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AnteilsverkäufeIm Brennpunkt: Aktuelle Fallstricke der Grunderwerbsteuer bei Share Deals

Abo-Inhalt01.03.202414 Min. LesedauerVon Dipl.-Finw. Christian Beitler, OAR, Sachgebietsleiter und Dipl.-Finw. Mario Bücher, OAR, Großbetriebsprüfer in der hessischen Finanzverwaltung

| Anteilsverkäufe sind schon aus ertragsteuerlicher Sicht äußerst komplex. Allerdings liegt das Fehlerpotenzial nicht nur aufseiten der Ertragsteuern. Auch aus grunderwerbsteuerrechtlicher Sicht kann sich eine erhebliche Steuerlast ergeben. Die Finanzverwaltung hat mit gleichlautenden Ländererlassen vom 16.10.23 (S 4501, BStBl I 23, 1872) zur grunderwerbsteuerlichen Zurechnung von Grundstücken in mehrstufigen Beteiligungsstrukturen Stellung genommen und dabei auch die Problematik des Signing und Closing verdeutlicht. Nachfolgend werden die Grundsätze dargestellt und anhand von Fallbeispielen erläutert. |

1. Die Grundstückszurechnung aus Sicht der Finanzverwaltung

In den gleichlautenden Ländererlassen vom 16.10.23 hat die Finanzverwaltung die nachfolgend dargestellten Grundsätze zur Grundstückszurechnung aufgestellt. Anlass waren die BFH-Urteile vom 1.12.21 (II R 44/18) und vom 14.12.22 (II R 40/20). Auf die Besonderheiten der Übergangsregelungen des § 23 Abs. 18 bis 22 GrEStG wird in diesem Aufsatz nicht eingegangen (vgl. hierzu: gleichlautende Ländererlasse vom 16.10.23, Rz. 9 bis 10).

Grundsätze
Rz. 2
Ob ein Grundstück zum Vermögen einer Gesellschaft gehört, richtet sich weder nach dem Zivilrecht noch nach § 39 AO. Maßgebend ist die grunderwerbsteuerliche Zurechnung.
Rz. 3
Für Beginn und Ende einer grunderwerbsteuerlichen Zurechnung ist lediglich die Verwirklichung der Tatbestände nach § 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 3a GrEStG entscheidend. Durch die Verwirklichung der Tatbestände nach § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG, die den Übergang auf eine neue Gesellschaft fingieren, ändert sich die grunderwerbsteuerliche Zurechnung nicht.
Rz. 4
Da die Zurechnung nur für die Ergänzungstatbestände nach § 1 Abs. 2a bis 3a GrEStG von Bedeutung ist, kann in diesem Sinne ein Grundstück nur Gesellschaften zugerechnet werden. Eine Zurechnung insbesondere auf natürliche Personen, juristische Personen des öffentlichen Rechts, Stiftungen oder Vereine scheidet aus.
Zurechnung auf eine Gesellschaft (grundbesitzende Gesellschaft)
Rz. 5
Ein Grundstück ist einer Gesellschaft zum Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld für den nach § 1 Abs. 2a bis 3a GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegenden Rechtsvorgang zuzurechnen, wenn die Gesellschaft zuvor in Bezug auf dieses Grundstück einen Erwerbsvorgang verwirklicht hat, der unter § 1 Abs. 1 oder Abs. 2 GrEStG fällt. Mit der Zurechnung ist die Gesellschaft eine grundbesitzende Gesellschaft.
Rz. 6
Für die Ergänzungstatbestände nach § 1 Abs. 2a bis 3a GrEStG ist einer Gesellschaft ein Grundstück dann nicht mehr zuzurechnen, wenn ein Dritter in Bezug auf dieses Grundstück einen Erwerbsvorgang verwirklicht hat, der unter § 1 Abs. 1 oder Abs. 2 GrEStG fällt.
Weitere Zurechnung auf eine andere Gesellschaft
Rz. 7
Neben der grundbesitzenden Gesellschaft ist das Grundstück einer anderen Gesellschaft zum Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld für den Rechtsvorgang, der nach § 1 Abs. 2a bis 3a GrEStG der GrESt unterliegt, zuzurechnen, wenn diese Gesellschaft zuvor hinsichtlich dieses Grundstücks einen Erwerbsvorgang verwirklicht hat, der unter § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG fällt. Das bloße Halten einer Beteiligung in einer bestimmten Höhe ist für eine Zurechnung nicht ausreichend.
Rz. 8
Für die Ergänzungstatbestände nach § 1 Abs. 2a bis 3a GrEStG ist dieser anderen Gesellschaft das Grundstück nicht mehr zuzurechnen, wenn
  • ein Dritter in Bezug auf dieses Grundstück einen unter § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG fallenden Erwerbsvorgang verwirklicht,
  • ihre Beteiligung an der grundbesitzenden Gesellschaft unter die für § 1 Abs. 3 und Abs. 3a GrEStG maßgebende Beteiligungsgrenze sinkt oder
  • der grundbesitzenden Gesellschaft das Grundstück nicht mehr zuzurechnen ist.

