche Rechtsprechung des EuGH und BFH

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH setzt eine wirtschaftliche Tätigkeit eine entgeltliche Leistungserbringung voraus (vgl. EuGH 12.5.16, C-520/14, DStRE 16, 798). Zusätzlich müssen nachhaltige Einnahmen erzielt werden und es muss sichergestellt sein, dass zumindest die entstandenen Betriebskosten durch die Ausgleichszahlungen gedeckt sind (EuGH 15.4.21, C-846/19, EQ, DStRE 21, 618).

In der Gesamtschau zeigt sich aber, dass der EuGH eine wirtschaftliche Tätigkeit und damit die Unternehmereigenschaft nur in absoluten Ausnahmefällen verneint (EuGH 30.3.23, C-612/21, Gmina O, DStRE 23, 876; C-616/21, Gmina L, MwStR 23, 464) und eine Vielzahl von Aspekten im Einzelfall von Bedeutung sein können (ausführlich dazu Küffner/Zugmaier, DStR 23, 2703 [2706]).

Der BFH hat bei nicht kostendeckenden Entgelten den Begriff der „Asymmetrie“ geprägt:

BFH 22.6.22, XI R 35/19, DStR 22, 2309

„Für die Feststellung, ob eine Dienstleistung gegen Entgelt erbracht wurde und dabei auch zu einer wirtschaftlichen Tätigkeit führt, sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH und des BFH alle Umstände zu prüfen, unter denen die Tätigkeit erfolgt ist. Dabei sind die Umstände, unter denen eine derartige Dienstleistung gewöhnlich erbracht wird, zu vergleichen. Aus einer sog. Asymmetrie den dem Leistenden entstehenden Kosten und den für die Dienstleistung erhaltenen Beträgen kann im Rahmen der erforderlichen Gesamtbetrachtung folgen, dass es an dem erforderlichen Zusammenhang zwischen dem gezahlten Betrag und der Erbringung der Dienstleistung fehlt.“

Bei dauerdefizitären Tätigkeiten ist einzelfallbezogen im Rahmen einer Gesamtschau zu prüfen, ob noch von einer wirtschaftlichen Tätigkeit ausgegangen werden kann oder die Unternehmereigenschaft – wegen fehlender wirtschaftlicher Tätigkeit – nicht besteht, sodass kein Vorsteuerabzug möglich ist. Nach Ansicht des EuGH (26.9.96, C-230/94, Enkler, DStR 96, 1686) reicht es für die Annahme einer wirtschaftlichen Tätigkeit nicht aus, dass eine Dienstleistung gegen Entgelt erbracht wird. Weitere Anhaltspunkte sind zu prüfen.

Empfehlungen für die Praxis

Im Einzelfall sind nach höchstrichterlicher Rechtsprechung im Rahmen einer Gesamtschau für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Tätigkeit beispielhaft folgende Aspekte von Bedeutung:

  • Leistung und entgeltliche Gegenleistung erfolgen aufgrund eines wirksamen Rechtsverhältnisses (EuGH 12.5.16, C-520/14, DStRE 16, 798)
  • Keine „Asymmetrie“ zwischen der Höhe des Entgelts und den Ausgaben (BFH 22.6.22, XI R 35/19, DStR 22, 2309; 15.12.16, V R 44/15, DStR 17, 656)
  • Fremdvergleich hält stand (EuGH 26.9.96, C-230/94, Enkler, DStR 96, 1686 Rn. 28; BFH 22.6.22, XI R 35/19, DStR 22, 2309)
  • Relevante Zahl an Kunden und Einnahmen (EuGH 26.9.96, C-230/94, Enkler, DStR 96, 1686 Rn. 29)
  • Einsatz von eigenem Personal (EuGH 30.3.23, C-616/21, Gmina L)
  • Kostendeckung und Gewinnspanne (EuGH 30.3.23, C-616/21, Gmina L, MwStR 23, 464)

Liegt im Einzelfall eine wirtschaftliche Tätigkeit und damit die umsatzsteuerliche Unternehmereigenschaft vor, ist das Vorsteuerabzugsrecht gerettet.

Fazit | Dauerdefizitäre Tätigkeiten können also im Einzelfall dazu führen, dass in Ermangelung einer wirtschaftlichen Tätigkeit Entgelte nicht mehr der Umsatzsteuer unterliegen und ein Vorsteuerabzug nicht mehr möglich ist – also gibt es doch „Liebhaberei“ in der Umsatzsteuer. Aktuell besteht in der Praxis hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Auswirkungen bei Vorliegen von dauerdefizitären Tätigkeiten Rechtsunsicherheit, da ein gültiges BMF-Schreiben zu dieser Problematik fehlt. Das BMF-Schreiben vom 14.7.00 (IV D 1-S 73303 a-5/00, DStR 00, 1264) wurde durch das BMF-Schreiben zur Eindämmung der Normenflut vom 29.3.07 aufgehoben (IV C 6-O 1000/07/0018, DStR 07, 766).

AUSGABE: GStB 9/2024, S. 327 · ID: 50075452

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