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CBChefärzteBrief

ArzthaftungIn unerwarteter Akutsituation fehlt Ausstattung: Vermeiden Sie ein Übernahmeverschulden!

Abo-Inhalt25.06.20256738 Min. LesedauerVon RA, FA MedR, Dr. Rainer Hellweg, Hannover

| Dass bei einer eigentlichen Standardbehandlung eine seltene Akutsituation unerwartet eintritt, kann im Krankenhausalltag immer wieder vorkommen. Welche apparative Ausstattung in der Klinik hierfür vorgehalten werden muss, hierzu hat das Oberlandesgericht (OLG) Dresden in seinem aktuell veröffentlichten Urteil vom 10.12.2024 (Az. 4 U 167/24) Stellung genommen – und die Behandlerseite entlastet. Trotzdem sollten Klinikärzte ein „Übernahmeverschulden“ vermeiden, wie dieser Artikel aufzeigt. |

Koronarangiografie misslingt, Patientin verstirbt

Eine Patientin stellte sich in der Notaufnahme der Klinik vor. Sie berichtete über seit drei Tagen zunehmende Schmerzen im Bereich der Halswirbelsäule. Unter der zunächst bestehenden Verdachtsdiagnose Schulter-Arm-Syndrom wurden Bildgebungen gefertigt und ein EKG geschrieben, das Auffälligkeiten aufwies. Nach Konsil mit dem diensthabenden Kardiologen wurde die Indikation zur notfallmäßigen Koronarangiografie gestellt.

Nachdem sich bei der Koronarangiografie in der rechten Herzkranzarterie keine signifikante Koronarstenose gezeigt hatte, wurde zur Ergänzung der Diagnostik eine fraktionelle Flussreserve-Messung (FFR-Messung) durchgeführt. Hierzu wurde ein JL3.5 Führungskatheter eingeführt. Während des Kathetervorschubs trat eine Dissektion des Hauptstamms auf. Hieraus folgte ein akut lebensbedrohlicher Zustand der Patientin.

Die Klinikärzte erörterten die Situation der Patientin mit dem leitenden Oberarzt der Klinik für Kardiologie am nahe gelegenen Herzzentrum. Es erfolgte dann die Entscheidung, die Patientin unverzüglich in das Herzzentrum zu verlagern und die für die Sondierung eingebrachten Führungsdrähte wieder zu entfernen. Während des Transports verschlechterte sich der Gesundheitszustand der Patientin jedoch. Bei Ankunft im Herzzentrum wurde diese reanimationspflichtig. Eine notfallmäßige Stentimplantierung im Herzzentrum misslang; die Patientin verstarb noch am gleichen Tage.

Haftungsklage der Hinterbliebenen scheitert vor dem OLG

Die Erben der verstorbenen Patientin verklagten den Klinikträger auf Schmerzensgeld sowie Hinterbliebenengeld und Schadensersatz. Der Behandlungsfehlervorwurf betraf im Wesentlichen zwei Aspekte: Zum einen hätte die Koronarangiographie in der Klinik nicht vorgenommen werden dürfen, da dort kein Mikrokatheter vorhanden gewesen sei. Zum anderen sei es behandlungsfehlerhaft gewesen, die eingebrachten Hilfssonden zum Zwecke des Transportes zu entfernen. Anders als die erste Instanz entschied das OLG Dresden zugunsten der Ärzte und gab der Berufung der Behandlerseite recht.

Merke | Das Landgericht (LG) Dresden war der Auffassung, im Krankenhaus hätte ein Mikrokatheter vorhanden sein müssen, der zur Standardausstattung eines Herzkatheterlabors gehöre. Die Untersuchung der Patientin ohne einen solchen Katheter begründe einen Behandlungsfehler (Urteil vom 18.01.2024, Az. 6 O 1381/21).

Darum sah das OLG Dresden keinen Behandlungsfehler

Es sei kein ärztlicher Behandlungsfehler feststellbar. Die Richter des OLG Dresden argumentierten: Der geschuldete medizinische Standard erstrecke sich darauf, welches Verfahren von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der kontroversen Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs zum Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden könne. Das unerwartete Auftreten einer seltenen Akutsituation, deren Beherrschung von einem durchschnittlichen Facharzt nicht zu erwarten sei, könne dabei zu einer Absenkung des geschuldeten Behandlungsstandards führen.

Die Richter nahmen Bezug auf die Ausführungen des beauftragten medizinischen Sachverständigen. Zwar habe es dieser als „sinnvoll“ bezeichnet, einen Mikrokatheter vorzuhalten. Zu dem zu fordernden Ausstattungsstandard selbst eines Herzkatheterlabors gehöre dieser aber nicht. Daher begründe die Vornahme einer FFR-Messung trotz Fehlens eines Mikrokatheters kein Übernahmeverschulden der behandelnden Klinikärzte.

Auch das Ziehen der Führungsdrähte vor der Verlegung der Patientin könne den Ärzten nicht als Behandlungsfehler angelastet werden. Zwar habe das Herausziehen der Drähte nach Ballondilatation dazu geführt, dass ein Stent danach nicht mehr habe gesetzt werden können, wie der Gerichtsgutachter im Rahmen einer Ex-post-Betrachtung feststellte. Die Richter hoben jedoch hervor, dass eine notfallmäßige Einzelfallentscheidung durch Abwägung zu treffen gewesen sei. Zudem sei die aufgetretene Ruptur ein höchst seltenes Ereignis gewesen, für das es keinen Facharztstandard gebe.

Handlungsempfehlungen für betroffene (Chef-)Ärzte

Über den konkret entschiedenen Einzelfall hinaus lassen sich aus dem Urteil des OLG Dresden folgende allgemeingültigen Rechtssätze ableiten:

Praxistipp | Da die Beurteilung dessen eine juristische Wertung beinhaltet, die in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Behandlungsfalles – von den Richtern im Nachgang im Prozess – zu treffen ist, gilt die Empfehlung: Im Zweifel sollte die Behandlung nicht begonnen und der Patient an eine andere Klinik oder Einrichtung verwiesen werden, sofern es sich nicht um einen medizinischen Notfall handelt.

  • 1. Wenn eine aufgetretene Komplikation nur mit einer Untersuchungsmethode abgeklärt werden kann, die dem behandelnden Arzt mangels entsprechender apparativer Ausstattung nicht zur Verfügung steht, stellt deren Unterlassen keinen Behandlungsfehler dar.
  • 2. Wird eine Behandlung ohne die für etwaige Komplikationen erforderliche Ausstattung begonnen, kann jedoch ein Übernahmeverschulden vorliegen. Hier kommt es darauf an, ob aus Ex-ante-Sicht die Komplikation für die behandelnden Ärzte zumindest als mögliches Risiko vorhersehbar war – oder diese als so selten einzustufen ist, dass damit nicht zu rechnen war.

AUSGABE: CB 7/2025, S. 17 · ID: 50446688

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