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PallIativmedizinÄrztlich assistierter Suizid: Die aktuelle Situation in Deutschland

Abo-Inhalt17.06.20256668 Min. LesedauerVon PDin Dr. Annette Rogge, Chefärztin Neurologie, Helgoland

| Wie sollte ärztliche Unterstützung am Lebensende aussehen? Wissenschaftlich und im Aufbau ambulanter wie stationärer Versorgungstrukturen sind in den vergangenen Jahrzehnten mit der Entwicklung moderner Palliativmedizin in Deutschland Fortschritte gemacht worden. Dennoch bleiben noch viele Fragen offen. |

Unklare Begriffe verstärken Missverständnisse

In Deutschland werden unter dem Begriff „Sterbehilfe“ unterschiedliche Handlungen zusammengefasst. Da sich viele Begriffe als missverständlich herausgestellt hatten, erfolgte in den vergangenen Jahren auch immer wieder ein Wechsel in der Nomenklatur der verschiedenen Handlungen am Lebensende. Das verstärkt leider zusätzlich Unsicherheiten in der Praxis und Missverständnisse in der gesellschaftlichen Debatte.

Nomenklatur: Maßnahmen am Lebensende

Tötung auf Verlangen (früher: „aktive Sterbehilfe“)

Die gezielte Herbeiführung des Todes eines Patienten auf dessen Wunsch durch einen nicht heilenden Eingriff, wie etwa eine Überdosis Medikament. Diese Handlung ist nach § 216 StGB in Deutschland verboten und spielt in der aktuellen Debatte eine geringe Rolle.

Behandlungsabbruch/ -begrenzung (früher: „passive Sterbehilfe“)

Ein Behandlungsabbruch, wenn keine medizinische Indikation mehr vorliegt oder der mutmaßliche Wille des Patienten eine Beendigung der Therapie fordert. Der Abbruch ist nicht als aktive Tötung zu werten, sondern als ein Wechsel des Therapieziels von kurativ zu palliativ.

Indirekte Sterbehilfe

Einer sterbenden Person wird ein Medikament zur Symptomlinderung verabreicht. Eine Verkürzung des Sterbeprozesses wird dabei als Nebenwirkung in Kauf genommen, dies ist aber nicht die primäre Intention.

Beihilfe zum Suizid/

assistierter Suizid

Bei der Suizidassistenz stellt der Arzt die Mittel zur Verfügung, die der Patient selbst verwendet, um sich das Leben zu nehmen. Die letzte Handlung, die zum Tod führt, wird also vom Patienten selbst durchgeführt. Dies ist in Deutschland unter bestimmten Bedingungen straffrei. Hierzu erfolgte das viel debattierte Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahre 2020 (s. u.).

Ärztinnen und Ärzte stehen vor einer Herausforderung

Vor allem wenn wir in unserer ärztlichen Tätigkeit Todeswünschen oder dem Wunsch nach Beschleunigung eines laufenden Sterbeprozesses begegnen, wird das sehr unterschiedliche Reaktionen in uns hervorrufen. Unsere Bereitschaft, den Todeswunsch durch ärztliche Hilfe zu unterstützen, wird sehr von Faktoren abhängen, die in unserer eigenen Persönlichkeit liegen. Sie wird aber auch von einer Vielzahl von Aspekten des einzelnen Falles abhängen.

Bei der Suizidassistenz stellt der Arzt bzw. die Ärztin die Mittel zur Verfügung, die die sterbewillige Person selbst verwendet, um sich das Leben zu nehmen. Die letzte Handlung, die zum Tod führt, wird also vom Patienten selbst durchgeführt. Neben medizinischen Aspekten ergeben sich dabei ethische Fragen und der Wunsch nach tragfähigen rechtlichen Rahmenbedingungen. Um diesen rechtlichen Rahmen wird in Deutschland seit Jahrzehnten gerungen. Die letzte große Zäsur erfolgte im Februar 2020, als das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) den § 217 StGB (geschäftsmäßige Förderung der Suizidassistenz) als verfassungswidrig einstufte. Als Folge dieses Urteils beschloss der 124. Deutsche Ärztetag am 05.05.2021, den Satz 3 des § 16 der Musterberufsordnung für Ärzte (MBO-Ä) „Der Arzt darf keine Hilfe zur Selbsttötung leisten“ zu streichen. Zugleich erklärte die Bundesärztekammer (BÄK), dass die „Mitwirkung von Ärztinnen und Ärzten bei der Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe“ sei [1].

Bisher gibt es weder klare Regeln noch genaue Zahlen

Eine neue gesetzliche Regelung des assistierten Suizids ist in den vergangenen fünf Jahren nicht gelungen. In der Folge des BVerfG-Urteils verzeichnen die Sterbehilfevereine in Deutschland einen deutlichen Mitgliederzuwachs und leisten nach eigenen Angaben auch vermehrt Suizidassistenz. Exemplarisch kann das anhand der jährlich veröffentlichten Zahlen des Hamburger Vereins Sterbehilfe nachvollzogen werden. [3] Unabhängige und deutschlandweite Zahlen fehlen. Ebenso fehlt eine Einigung über Voraussetzungen, Dokumentationspflichten und Qualitätskontrolle der Suizidassistenz. Der Zugang zu Betäubungsmitteln in entsprechender Dosierung ist weiterhin nicht klar geregelt.

Das hat dazu geführt, dass Einzelfälle – vor allem zu den komplexen Entscheidungen psychiatrisch erkrankter Personen – post mortem gerichtlich verhandelt werden. So wurden an den Landgerichten Essen und Berlin Ärzte zu Freiheitsstrafen wegen Totschlags verurteilt, nachdem sie Suizidassistenz geleistet hatten [2]. In beiden Fällen war der dauerhafte und freiverantwortliche Sterbewunsch im Rahmen psychischer Erkrankungen entscheidend.

Ein Blick in Nachbarländer kann sehr hilfreich sein

Einigkeit herrscht darüber, dass suizidpräventive und palliativmedizinische Maßnahmen gestärkt werden müssen, um Druck auf Menschen am Lebensende – etwa durch sozioökonomische Faktoren – zu verhindern. Zusätzlich sind psychologische und spirituelle Begleitungen für Angehörige und beteiligte Personen unerlässlich. Auch besteht keine ärztliche Mitwirkungspflicht bei der Suizidassistenz. Die Regelung der Suizidassistenz betrifft das ärztliche Selbstverständnis wie auch die Gesellschaft so grundlegend, dass sie Ergebnis eines Findungsprozesses sein sollte und nicht nur Folge von Angebot und Nachfrage im Vakuum nach Wegfall des § 217. Verschiedene europäische Nachbarländer sind in den vergangenen Jahren den schwierigen Weg eines Gesetzgebungsprozesses gegangen und können wertvolle Erkenntnisse liefern.

Weiterführende Hinweise
  • [1] Hinweise der BÄK zum ärztlichen Umgang mit Suizidalität und Todeswünschen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 217 StGB. Stand 25.06.2021 (online iww.de/s13097, abgerufen am 01.06.2025).
  • [2] Keller, Martina: Helfer oder Täter? Zwei Ärzte haben psychisch kranken Menschen beim Suizid assistiert. Durften sie das? In: ZEIT Verbrechen Nr. 27/2024 (iww.de/s13098 abgerufen am 24.02.2025)
  • [3] Jahresrückblick des Hamburger Vereins Sterbehilfe, online unter iww.de/s13099.

AUSGABE: CB 7/2025, S. 13 · ID: 50443661

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