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UmsatzsteuerBFH bekräftigt umsatzsteuerliche Organschaft auch bei nur mittelbarer wirtschaftlicher Eingliederung

Abo-Inhalt01.02.20249 Min. LesedauerVon Georg Nieskoven, Troisdorf

| Die auf „drei Eingliederungs-Pfeilern“ gründende umsatzsteuerliche Organschaft steht angesichts mehrerer in der Rechtsprechung offener Fragen seit Längerem auf wackeligem Boden. Ist die für die Organschaft erforderliche finanzielle und organisatorische Eingliederung noch vergleichsweise einfach zu bestimmen, ist dies bei der wirtschaftlichen Eingliederung mitunter schwierig. Der BFH hat jüngst bekräftigt, dass eine wirtschaftliche Eingliederung nicht nur auf unmittelbaren Leistungsaustauschbeziehungen zum Organträger beruhen kann, sondern auch auf Verflechtung zwischen zwei Organgesellschaften (BFH 11.5.23, V R 28/20, Abruf-Nr. 237362). |

1. Sachverhalt

Die G-GmbH (Klägerin) war in den Streitjahren 2008 bis 2011 mit der Vermietung und Verwaltung von Wohn- und Gewerbeimmobilien befasst. Ihr Alleingesellschafter und Geschäftsführer war G, der daneben auch ein Einzelunternehmen im Immobilienbereich betrieb. Die G-GmbH war zudem Teil der ebenfalls von G beherrschten „V-Gruppe“, zu der mehrere Kapitalgesellschaften und eine KG als Obergesellschaft gehörten und die die gesamte Palette immobilienbezogener Dienstleistungen erbrachte (Neubau, Sanierung, Projektentwicklung, Vermittlung, Vermarktung, Vermietung, Verwaltung, Finanzierungsberatung etc.). Die G-GmbH verwaltete neben ca. 1.800 Fremdimmobilien auch zwölf im Eigentum des G stehende Vermietungsobjekte; eingangsseitig mietete die G-GmbH ihre Büro- und Verwaltungsräume von einer GbR an, an der wiederum G zu 95 % beteiligt war.

GStB-Grafik_Wirtschaftliche Eingliederung Organschaft_Serafini.eps (© IWW Institut)
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© IWW Institut

Im Streitzeitraum gingen weder die G-GmbH noch das FA von deren Einbindung in eine USt-Organschaft aus, sodass gegenüber der G-GmbH USt-Festsetzungen ergingen.

Mit Beschluss vom 1.3.12 wurde über das Vermögen der G-GmbH und mit Beschluss vom 3.4.12 über das Vermögen des G das Insolvenzverfahren eröffnet. In 2014 beantragte die Klägerin eine Herabsetzung ihrer USt-Festsetzungen auf 0 EUR, da sie als Organgesellschaft in das Unternehmen ihres Alleingesellschafters G eingegliedert sei und folglich G die USt als Organträger schulde. Denn neben der unstreitig gegebenen finanziellen und organisatorischen Eingliederung sei die wirtschaftliche Eingliederung in der Anmietung der Büroflächen seitens der GbR zu sehen.

Das FA und später im Klageverfahren auch das FG lehnten ein Organschaftsverhältnis jedoch unter Verweis auf eine fehlende wirtschaftliche Eingliederung ab: Die GbR sei nicht Teil einer eventuellen USt-Organschaft gewesen und die geringfügige Immobilienverwaltungstätigkeit der G-GmbH für G betreffe nur 12 von deutlich über 1.800 seitens der G-GmbH verwalteten Objekten und sei daher als „nur unwesentliche Geschäftsbeziehung“ einzustufen.

2. Entscheidungsgründe

Im Revisionsverfahren sah der BFH den Aspekt der vom FG verneinten „wirtschaftlichen Eingliederung“ differenzierter und verwies das Verfahren zur weiteren Klärung an das FG zurück: Denn bei – wie vorliegend – besonders deutlich ausgeprägter finanzieller wie organisatorischer Eingliederung sei es unschädlich, wenn die „wirtschaftliche Eingliederung“ nur weniger deutlich zutage trete. In diesen Fällen genüge, dass zwischen Organgesellschaft (OG) und Organträger (OT) ein vernünftiger wirtschaftlicher Zusammenhang im Sinne einer wirtschaftlichen Einheit, Kooperation oder Verflechtung gegeben sei, wofür „mehr als nur unerhebliche Leistungsaustauschbeziehungen“ ausreichten.