Nach Ansicht der Finanzverwaltung hat die Aufhebung bzw. Änderung nach § 16 Abs. 4a GrEStG keine Auswirkung auf die Zurechnung (Rz. 11, 2. Spiegelstrich). Die Ländererlasse sind in allen offenen Fällen anzuwenden (Rz. 24).

2. Die Gefahr einer doppelten Grundstückszurechnung

Ausgehend von den o. g. Grundsätzen kann es nach Sicht der Finanzverwaltung zu einer doppelten Grundstückszurechnung kommen. Dies verdeutlicht die Finanzverwaltung in den Beispielen der gleichlautenden Ländererlasse vom 16.10.23.

2.1 Sachverhalt – Beispiel 2 aus Rz. 18 der Ländererlasse

Im Jahr 00 erwirbt die Gründungsgesellschafterin C-GmbH der grundbesitzenden A-GmbH die restlichen 70 % der Anteile am Kapital der A-GmbH und wird Alleingesellschafterin. Im Jahr 01 bringt die C-GmbH ihre Anteile an der A-GmbH in die B-GmbH ein, deren Alleingesellschafterin die C-GmbH ist. Alleingesellschafter der C-GmbH ist Y.

GStB-Grafik_Grunderwerbsteuer_1_Beitler.eps (© IWW Institut)
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2.2 Lösung

Im Jahr 00 verwirklicht die C-GmbH auf unmittelbarer Ebene den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG. Da sie Altgesellschafterin der A-GmbH ist, wird mit Erfüllung des Rechtsgeschäfts kein Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 2b GrEStG verwirklicht. Das Grundstück ist unverändert der A-GmbH nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG zuzurechnen und aufgrund der Verwirklichung des § 1 Abs. 3 Nr. 1 GrEStG auch der C-GmbH.

Im Jahr 01 verwirklicht die B-GmbH auf unmittelbarer Ebene den Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG. Mit Erfüllung des Rechtsgeschäfts wird auch der Tatbestand des § 1 Abs. 2b GrEStG verwirklicht. Die Verwirklichung des Tatbestands des § 1 Abs. 2b GrEStG hat keine Auswirkungen auf die Zurechnung. Das Grundstück ist unverändert der A-GmbH nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG zuzurechnen und aufgrund der Verwirklichung des § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG auch der B-GmbH. Dies gilt auch dann, wenn bezüglich des Tatbestands nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 GrEStG eine Aufhebung oder Änderung nach § 16 Abs. 4a GrEStG erfolgt. Die Zurechnung zur C-GmbH endet.

Dieses Beispiel zeigt, dass ein nur einmal existierendes Grundstück für Zwecke der Grunderwerbsteuer auch einer anderen Gesellschaft zugerechnet werden kann (sog. doppelte Grundstückszurechnung). Die wohl erfreuliche Nachricht ist, dass der Erlass anscheinend eine darüber hinausgehende mehrfache Grundstückszurechnung ausschließt. Leider nimmt der Erlass hierzu nicht eindeutig Stellung. U. E. ist dies aber aus der Gesamtsystematik zu erkennen (ebenso Fleischer/Görnig, Stbg 23, 416 ff.). In der Literatur wird allerdings auch vertreten, dass die doppelte Grundstückszurechnung nicht im Einklang mit der Rechtsprechung steht (vgl. Broemel/Mörwald, Anwendungserlass zur Zurechnung von Grundstücken – Doppelzurechnung und doppelte Grunderwerbsteuer?, DStR 23, 2750; vgl. auch Behrens/Sparr, DB 23, 2839).

