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StrafrechtArzt kommt (mutmaßlichem) Sterbewunsch nach – Verurteilung wegen Totschlags rechtsfehlerhaft
| Am 26.02.2020 hat das Bundesverfassungsgericht das Verbot, die Selbsttötung „geschäftsmäßig zu fördern“, für verfassungswidrig erklärt. Da seither eine eindeutige Regelung durch den Gesetzgeber fehlt, befindet sich der assistierte Suizid in einer Grauzone (CB 07/2025, Seite 13 f.). Unstreitig ist, dass die aktive Sterbehilfe weiterhin strafbar ist. Ein Anästhesist, der wegen der Gabe mehrerer tödlicher Medikamente an einen schwerkranken Patienten verurteilt worden war, war mit seiner Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) erfolgreich: Die Richter sahen das Urteil der Vorinstanz als rechtsfehlerhaft an (BGH, Beschluss vom 29.05.2024, Az. 4 StR 138/22). |
Anästhesist führt Ableben eines COVID-19-Patienten herbei
Ein Facharzt für Anästhesiologie behandelte auf einer Intensivstation einen Patienten, der schwer an COVID-19 erkrankt war. Seine Lunge hatte einen fast vollständigen Funktionsverlust. Daher war er auf eine ECMO-Behandlung als Lungenersatzverfahren angewiesen. Im Rahmen der Chefarztvisite, an der der Anästhesist teilnahm, schätzte der Chefarzt den Therapieerfolg als sehr gering ein. Er ordnete an, dass bei einer weiteren Verschlechterung des Zustands die Familie einzubestellen und mit dieser der Patientenwille zu klären wäre. Es sollte abgeklärt werden, ob eine weitere Behandlung oder eine palliative Sterbebegleitung gewünscht sei. Am nächsten Tag verschlechterte sich der Zustand des Patienten. Dies teilte der Anästhesist seinem Chefarzt mit. Dieser wiederholte seine Anordnung, dass hier die Familie des Patienten einzubestellen wäre, um ergebnisoffen den Patientenwillen zu erforschen.
Der Anästhesist bestellte die Familie ein und erklärte, dass alle Therapiemöglichkeiten erschöpft seien und das ECMO-Gerät in den nächsten Stunden keine Wirkung mehr entfalten werde, was zum Tod des Patienten führen würde. Dabei wusste der Anästhesist, dass eine Fortsetzung der Therapie möglich und auch medizinisch indiziert sei. Er teilte der Familie mit, dass er nun die Behandlung beenden werde und schaltete das ECMO-Gerät ab. Er verminderte die Sauerstoffzufuhr und schaltete die Spritzenpumpe ab, die den Patienten mit dem Katecholamin Noradrenalin zur Stabilisierung des Herzkreislaufs stabilisiert hatte. Anschließend führte er ihm ein stark wirksames Opioid, einen Blutdrucksenker und ein Sedivativum zu. Um den Sterbeprozess zum letalen Abschluss zu bringen, führte er ihm auch eine hohe Dosis Kaliumchlorid zu. Kurz darauf verstarb der Patient.
BGH kippt Verurteilung wegen mehrerer Rechtsfehler
Der Anästhesist wurde vom Landgericht (LG) Essen wegen eines minder schweren Falles des Totschlags zu einer Haftstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Arzt ging daraufhin in Revision. Der BGH hob das Urteil auf und verwies den Fall zur erneuten Verhandlung an eine andere Strafkammer des LG.
LG hat weder die Kaliumchloridgabe als Todesursache ...
Der BGH ist der Ansicht, dass die Beweiswürdigung des LG lückenhaft gewesen ist. Das LG war davon ausgegangen, dass die Gabe des Kaliumchlorids zum Tode des Patienten geführt habe. Das LG war hier den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen gefolgt. Dieser hatte ausgesagt, dass die Gabe des Kaliumchlorids in der vorliegenden Dosierung zum Herzstillstand führt, sobald diese das Herz erreicht. Das LG habe aber nicht bedacht, dass mögliche alternative Todesursachen in Betracht kämen, nämlich
- die schwere Lungenentzündung,Auch dies sind mögliche Todesursachen
- das septische Multiorganversagen,
- der vom Anästhesisten eingeleitete Behandlungsabbruch oder
- die Gabe von weiteren Medikamenten.
Auch wenn der Anästhesist selbst von der Tödlichkeit der Kaliumchloridgabe ausging, hätte das LG weiter prüfen müssen, ob der Arzt hier von einem Fehlschluss ausgegangen war.
... noch den Tötungsvorsatz des Arztes zweifelsfrei nachgewiesen!
Es sei auch nicht möglich, den Schuldspruch aufrechtzuerhalten, weil der Arzt alle denkbaren Ursachen für den Eintritt der Tötung gesetzt habe. Der Abbruch der kurativen Therapie sei wegen der Falschinformation der Angehörigen zwar nicht gerechtfertigt gewesen. Das LG habe aber nicht nachgewiesen, dass er dabei schon mit dem erforderlichen Tötungsvorsatz gehandelt habe.
Hierüber muss nach Auffassung des BGH noch Beweis erhoben werden
Es bestehe die Möglichkeit, dass hier eine Verurteilung wegen einer Wahlfeststellung in Betracht komme. Das bedeutet, dass der Arzt entweder wegen des Therapieabbruchs oder nicht medizinisch indizierter Medikamentenabgaben vorsätzlich getötet hat. Dabei könne es im Ergebnis dahinstehen, welche Tathandlung letzten Endes zum Tod geführt habe. Ferner müsse geprüft werden, ob der Patient wegen des Abbruchs der kurativen Therapie unter einer massiven Sauerstoffunterversorgung litt. Dann könnte auch das Abschalten der Geräte ursächlich für den Tod sein.
Praxistipp | Das ledigliche Abschalten der Geräte ist keine strafrechtlich unzulässige Sterbehilfe, wenn dies dem mutmaßlichen Patientenwillen entspricht. Der mutmaßliche Patientenwille kann sich aus einer Patientenverfügung ergeben, an die sich der Arzt zu halten hat (CB 05/2019, Seite 9 f.). Es stellt sich die Frage, ob der Arzt den mutmaßlichen Patientenwillen zum Sterben auch ohne Beteiligung der Angehörigen ermitteln konnte. Läge der mutmaßliche Patientenwille vor, würde das den Tötungsvorsatz des Arztes ausschließen und dieser straffrei ausgehen. Wenn der Patient infolge des Sauerstoffmangels bereits verstorben wäre, hätte sich der Arzt durch die spätere Gabe des Kaliumchlorids dann nur wegen eines versuchten Totschlags strafbar gemacht. Etwas konstruiert wirkt der Hinweis des BGH, dass der Patient aufgrund der schwerwiegenden Vorerkrankungen und nicht wegen des Einwirkens des Arztes verstorben sein könnte. Der BGH lässt hier eine der Sterbehilfe gewogene Rechtsauffassung durchblicken. |
AUSGABE: CB 7/2025, S. 15 · ID: 50254374