Hinsichtlich der vorstehenden Frage, ob die „Unerheblichkeitsschwelle“ im Streitfall überschritten sei, habe das FG zwar im ersten Schritt zutreffend die von der G-GmbH gegenüber G erbrachten Hausverwaltungsdienstleistungen als „nur geringfügig“ im Sinne simpler, „standardisierter Dienste“ eingestuft. Denn für diese Tätigkeiten hätte G mit geringem Aufwand austauschbare Hausverwaltungsanbieter finden können. Allerdings sei die „Erheblichkeit“ nicht nur aus Sicht des Leistungsempfängers, sondern zudem auch aus der Perspektive des Leistenden in dem Sinne zu untersuchen, ob sich die wirtschaftliche Eingliederung aus einer „relevanten wirtschaftlichen Bedeutung der Hausverwaltungsleistungen für die G-GmbH“ ergebe – so der BFH im zweiten Schritt.

Zu prüfen sei durch das FG zudem, ob sich die fragliche wirtschaftliche Eingliederung aus einer „wirtschaftlichen Verflechtung“ der G-GmbH mit anderen Unternehmen der V-Gruppe herleiten lasse: Denn die wirtschaftliche Eingliederung könne sich nach der BFH-Rechtsprechung nicht nur aus unmittelbaren wirtschaftlichen Beziehungen zum OT, sondern auch aus wirtschaftlichen Verflechtungen mit Schwester-OG ergeben (z. B. Förderung der G-GmbH durch die von anderen OG der „V-Gruppe“ an die G-GmbH erbrachten Leistungen / sogenannte „mittelbare wirtschaftliche Eingliederung“; Rn. 23 u. 28).

3. Relevanz für die Praxis

3.1 Organschaft und „Innenumsätze“

Befinden sich in einer Konzernstruktur auch vorsteuerabzugsbeschränkte Gesellschaften, so ist die Begründung einer Organschaft mit diesen eine naheliegende Gestaltungsüberlegung, um den Kostenaufwand aus nicht abzugsfähigen Vorsteuerbeträgen mittels nicht steuerbarer Innenumsätze zu vermeiden. Dies ist nicht nur für Konzerne der Kredit-, Versicherungs- oder Heilbehandlungswirtschaft von Relevanz, sondern auch bei den streitgegenständlichen Immobilienunternehmen mit ihren grds. umsatzsteuerfreien (§ 4 Nr. 9a bzw. Nr. 12 UStG) und nur teilweise „optionsfähigen“ Umsätzen.

Beachten Sie | Ob dieses Gestaltungsinstrument noch trägt, ist inzwischen jedoch fraglich, da der BFH in seiner jüngsten EuGH-Vorlage für eine Regelbesteuerung auch innerhalb des Organkreises und damit für den Wegfall der bisherigen „Innenumsatz-Betrachtung“ plädiert hat (BFH 16.1.23, V R 20/22; Az. EuGH C-184/23); die abschließende EuGH-Sichtweise bleibt hier ebenso abzuwarten wie die mögliche Umsetzung der auch in Deutschland seit Längerem diskutierten „modifizierten Organschaftsmodelle“ (Gruppenbesteuerung i. S. „Gruppe als Steuerpflichtiger“).

3.2 Eingliederungserfordernisse

Die USt-Organschaft erfordert den „Dreiklang“ der finanziellen, organisatorischen und wirtschaftlichen Eingliederung der Organgesellschaft (OG) in den Organträger (OT): Während dabei

  • die finanzielle Eingliederung gem. Abschn. 2.8 Abs. 5 UStAE vergleichsweise unproblematisch die Durchsetzbarkeit des Gesellschafterwillens in der OG kraft Anteils- bzw. Stimmrechtsmehrheit beinhaltet (vgl. aber jüngst noch großzügiger BFH 18.1.23, XI R 29/22: sogar bei Stimmrechts-Pattsituation),
  • erfordert die organisatorische Eingliederung die Möglichkeit und tatsächliche Wahrnehmung der Beherrschung der OG in der laufenden Geschäftsführung (vgl. Abschn. 2.8 Abs. 7ff UStAE). Allerdings ist die BFH-Rechtsprechung in diesem Bereich äußerst umfänglich und wenig trennscharf, was den Praktiker vor große Probleme stellt – was die Ausgestaltungsmöglichkeiten und etwaige Nachweiserfordernisse angeht (Geschäftsführeridentität / vom OT entsandte Mitarbeiter als Geschäftsführer der OG / institutionell abgesicherte Eingriffsmöglichkeiten in die Geschäftsführung der OG etc.).