Merke | U. E. ist zunächst in der Ausgangssituation zu bestimmen, wem das Grundstück grunderwerbsteuerrechtlich zuzurechnen ist. Dies kann – wie dargestellt – zu einer doppelten Grundstückszurechnung führen. Erst wenn man diese Prüfung erfolgreich absolviert hat, ist in einem zweiten Schritt für das bzw. die zugerechneten Grundstücke zu prüfen, ob grunderwerbsteuerrechtliche Erwerbstatbestände verwirklicht wurden.

3. Signing und Closing

Bereits in den gleichlautenden Ländererlassen zu § 1 Abs. 2a und 2b GrEStG vom 10.5.22 hatte sich die Finanzverwaltung zur Thematik Signing und Closing geäußert (BStBl I 22, 801, Tz. 8.1). In diesem Kontext ist § 1 Abs. 3 1. Hs. GrEStG wie folgt zu verstehen: Es werden immer dann zwei Erwerbstatbestände verwirklicht, wenn das Signing und Closing nicht am selben Stichtag stattfinden (GrESt = Stichtagssteuer). Dies hatte die Finanzverwaltung schon immer so gesehen, in der Literatur war dies aber durchaus umstritten (PropTax #4/2022: § 16 Abs. 4a GrEStG-E, 20.11.22, www.iww.de/s10215). Offengelegt hat die Finanzverwaltung ihre Lesart des Gesetzes – soweit erkennbar – erstmalig in den gleichlautenden Ländererlassen vom 10.5.22.

In diesem Zusammenhang ist zu unterscheiden, welche Erwerbstatbestände verwirklicht werden und wie sich diese zueinander verhalten. Hierzu wurden in den gleichlautenden Ländererlassen vom 16.10.23 folgende Aussagen getroffen (Rz. 11): Die Tatbestände nach § 1 Abs. 2a und Abs. 2b GrEStG haben Vorrang vor den Tatbeständen nach § 1 Abs. 3 und Abs. 3a GrEStG. Hier muss wie folgt unterschieden werden:

  • Sofern die Verwirklichung des § 1 Abs. 3 Nr. 2 oder Nr. 4 oder Abs. 3a GrEStG mit § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b GrEStG gleichzeitig erfolgt, wird der Tatbestand nach § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG aufgrund des Vorrangs bereits auf der Ebene der Steuerbarkeit von § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b GrEStG verdrängt. Es erfolgt keine Verwirklichung des § 1 Abs. 3 oder Abs. 3a GrEStG, sodass sich die Zurechnung nicht ändert.
  • Sofern die Besteuerungszeitpunkte des § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 oder Abs. 3a GrEStG und § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b GrEStG auseinanderfallen, wird der Vorrang durch § 16 Abs. 4a i. V. m. Abs. 5 S. 2 GrEStG umgesetzt. Gleichwohl wurde der Tatbestand nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 oder Abs. 3a GrEStG verwirklicht, sodass sich die Zurechnung ändern kann. Diese endet nicht durch die Aufhebung oder Änderung des Bescheides nach § 16 Abs. 4a GrEStG.

4. Verfahrensrechtliche Korrektur nach § 16 Abs. 4a GrEStG

Durch das JStG 2022 wurden § 16 Abs. 4a GrEStG und § 16 Abs. 5 S. 2 GrEStG neu in das Gesetz eingefügt:

