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UmsatzsteuerDifferenzbesteuerung: Verkauf von Ersatzteilen aus Altfahrzeugen sowie von Pkws zum Ausschlachten
. 237251
| Der EuGH hat bereits im Jahr 2017 in einem Verfahren zum dänischen Umsatzsteuerrecht darauf erkannt, dass ein Verwerter aus von privat angekauften Alt- und Schrottfahrzeugen ausgebaute Gebrauchtteile differenzbesteuert verkaufen darf. In einem aktuellen Urteil zum belgischen Umsatzsteuerrecht bleibt der EuGH nun auf dieser Linie (EuGH 17.5.23, C-365/22, IT, Abruf-Nr. 237251). Danach können endgültig stillgelegte Kraftfahrzeuge als Gebrauchtgegenstände differenzbesteuert zum Ausschlachten weiterverkauft werden. |
1. Die einschlägigen Regelungen
Art. 311 MwStSystRL sieht als Sonderregelung die Möglichkeit der Anwendung der Differenzbesteuerung u. a. für Gebrauchtgegenstände vor. Letztere werden in Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 MwStSystRL wie folgt definiert: „‚Gebrauchtgegenstände‘ sind bewegliche körperliche Gegenstände, die keine Kunstgegenstände, Sammlungsstücke oder Antiquitäten und keine Edelmetalle oder Edelsteine i. S. d. Definition der Mitgliedstaaten sind und die in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendbar sind.“ In Deutschland setzt § 25a UStG die Sonderregelung um. Zum Anwendungsbereich geben die beiden o. g. Entscheidungen wichtige Aufschlüsse für den Praktiker.
2. Verkauf von aus dem Altfahrzeug generierten Ersatzteilen
Beispiel 1 |
Autohaus A schlachtet den Pkw aus und verkauft die Einzelteile weiter |
Der EuGH hält die Differenzbesteuerung für anwendbar (EuGH 18.1.17, C-471/15, Sjelle Autogenbrug, Abruf-Nr. 192086). Nach dem Wortlaut von Art. 311 Abs. 1 Nr. 1 MwStSystRL sind „Gebrauchtgegenstände“
- bewegliche körperliche Gegenstände, die
- in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung
- erneut verwendbar sind.
Aus dieser Bestimmung folgt nicht, dass der dort verwendete Begriff „Gebrauchtgegenstände“ bewegliche körperliche Gegenstände ausschließt, wenn sie von einem anderen Gegenstand stammen, dessen Bestandteile sie waren. Dass ein gebrauchter Gegenstand, der Bestandteil eines anderen Gegenstands ist, von diesem getrennt wird, stellt nämlich die Einstufung des entnommenen Gegenstands als „Gebrauchtgegenstand“ nicht infrage, sofern er „in seinem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung“ erneut verwendbar ist.
2.1 Die Gegenstände haben ihre Funktion und Identität beibehalten
Für die Einordnung als „Gebrauchtgegenstand“ ist demnach nur erforderlich, dass dem gebrauchten Gegenstand unverändert die Funktionen zukommen, die er im Neuzustand hatte, und dass er daher in seinem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut zu denselben Zwecken verwendbar ist. Dies ist bei den streitbefangenen Autoteilen der Fall.
Das Vorbringen der dänischen Regierung, die Einordnung als „Gebrauchtgegenstand“ setze eine Identität zwischen dem angekauften und dem verkauften Gegenstand voraus, was beim Ankauf eines vollständigen Kraftfahrzeugs und dem Wiederverkauf von Teilen, die aus diesem Fahrzeug entnommen wurden, nicht der Fall sei, überzeugt insoweit nicht. Denn ein Kraftfahrzeug besteht aus einzelnen Teilen, die zusammengefügt wurden und daher auch wieder voneinander getrennt und in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung wiederverkauft werden können.
2.2 Vermeidung einer Doppelbesteuerung
Die Nichtanwendung dieser Regelung auf Ersatzteile, die aus von Privatpersonen angekauften Altfahrzeugen entnommen wurden, liefe dem Ziel der Differenzbesteuerung zuwider, auf dem Gebiet der Gebrauchtgegenstände Doppelbesteuerungen zwischen Steuerpflichtigen zu vermeiden (s. dazu den 51. Erwägungsgrund der MwStSystRL). Würden Lieferungen solcher Ersatzteile durch einen steuerpflichtigen Wiederverkäufer mit Mehrwertsteuer belegt, hätte dies nämlich eine Doppelbesteuerung zur Folge, weil
- zum einen im Verkaufspreis dieser Teile schon zwangsläufig die beim Kauf des Fahrzeugs entrichtete Mehrwertsteuer berücksichtigt wurde und
- zum anderen, weil dieser Betrag weder von dieser Person noch vom steuerpflichtigen Wiederverkäufer abgezogen werden konnte.
2.3 Ermittlung der Differenz
Die dänische und die griechische Regierung weist auf Schwierigkeiten hin, die sich bei der Bestimmung der Steuerbemessungsgrundlage der Differenz (Handelsspanne) und insbesondere des Einkaufspreises der einzelnen Ersatzteile nach Art. 315 MwStSystRL ergeben könnten. Etwaige praktische Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Anwendung der Differenzbesteuerung können es nach Auffassung des EuGH jedoch nicht rechtfertigen, bestimmte Gruppen steuerpflichtiger Wiederverkäufer von dieser Regelung auszunehmen, weil weder Art. 313 noch irgendeine andere Bestimmung der MwStSystRL die Möglichkeit eines solchen Ausschlusses vorsieht.