In der Gestaltungspraxis zunehmend problematischer ist jedoch auch die in der Bezugsentscheidung im Mittelpunkt stehende wirtschaftliche Eingliederung, insbesondere wenn die Eingliederungsfrage erst im Insolvenzverfahren (von Unternehmens- oder Finanzamtsseite) thematisiert wird: Denn nach der Definition des BFH setzt sie einerseits lediglich eine wirtschaftliche Verflechtung von OT und OG – ggf. auch nur im Sinne einer wirtschaftlichen Kooperation – voraus. Zudem soll auch eine nur „schwach ausgeprägte“ wirtschaftliche Verflechtung für die Organschaftsannahme genügen, wenn im Gegenzug die finanzielle und organisatorische Eingliederung besonders deutlich ausgeprägt sind; insofern will der BFH bereits eine Kooperation der beiden oder ein abgestimmtes Verhalten am Markt genügen lassen. Zugleich fordert die Rechtsprechung, dass „mehr als nur unerhebliche Beziehungen“ zwischen OT und OG bestehen müssen, was einzelfallabhängig und einer praktikablen Abgrenzung kaum zugänglich ist. Erschwert wird diese „Grauzonen-Beurteilung“ noch dadurch, dass die wirtschaftliche Eingliederung nicht nur auf unmittelbaren Leistungsaustauschbeziehungen zwischen OG und OT begründet sein kann, sondern bereits eine „mittelbare wirtschaftliche Eingliederung“ – also eine umsatzbezogene Verflechtung zwischen zwei OG – ausreichen soll.

3.3 Problemaspekte der „wirtschaftlichen Eingliederung“

Nach langjähriger Rechtsprechung setzt die Annahme der wirtschaftlichen Eingliederung voraus, dass den – diese begründenden – Umsätzen zwischen den Organschaftsbeteiligten „mehr als nur unwesentliche Bedeutung“ zukommt. Abschn. 2.8 Abs. 6 UStAE verweist insofern auf die BFH-Entscheidungen V R 4/08 und V R 26/09. Wie der BFH verdeutlicht, verbirgt sich hinter dieser Prüfung aber eine zweigliedrige Frage, nämlich zum einen die inhaltliche Frage nach der Leistungsqualität und zum anderen die Frage nach der „Wesentlichkeits-Perspektive“:

  • a) Leistungsqualität: Wie der V. Senat unter Verweis auf seine bisherige Rechtsprechung bekräftigt, können solche Leistungstypen für den Leistungsempfänger „keine wesentliche Bedeutung“ haben, bei denen der Leistungsanbieter aufgrund der standardisierten Einfachheit der Leistung mit geringem Aufwand problemlos ausgetauscht werden kann. Diese Unwesentlichkeit wäre bei einer einfachen Hausverwaltung ebenso wie bei Buchführungs- oder Personalverwaltungsleistungen oder einem „Winterdienst“ zu bejahen. Für „ausreichend wesentlich“ hielt der BFH in der Vergangenheit dagegen die Erbringung von Architektenleistungen für ein Bauträgerunternehmen (BFH V R 63/01) und die anwaltliche Tätigkeit für die eigene Rechtsanwalts-GmbH (XI R 39/17). Auch bei der Vermietung von Gebäudeflächen differenziert die Rechtsprechung und bejaht die Wesentlichkeit bei betriebsnotwendigen Geschäftsgrundstücken (z. B. BFH V R 67/07) bzw. verneint sie bei einer jederzeit austauschbaren Büroraumanmietung (BFH V R 23/21).
  • b) Wesentlichkeits-Perspektive: Die vorstehenden Überlegungen machen die Wesentlichkeitsfrage ausschließlich an der Relevanz für den Leistungsempfänger fest. Wie der BFH in Rn. 22 seiner Entscheidung erläutert, könne sich die für die wirtschaftliche Eingliederung erforderliche Wesentlichkeit auch aus einer entsprechenden wirtschaftlichen Bedeutung der erbrachten Leistungen für das leistende Unternehmen ergeben. In eine ähnliche Richtung ging bereits die BFH-Entscheidung V R 30/18 (dort Rn. 18 bis 20). Hier hatte das Gericht in der verzinsten Kreditierung von fälligen Zahlungsverpflichtungen durch eine Konzernmutter gegenüber ihrer Tochtergesellschaft aus Sicht der kreditierenden Muttergesellschaft keine eine wirtschaftliche Eingliederung begründende „Wesentlichkeit“ angenommen, da es sich dabei nicht um nachhaltige und unter „branchenüblichen Rahmenbedingungen“ (bezüglich Intensität, Konditionen u. Marktauftritt) erbrachte Umsätze gehandelt habe (vgl. BFH V R 30/18 Rn. 18 bis 20).