Neu aufgenommen durch das JStG 2022

§ 16 Abs. 4a GrEStG: Wenn die Anteile in Erfüllung eines Rechtsgeschäfts i. S. d. § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 oder des § 1 Abs. 3a nach Abschluss dieses Rechtsgeschäfts übergehen und dadurch der Tatbestand des § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b verwirklicht wird, so wird auf Antrag die Festsetzung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 oder § 1 Abs. 3a aufgehoben oder geändert. In den Fällen des Satzes 1 endet die Festsetzungsfrist für den aufgrund des Übergangs der Anteile erfüllten Tatbestand nach § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b nicht vor Ablauf der Festsetzungsfrist der aufzuhebenden oder zu ändernden Festsetzung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 oder nach § 1 Abs. 3a.
§ 16 Abs. 5 S. 2 GrEStG: Die Vorschrift des Absatz 4a gilt nicht, wenn einer der in § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 oder in § 1 Abs. 3a oder in § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b bezeichneten Erwerbsvorgänge nicht fristgerecht und in allen Teilen vollständig angezeigt (§§ 18 bis 20) war.

4.1 Aufhebung oder Änderung

§ 16 Abs. 4a GrEStG muss als verfahrensrechtliche Änderungsvorschrift verstanden werden („lex specialis“). Die Formulierung in § 16 Abs. 4a S. 1 GrEStG „… aufgehoben oder geändert …“ unterscheidet zwei Fälle:

  • Mit der Begrifflichkeit Aufhebung der Festsetzung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 oder § 1 Abs. 3a GrEStG ist gemeint, wenn beim Signing und Closing Grundstücksidentität besteht.
  • Sofern beim Signing zur Gesellschaft mehr Grundstücke gehören als beim Closing, ist die Festsetzung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 oder § 1 Abs. 3a GrEStG nur insoweit zu ändern, als beim Closing die Grundstücke noch nach § 1 Abs. 2a oder 2b GrEStG besteuert werden (= vorhanden sind).

Beachten Sie | § 16 Abs. 4a GrEStG ist ein Antragstatbestand. Die Festsetzung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 oder § 1 Abs. 3a GrEStG wird gem. dem Gesetzestext nur auf Antrag des Steuerpflichtigen aufgehoben oder geändert.

4.2 Ablaufhemmung für das Closing

In den Fällen des § 16 Abs. 4a S. 1 GrEStG endet die Festsetzungsfrist für den aufgrund des Übergangs der Anteile erfüllten Tatbestand nach § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b GrEStG nicht vor Ablauf der Festsetzungsfrist der aufzuhebenden oder zu ändernden Festsetzung nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 oder nach § 1 Abs. 3a GrEStG (vgl. § 16 Abs. 4a S. 2 GrEStG).

Im Kern besagt § 16 Abs. 4a S. 2 GrEStG, dass die Festsetzungsfrist für den Erwerbstatbestand des Closing nicht vor Ablauf der Festsetzungsfrist des Signing endet. Diese Vorschrift sorgt u. E. für eine gewisse Verwunderung, denn § 16 Abs. 4a S. 1 GrEStG ist eine Korrekturvorschrift für den Erwerbsvorgang des Signing. Warum der Gesetzgeber in S. 2 dieser Vorschrift eine Festsetzungsfrist für den Erwerbstatbestand des Closing implementiert, ist nicht nachvollziehbar. Welche Fälle damit gemeint sein sollen, erschließt sich uns ebenfalls nicht.

4.3 Nichtanwendung des § 16 Abs. 4a GrEStG (§ 16 Abs. 5 S. 2 GrEStG)

Die Vorschrift des § 16 Abs. 4a GrEStG gilt nicht, wenn einer der in § 1 Abs. 3 Nr. 1 oder Nr. 3 oder in § 1 Abs. 3a oder in § 1 Abs. 2a oder Abs. 2b GrEStG bezeichneten Erwerbsvorgänge nicht fristgerecht und in allen Teilen vollständig angezeigt (§§ 18 bis 20 GrEStG) war (§ 16 Abs. 5 S. 2 GrEStG). Diese Norm mag in die Gesamtsystematik des Gesetzes passen, allerdings führt sie zu einer Doppelbelastung bei nicht fristgerechten und nicht vollständigen Anzeigen.

