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ArbeitszeitenBereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft? BAG bleibt seiner bisherigen Rechtsprechung treu
| Wann sind Dienste außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeiten als Bereitschaftsdienst, wann als Rufbereitschaft einzuordnen? Mit dieser Frage hat sich einmal mehr das Bundesarbeitsgericht (BAG) befasst und die Zeit- vorgaben eines an der Hausnotrufversorgung teilnehmenden Arbeitgebers als Anordnung von Bereitschaftsdienst eingestuft (Urteil vom 24.02.2022, Az. 6 AZR 251/21). Mit seiner Entscheidung bleibt das höchste deutsche Arbeitsgericht seiner bisherigen Rechtsprechung treu. |
Hintergrund: Facharztstandard vs. Rufbereitschaftsdienst
Grundsätzlich schuldet ein Krankenhaus den von der Rechtsprechung entwickelten und dann in das Patientenrechtegesetz übernommenen Facharztstandard – 24 Stunden täglich, 7 Tage wöchentlich. Gesetzliche Vorgaben, wie das Krankenhaus den Facharztstandard sicherzustellen hat, existieren nicht. In der Praxis hat sich die Kombination aus Regelarbeitszeit, (assistenzärztlichem) Bereitschaftsdienst und (fachärztlichem) Rufbereitschaftsdienst überwiegend durchgesetzt.
Bereitschaftsdienst = Arbeitszeit
Im Bereitschaftsdienst ist der Aufenthaltsort des Arztes (durch den Arbeitgeber/Krankenhausträger) fremdbestimmt. So hat sich der zum Bereitschaftsdienst eingeteilte Arzt regelmäßig im Krankenhaus am Arbeitsort aufzuhalten. Dementsprechend gilt der Bereitschaftsdienst insgesamt als Arbeitszeit. Nach einem sich aus Regelarbeitszeit und Bereitschaftsdienst zusammensetzenden 24-Stunden-Dienst hat sich die Ruhezeit anzuschließen.
Rufbereitschaft = Freizeit
In der Rufbereitschaft bestimmt der Arzt seinen Aufenthaltsort selbst. Rufbereitschaftsdienst gilt nicht als Arbeitszeit, sondern als Ruhezeit mit Ausnahme der tatsächlichen Inanspruchnahmen. Somit kann der Arzt bei mindestens 5,5-stündiger Ruhezeit zwischen dem Ende der Arbeitszeit und dem Beginn des nächsten Arbeitstages wieder eingesetzt werden.
Merke | Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft unterscheiden sich also nicht nur anhand der Vergütung, sondern vor allem aus arbeitszeitrechtlicher Sicht. So erfordert die arbeitszeitgesetzkonforme Besetzung eines Bereitschaftsdienstes mindestens sechs Ärzte. Berücksichtigt man die Begrenzung auf nur vier Bereitschaftsdienste monatlich nach Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern, sind sogar acht Ärzte erforderlich. Rufbereitschaftsdienste dagegen könnten (nötigenfalls) auch auf zwei bis drei Ärzte zulässigerweise verteilt werden. |
G-BA und OPS: Facharzt innerhalb von 30 Minuten am Patienten
Viele Mindeststrukturanforderungen nach Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und OPS sehen nunmehr vor, dass der Facharzt spätestens 30 Minuten nach Einlieferung am Bett des Patienten einsatzbereit sein muss. Jedoch dürfte die zeitliche Vorgabe, während des Dienstes innerhalb von 30 Minuten einsatzbereit im Krankenhaus zu sein, dazu führen, dass es sich um Bereitschaftsdienst – und nicht um Rufbereitschaft – handelt. Das gilt unabhängig von der vom Arbeitgeber gewählten Bezeichnung.
BAG führt seine bisherige Rechtsprechung fort
Das BAG hatte in der Festlegung eines an der Hausnotrufversorgung teilnehmenden Arbeitgebers die konkludente Anordnung von Bereitschaftsdienst gesehen. Der Arbeitgeber hatte vorgegeben, dass der betreffende Mitarbeiter
- bei einer Anfahrt von bis zu 30 Minuten
- den Wohnungsschlüssel des Notrufenden aus einem Schlüsselschrank der Dienststelle holen sollte und
- spätestens 35 Minuten nach Auftragserteilung durch die Hausnotrufzentrale beim Notrufenden eintreffen müsse.
Das BAG hat im aktuellen Urteil die bisherige Rechtsprechung fortgesetzt und zwischen Bereitschaftsdienst einerseits und Rufbereitschaft andererseits nach der für den Bereitschaftsdienst sprechenden Aufenthaltsbeschränkung differenziert. Dabei hat der Mitarbeiter „bei Rufbereitschaft die Möglichkeit, sich in dieser Zeit auch um persönliche und familiäre Angelegenheiten zu kümmern, an sportlichen und kulturellen Veranstaltungen teilzunehmen oder sich mit Freunden zu treffen.“ (BAG, Urteil vom 24.02.2022, Az. 6 AZR 251/21, Rz. 30; vgl. auch CB 03/2022, Seite 10 f.).
Ist die vom Arbeitgeber vorgegebene Zeitspanne derart kurz bemessen, komme sie einer Aufenthaltsbeschränkung gleich. Hier war es dem Mitarbeiter nicht möglich, persönliche Aktivitäten zu planen und durchzuführen, die mehr als wenige Minuten von seiner Dienststelle entfernt stattfanden. Diese Begrenzung in der Wahl seines Aufenthaltsortes habe den Kläger in seiner Freizeitgestaltung in einem Maße eingeschränkt, dass eine Einordnung des Dienstes als Rufbereitschaft nicht zulasse.
Fazit | Der Arzt in Rufbereitschaft, der an sportlichen oder kulturellen Veranstaltungen teilnehmen darf, wird in den seltensten Fällen innerhalb von maximal 30 Minuten ab dem entscheidenden, kritischen Ereignis seine Tätigkeit am Bett des Patienten aufnehmen können. Schlussendlich kollidieren die Strukturanforderungen des G-BA bzw. der OPS mit der arbeitsrechtlichen Definition und den arbeitszeitgesetzlichen Anforderungen an die Rufbereitschaft. Die für die Einhaltung der arbeitszeitgesetzlichen Vorgaben Verantwortlichen laufen also Gefahr, durch die Vorgabe der Einsatzbereitschaft am Patienten innerhalb von 30 Minuten gegen das Arbeitszeitgesetz zu verstoßen, insbesondere wenn der am „Rufbereitschaftsdienst“ teilnehmende Arzt am Folgetag wieder tätig wird. Kann die Facharztverfügbarkeit im Ergebnis nicht durch die Rufbereitschaft sichergestellt werden, müsste die Notfallversorgung durch Bereitschaftsdienst oder Arbeitszeit im Schichtdienst organisiert werden, wofür es aber auf absehbare Zeit – unabhängig von den Kosten, die dann kaum mehr adäquat über die Zuschläge abgebildet werden können – an entsprechend qualifiziertem Personal fehlt. |
- Sind Wegzeiten länger als 20 Minuten mit Rufbereitschaft vereinbar? (CB 05/2022, Seite 3)
- Ärzte in Rufbereitschaft: Sind Vorgaben zur Wegzeit erlaubt? (CB 03/2022, Seite 10)
- Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst – das ist rechtlich zulässig (CB 11/2021, Seite 10)
AUSGABE: CB 10/2022, S. 4 · ID: 48476572