3.4 Eingliederung durch lediglich „mittelbare Verflechtung“

Einvernehmen herrscht zwischen der Finanzverwaltung (Abschn. 2.8 Abs. 6a UStAE) und der Rechtsprechung (BFH V R 30/06) dahin gehend, dass die wirtschaftliche Eingliederung auch auf lediglich „mittelbarer“ Basis – also zwischen einer unstreitigen OG-1 und ihrer „fraglichen Organschwester“ (OG-2) – begründet werden kann. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass wenn die unstreitige Organgesellschaft OG-1 entgeltliche Leistungen an ihre Konzernschwester und fragliche Organgesellschaft OG-2 erbringt, diese von OG-1 erbrachten Leistungen umsatzsteuerlich ihrer Organträgerin OT zuzurechnen wären – und damit umsatzsteuerlich die OT an die fragliche OG leistet.

Umstritten ist dabei allerdings, ob für diese mittelbare wirtschaftliche Eingliederung die „Leistungsrichtung“ eine Rolle spielt, ob eine „mittelbare wirtschaftliche Eingliederung“ also auch dann vorliegen kann, wenn die unstreitige Organgesellschaft OG-1 keine Leistungen an die fragliche Organgesellschaft OG-2 erbringt, sondern vielmehr Leistungen von dieser bezieht. In diesem Fall wären diese von der OG-2 erbrachten Leistungen vor bejahter OG-Stellung ja gerade nicht dem OT als eigene Leistungen zuzurechnen. Das FG Münster hat in seiner Entscheidung vom 13.6.17 (15 K 2617/13 U, Rn. 34 bis 35) zwar zu dieser Auffassung tendiert, höchstrichterlich bejaht ist diese These allerdings – soweit ersichtlich – nicht.

Ungeklärt ist in den Fällen der lediglich „mittelbaren wirtschaftlichen Verflechtung“ (zwischen zwei Schwestergesellschaften) zudem, ob es auch insoweit auf die „Wesentlichkeit“ (s. o. „Leistungsqualität“) ankommt: Dies wird in der Literatur teils (m. E. nicht überzeugend) verneint, während das FG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 20.6.18, 3 K 660/14, Rn. 59 bis 61) auch in diesen Fällen nur bei Leistungen mit „wesentlicher Relevanz“ eine wirtschaftliche Eingliederung bejahen will.

Fazit | Die Rechtsentwicklung der deutschen USt-Organschaft ist durch zahlreiche jüngere BFH- wie EuGH-Entscheidungen massiv in Bewegung geraten. Dies betrifft – neben der im Streitfall im Fokus stehenden Frage zur (mittelbaren) wirtschaftlichen Eingliederung – auch die Stellung von Personengesellschaften im Organschaftskontext: Insofern stand auch in der Besprechungsentscheidung – vom BFH allerdings offengelassen – die Frage im Raum, ob nicht auch die dort an die G-GmbH vermietende GbR „Organgesellschaft“ des G sein konnte:
Nach aktuellem BMF-Verständnis (Abschn. 2.8. Abs. 5a UStAE) wäre dies angesichts des nicht konzernzugehörigen 5 %-Minderheitsgesellschafters an dieser GbR klar zu verneinen gewesen. Diese bislang auch durch den BFH gestützte Sichtweise hatte der EuGH allerdings bereits mit Urteil vom 15.4.21 (C-868/19) verworfen, woraufhin der BFH jüngst (15.3.23, V R 14/21) seine Rechtsprechung geändert und die Organschafts-Schädlichkeit „externer Personengesellschafter“ revidiert hat (die erwartete Änderung des UStAE steht noch immer aus). Allerdings beschränkte der BFH seine neue Sichtweise im Urteilstenor ausdrücklich auf die „kapitalistisch strukturierte Personenhandelsgesellschaft (im Streitfall: GmbH & Co. KG). Ob damit künftig auch andere Personen-(Handels-)Gesellschaften als OG in den USt-Organkreis einbezogen werden können, ist damit noch ungeklärt, aber m. E. zu befürworten. Nicht zuletzt mit Blick auf die ab 1.1.24 greifende MoPeG-Reform könnte dies auch für die Rechtsform der (eingetragenen) GbR in gleicher Weise gelten.

AUSGABE: GStB 2/2024, S. 55 · ID: 49857453

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