4.4 Was ist mit der Korrektur nicht ordnungsgemäß angezeigter Erwerbe vor Inkrafttreten der Korrekturvorschrift?

§ 16 Abs. 4a und Abs. 5 S. 2 GrEStG sind erstmals ab dem 21.12.22 anzuwenden (vgl. Art. 43 Abs. 1 JStG 2022). Allerdings stellt die hiesige Vorschrift (lediglich) eine verfahrensrechtliche Korrekturnorm dar, die auf alle offenen Fälle anzuwenden ist, sofern die Voraussetzungen des § 16 Abs. 4a und Abs. 5 S. 2 GrEStG erfüllt sind.

Beachten Sie | Bereits vor Einführung der Änderungsvorschrift wollte auch die Finanzverwaltung eine Doppelbesteuerung verhindern. In den Erlassen vom 10.5.22 hatte sich die Finanzverwaltung in Tz. 8.2 hierzu geäußert (BStBl I 22, 801, Tz. 8.2). Die von der Finanzverwaltung aufgezeigte Verfahrensweise entspricht jedoch nicht dem Gesetzestext des § 16 Abs. 4a bzw. Abs. 5 S. 2 GrEStG. Eine Aussage der Finanzverwaltung zu den Fällen, in denen der Steuerpflichtige auf die damalige Erlasslage vertraute, ist – soweit ersichtlich – nicht ergangen.

4.5 Beispiel: Verkauf der grundbesitzenden AB-GmbH

4.5.1 Sachverhalt

Die AB-GmbH ist Eigentümerin eines Bürogebäudes. Am 1.10.23 (Datum des Kaufvertrags) veräußerte A 100 % seiner Anteile an B. Der dingliche Übergang war am 1.11.23. Die Erwerbsvorgänge wurden dem zuständigen Finanzamt nicht angezeigt. Der Sachverhalt wurde im Rahmen einer Betriebsprüfung aufgedeckt.

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4.5.2 Lösung

  • a) Steuerbare Erwerbstatbestände: § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG (im Zeitpunkt des Signing, 1.10.23): Durch den Abschluss des Kaufvertrages am 1.10.23 (Signing) wurde der Anspruch auf Übertragung von mind. 90 % der Anteile der AB-GmbH begründet. Mithin ist der Erwerbstatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG verwirklicht (sog. Anteilsübertragung).
  • § 1 Abs. 2b GrEStG (im Zeitpunkt des Closing; 1.11.23): Im Zeitpunkt des Closing am 1.11.23 sind die Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 2b GrEStG erfüllt.
  • b) Korrektur nach § 16 Abs. 4a GrEStG: § 16 Abs. 4a S. 1 GrEStG ist hinsichtlich des Erwerbsvorgangs nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG grundsätzlich anwendbar. Allerdings kommt § 16 Abs. 4a S. 1 GrEStG nicht zur Anwendung, da der Erwerbsvorgang dem zuständigen Finanzamt nicht angezeigt wurde (vgl. § 16 Abs. 5 S. 2 GrEStG; der Vorrang des § 1 Abs. 2b GrEStG kann bei Auseinanderfallen von Signing und Closing nur durch § 16 Abs. 4a GrEStG umgesetzt werden (vgl. auch Rz. 11 der gleichlautenden Ländererlasse).

Anmerkung zum Steuerschuldner: § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG: Gesamtschuldner A und B (vgl. § 13 Nr. 1 GrEStG); § 1 Abs. 2b GrEStG: AB-GmbH (vgl. § 13 Nr. 7 GrEStG).

4.5.3 Abwandlung – Signing und Closing waren am 1.10.23

Aufgrund des Subsidiaritätsprinzips des § 1 Abs. 3 1. Hs. GrEStG erfolgt lediglich eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2b GrEStG. In der Abwandlung werden nicht zwei Erwerbstatbestände besteuert, weil Signing und Closing am selben Stichtag verwirklicht werden. Das Subsidiaritätsprinzip des § 1 Abs. 3 1. Hs. GrEStG regelt, dass eine Besteuerung nach § 1 Abs. 3 GrEStG nur zur Anwendung kommt, wenn keine Besteuerung nach § 1 Abs. 2b GrEStG in Betracht kommt. § 1 Abs. 3 1. Hs. GrEStG ist stichtagsbezogen zu lesen. Im Ausgangssachverhalt läuft das Subsidiaritätsprinzip hingegen ins Leere, da unterschiedliche Stichtage vorliegen.