2.4 Hinweis des EuGH auf Aufzeichnungspflichten und die Möglichkeit einer Gesamtdifferenz
Außerdem muss sich die Steuerbemessungsgrundlage, die nach der Differenzbesteuerungsregelung bestimmt wurde, aus Aufzeichnungen ergeben, die es ermöglichen zu überprüfen, ob sämtliche Voraussetzungen für die Anwendung dieser Regelung erfüllt sind.
Darüber hinaus ist daran zu erinnern, dass die Mitgliedstaaten zur Vereinfachung der Steuererhebung und nach Konsultation des Mehrwertsteuerausschusses für bestimmte Umsätze oder für bestimmte Gruppen von steuerpflichtigen Wiederverkäufern vorsehen können, dass die Steuerbemessungsgrundlage für Lieferungen von Gegenständen, die der Differenzbesteuerung unterliegen und auf die ein und derselbe Mehrwertsteuersatz angewandt wird, die Gesamtdifferenz i. S. v. Art. 318 MwStSystRL ist.
Praxistipp | Die zu einem dänischen Vorlageersuchen ergangene EuGH-Entscheidung hat sich auch in Deutschland ausgewirkt. Denn nach damaliger deutscher Rechtsauffassung musste es sich bei dem weiterveräußerten Gegenstand um den Nämlichen handeln. Daher kam § 25a UStG nicht in Betracht, wenn der Unternehmer einen erworbenen Gegenstand in seine Bestandteile zerlegte (FG Münster 27.4.99, 15 K 7988/98 U; FG Berlin-Brandenburg 1.10.15, 7 K 7183/13). In der Folge hat sich die deutsche Finanzverwaltung dann aber der Linie des EuGH ausdrücklich angeschlossen (Abschn. 25a.1 Abs. 4 S. 4 UStAE). |
3. Verkauf des kompletten Altfahrzeugs
Beispiel 2 |
Verkauf des kompletten Pkw als Ersatzteillager |
Der Sachverhalt unterscheidet sich vom Ausgangsverfahren durch die Tatsache, dass der Steuerpflichtige die Teile nicht aus dem endgültig stillgelegten Fahrzeug entnommen hat, sondern das komplette Fahrzeug in seinem derzeitigen Zustand „zum Ausschlachten“ wiederverkauft hat.
Das vom Steuerpflichtigen erworbene Fahrzeug ist endgültig stillgelegt und kann daher nicht wiederverkauft werden, um in seinem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung wiederverwendet zu werden. Da das Fahrzeug als solches als beweglicher körperlicher Gegenstand per definitionem nicht erneut verwendbar i. S. d. Sonderregelung ist, sind für die Prüfung, ob es als Gebrauchtgegenstand angesehen und ob demnach darauf die Differenzbesteuerung angewandt werden kann, nur die Bestandteile des Fahrzeugs zu berücksichtigen, die im Rahmen eines Wiederverkaufs an andere Personen erneut verwendbar sind (EuGH 17.5.23, C-365/22, IT, Abruf-Nr. 237251).
3.1 Doppelbesteuerung soll vermieden werden
Eine Auslegung, nach der ein endgültig stillgelegtes Fahrzeug als Gebrauchtgegenstand unter die Regelung der Differenzbesteuerung fallen kann, weil manche seiner Bestandteile erneut verwendbar sind, steht mit dem Ziel dieser Regelung in Einklang. Der EuGH wiederholt insoweit seine Ausführungen in der Rechtssache „Sjelle Autogenbrug“ (s. 2.2)
3.2 Prüfung, ob das Kfz verwendbare Bestandteile enthält
Das vorlegende Gericht muss prüfen,
- ob das wiederverkaufte Fahrzeug noch Bestandteile enthielt, die die Funktionen behalten haben, die sie im Neuzustand hatten oder
- ob das Fahrzeug nicht in Wirklichkeit verkauft wurde, um einfach verschrottet oder in einen anderen Gegenstand umgewandelt zu werden. Ein Fahrzeug, aus dem solche Bestandteile vom Käufer nicht entnommen werden, um in ihrem derzeitigen Zustand oder nach Instandsetzung erneut verwendet zu werden, bleibt nämlich nicht in seinem Wirtschaftszyklus und kann daher nicht in den Genuss der Differenzbesteuerung kommen.Wirtschaftszyklus muss erhalten bleiben
3.3 Berücksichtigung aller objektiven Umstände
Im Rahmen dieser Prüfung muss das vorlegende Gericht alle objektiven Umstände berücksichtigen, unter denen der Wiederverkauf erfolgt ist. Wie aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervorgeht, haben die in der Mehrwertsteuerrichtlinie verwendeten Begriffe nämlich objektiven Charakter und sind unabhängig von Zweck und Ergebnis der betreffenden Umsätze anwendbar.
Checkliste / Differenzbesteuerung beim Verkauf eines stillgelegten Kfz |
Während die Berücksichtigung der Absicht eines an einem Geschäft beteiligten Steuerpflichtigen, abgesehen von Ausnahmefällen, mit den Zielen des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems unvereinbar ist, sind hingegen objektive Faktoren zu prüfen wie:
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3.4 Empfehlung einer Selbstverpflichtung des Kunden
Der EuGH fordert die Prüfung aller objektiven Umstände. Für den Wiederverkäufer kann es daher von Bedeutung sein, ob der Käufer aus dem Fahrzeug Ersatzteile zu generieren beabsichtigt. Daher sollte der Wiederverkäufer den Käufer eine entsprechende Selbstverpflichtung unterschreiben lassen. Hält der Käufer diese nicht ein, muss er für eventuelle steuerliche Nachteile des Wiederverkäufers (wie Regelbesteuerung und eventuelle Nachzahlungszinsen) aufkommen.
Musterschreiben / Selbstverpflichtung |
Vertragsklausel als „Schutzschild“ |
AUSGABE: GStB 2/2024, S. 45 · ID: 49753742