5. Zusammenfassendes Beispiel

5.1 Sachverhalt

A verkaufte seinen Anteil an der M-GmbH an B. Das Signing war am 1.10.23. Das Closing war am 1.11.23. Die M-GmbH hatte die T-GmbH im Kj. 2022 erworben. Hierbei wurde ein steuerbarer Erwerbstatbestand nach § 1 Abs. 3 GrEStG verwirklicht. Die Erwerbsvorgänge wurden dem zuständigen Finanzamt nicht angezeigt. Der Sachverhalt wurde im Rahmen einer Betriebsprüfung aufgedeckt.

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5.2 Lösung (Grundfall)

5.2.1 Grundstückszurechnung in der Ausgangssituation

  • Das Grundstück ist der T-GmbH zuzurechnen (sog. grundbesitzende Gesellschaft), da die T-GmbH das Grundstück gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erworben hat (Rz. 5 der gleichlautenden Ländererlasse vom 16.10.23).
  • Die M-GmbH hatte im Kj. 2022 die grundbesitzende T-GmbH erworben. Durch den Erwerb wurde im Zeitpunkt des Signing der Tatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG verwirklicht (Sachverhaltsvorgabe). Folglich ist das Grundstück auch der M-GmbH zuzurechnen (Rz. 7).

5.2.2 Steuerbare Erwerbstatbestände

Im Zeitpunkt des Signing werden folgende Erwerbstatbestände verwirklicht:

  • Bezogen auf die M-GmbH erfolgt eine Anteilsübertragung gem. § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG von A auf B. Durch die Verwirklichung des § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG endet die Grundstückzurechnung zur M-GmbH (Rz. 8).
  • Bezogen auf die T-GmbH erfolgt ebenfalls eine mittelbare Übertragung vereinigter Anteile i. S. v. § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG.

Im Zeitpunkt des Closing werden folgende Erwerbstatbestände verwirklicht:

  • Bezogen auf die M-GmbH scheidet eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2b GrEStG aus, da das Grundstück der M-GmbH im Zeitpunkt des Closing nicht mehr zuzurechnen ist.
  • Bezogen auf die T-GmbH erfolgt im Zeitpunkt des Closing die Verwirklichung des § 1 Abs. 2b GrEStG.

5.2.3 Korrektur nach § 16 Abs. 4a GrEStG

§ 16 Abs. 4a S. 1 GrEStG ist hinsichtlich des Erwerbsvorgangs nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG bezüglich der grundbesitzenden T-GmbH grundsätzlich anwendbar. Allerdings kommt § 16 Abs. 4a S. 1 GrEStG nicht zur Anwendung, da der Erwerbsvorgang dem zuständigen Finanzamt nicht angezeigt wurde (vgl. § 16 Abs. 5 S. 2 GrEStG).

Zusammenfassung
Grundstücke
Erwerbstatbestand
Steuerschuldner
Grundstück der M-GmbH
§ 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG
Gesamtschuldner A und B, § 13 Nr. 1 GrEStG
Grundstück der T-GmbH
§ 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG
Gesamtschuldner A und B, § 13 Nr. 1 GrEStG
Grundstück der T-GmbH
§ 1 Abs. 2b GrEStG
T-GmbH, § 13 Nr. 7 GrEStG

Der aufgezeigte Sachverhalt findet sich leider nicht in den gleichlautenden Ländererlassen vom 16.10.23 wieder. Bei konsequenter Auslegung der Erlasse kann u. E. aber keine andere Lösung in Betracht kommen. Auch Fleischer/Görnig gehen davon aus, dass bei konsequenter Auslegung der gleichlautenden Ländererlasse sowohl bei der Tochtergesellschaft als auch bei der Muttergesellschaft jeweils § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG verwirklicht wird. Nach Ansicht von Fleischer/Görnig ist dies allerdings rechtswidrig (vgl. Stbg 23, 416 ff., Grunderwerbsteuerrechtlicher Zurechnungserlass vom 16.10.23 – die Doppelbesteuerung wird zur Wirklichkeit, II., 1., Beispiel, Abwandlung 1).

Behrens/Sparr kommen zu einem anderen Lösungsvorschlag. Sie interpretieren die Rz. 8 1. Spiegelstrich der gleichlautenden Ländererlasse (entspricht i. E. BFH 14.12.22, II R 40/20, Rz. 26) dahin gehend, dass durch die Verwirklichung des § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG auf Ebene der T-GmbH die Grundstückszurechnung zur M-GmbH endet und mithin auf Ebene der M-GmbH kein § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG bzw. § 1 Abs. 2b GrEStG verwirklicht werden kann (Behrens/Sparr, DB 23, 2839 ff., II., 1., a., bb.).

Für Broemel/Mörwald scheint eine zweimalige Steuerfestsetzung nach § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG aufgrund einer Doppelzurechnung undenkbar. Dies begründen sie damit, dass § 1 Abs. 3 GrEStG den fiktiven Übergang des Grundstücks auf den Erwerber besteuert (Broemel/Mörwald: Anwendungserlass zur Zurechnung von Grundstücken – Doppelzurechnung und doppelte Grunderwerbsteuer?, DStR 23, 2750, IV., Beispiel 3, Fußnote 30).

5.3 Abwandlung – Signing und Closing waren am 1.10.23

5.3.1 Grundstückszurechnung in der Ausgangssituation

Lösung: siehe Grundfall

5.3.2 Steuerbare Erwerbstatbestände

Aufgrund des Subsidiaritätsprinzips des § 1 Abs. 3 1. Hs. GrEStG erfolgt jeweils auf Ebene der M-GmbH und der T-GmbH eine Besteuerung nach § 1 Abs. 2b GrEStG.

Zusammenfassung
Grundstück
Erwerbstatbestand
Steuerschuldner
Grundstück der M-GmbH
§ 1 Abs. 2b GrEStG
M-GmbH gem. § 13 Nr. 7 GrEStG
Grundstück der T-GmbH
§ 1 Abs. 2b GrEStG
T-GmbH gem. § 13 Nr. 7 GrEStG

Anmerkung zur Grundstückszurechnung: Im Grundfall endet mit Verwirklichung des § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG die Grundstückszurechnung zur M-GmbH. In der Abwandlung wird aufgrund des Subsidiaritätsprinzips des § 1 Abs. 3 1. Hs. GrEStG kein Erwerbsvorgang nach § 1 Abs. 3 GrEStG verwirklicht, d. h., in der Abwandlung besteht auch in der Zielstruktur eine doppelte/weitere Grundstückszurechnung.

Entsprechend den Grundsätzen der gleichlautenden Ländererlasse vom 16.10.23 kann nach Ansicht der Verfasser keine andere Lösung in Betracht kommen. In der Fachwelt ergibt sich diesbezüglich ein „Störgefühl“. So hält man eine Doppelbesteuerung desselben Grundstücks anhand desselben Bewegungstatbestandes für falsch bzw. für nicht haltbar (vgl. Behrens/Sparr, DB 23, 2839; Broemel/Mörwald: Anwendungserlass zur Zurechnung von Grundstücken – Doppelzurechnung und doppelte Grunderwerbsteuer?, DStR 23, 2750, IV, Beispiel 2; Fleischer/Görnig: Stbg 23, 416 ff., Grunderwerbsteuerrechtlicher Zurechnungserlass vom 16.10.23 – die Doppelbesteuerung wird zur Wirklichkeit, II, 2., Beispiel, Abwandlung 2).

Fazit | Das zusammenfassende Beispiel macht deutlich, dass auch unter Berücksichtigung der gleichlautenden Ländererlasse vom 16.10.23 Unsicherheiten bei der Beurteilung derartiger Fallkonstellationen bestehen. Diese Unsicherheiten lassen sich u. E. in Bezug auf geplante Umstrukturierungen nur durch Anträge auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft beheben (ebenso Fleischer/Görnig: Stbg 23, 416 ff.).

Zu den Autoren | Der Aufsatz wurde nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst und gibt die persönliche Meinung der Verfasser wieder.

AUSGABE: GStB 3/2024, S. 93 · ID: 49871218

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