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Arbeits- und SozialrechtSozialversicherungspflichtige Beschäftigung von Ärzten bei Nebentätigkeiten

Abo-Inhalt05.08.2024780 Min. LesedauerVon Rechtsanwältin, Fachanwältin für Medizinrecht und Sozialrecht Babette Christophers LL.M., Münster

| Die Frage, ob und wann ein Arzt, der nebenberuflich in einer Flüchtlingsunterkunft, einer Erstaufnahmeeinrichtung oder auch bei einer Kapitalgesellschaft tätig ist, abhängig beschäftigt und damit sozialversicherungspflichtig ist, wird regelmäßig gestellt. Sofern diese Fragen gerichtlich geklärt werden, treten ein paar Kriterien hervor, auf die es ankommt. Das Bundessozialgericht (BSG) hat sich in mehreren Entscheidungen noch einmal mit den wichtigsten Kriterien für die Beurteilung der abhängigen Beschäftigung von Ärztinnen und Ärzten befasst (Urteile vom 12.06.2024, Az. B 12 BA 2/22 R, Az. B 12 8/22 R und Az. B 12 BA 5/23 R). |

Ausgangslage

Ob Sie als Vertragsarzt durch eine Nebentätigkeit – sei es im Rahmen eines sozialen Engagements – möglicherweise sozialversicherungspflichtig werden könnten (was in den allermeisten Fällen aufgrund der zusätzlichen Sozialversicherungs-Abgaben weder arztseitig noch von der Arbeitgeberseite her angestrebt werden dürfte), hängt im Einzelfall davon ab, ob grob gefasst

  • eine Eingliederung in den betrieblichen Arbeitsablauf gegeben ist,
  • eine Weisungsgebundenheit vorliegt und
  • ein unternehmerisches Risiko gegeben ist.

Um bei diesen Kriterien jeweils zu einer Bewertung zu gelangen, hat die BSG-Rechtsprechung bereits eine Reihe von Indizien formuliert. Anzeichen für eine Selbstständigkeit sind demnach, wenn (keine abschließende Aufzählung)

  • es einen Unternehmensauftritt gibt,
  • eine eigene Website, Telefon und E-Mail sowie Visitenkarten geführt werden,
  • es mehrere verschiedene Auftraggeber gibt,
  • weitere (externe) Mitarbeiter mit Aufträgen versorgt werden,
  • die Person die Preise, den Arbeitsort und Urlaub frei wählen kann,
  • konkrete Projekte abgearbeitet werden (nicht pauschal auf Stundenbasis),
  • auch Aufträge abgelehnt werden können und/oder
  • aktiv Werbung gemacht wird.

Umgekehrt ist eine abhängige Beschäftigung der betreffenden Person anzunehmen, wenn (keine abschließende Aufzählung)

  • eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation vorliegt,
  • eine Verpflichtung besteht, Aufträge anzunehmen bzw. kein Recht besteht, Aufträge abzulehnen,
  • kein eigenes Betriebskapital eingesetzt wird,
  • kein Unternehmerrisiko besteht,
  • keine Entscheidungsfreiheit über die Zahlweise von Kunden besteht,
  • kein Entscheidungsspielraum bezüglich der Preiskalkulation besteht,
  • die beauftragte Person die Leistung nur höchstpersönlich erbringen kann,
  • eine Dokumentations-, Berichtspflicht besteht,
  • nicht aktiv Werbung betrieben wird,
  • ein festes Gehalt ohne Umsatzbeteiligung bezogen wird und/oder
  • Urlaubs- und Lohnfortzahlungsansprüche bestehen.

Anwendung im ersten Fall (Az. B 12 BA 2/22 R)

Eine GmbH bot die Organisation und Durchführung von Gesundheitsuntersuchungen (z. B. Diabetes-Screening) für Arbeitnehmer von Unternehmen an. Eine Ärztin wurde von der GmbH mit der Durchführung der ärztlichen Leistungen beauftragt, die mit den Unternehmen vereinbart waren. Der Ärztin wurde das erforderliche Equipment überlassen, eine Beschreibung des Untersuchungsablaufs sowie Dokumentationsunterlagen. Entlohnt wurde die Ärztin nach einem Stundensatz. Im Ergebnis wurde die Ärztin als abhängig beschäftigt und somit als sozialversicherungspflichtig angesehen. Das Gericht war der Auffassung, dass die Ärztin während ihrer Einsätze in einer ihre Tätigkeit prägenden Art und Weise fremdbestimmt war, indem sie in die vorgegebenen Arbeitsabläufe und Organisationsstrukturen eingegliedert war. Die Ärztin hatte keinen Freiraum, ihre Tätigkeit nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit waren vorgegeben. Die Betriebsmittel wurden zur Verfügung gestellt. Wegen der Vergütung nach Stundensätzen war kein Unternehmerrisiko gegeben. Die Ärztin konnte auch nicht durch ihr unternehmerisches Geschick das Verhältnis von Aufwand und Ertrag zu ihren Gunsten beeinflussen.

Anwendung im zweiten Fall (Az. B 12 8/22 R)

In diesem Fall ging es um die Tätigkeit eines Arztes in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge und die Beurteilung dieser Tätigkeit als abhängige und somit sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Ein Arzt, der Erstuntersuchungen von in der Einrichtung untergebrachten Personen und die Beurteilung von Erstuntersuchungsbefunden vornahm, wurde als abhängig beschäftigt angesehen, da er bei seinen Einsätzen in den Dienstbetrieb der Erstaufnahmeeinrichtung fremdbestimmt eingegliedert war. Er erhielt eine Vergütung auf Stundensatzbasis und musste keine Vorhaltekosten und Nutzungsentgelte für die vorhandene Infrastruktur bezahlen. Er arbeitete mit dem vorhandenen Personal zusammen. Dass der Arzt auch für andere Auftraggeber tätig war, wertete das Gericht nicht als Indiz für eine Selbstständigkeit.

Fazit | Auch wenn Ärzte in ihrer medizinischen Tätigkeit nicht weisungsgebunden sind, so werden sie doch sozialversicherungsrechtlich als abhängig beschäftigt angesehen, wenn sie keinen Freiraum haben, ihre Tätigkeit nach Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit selbst zu bestimmen. Ob der Arzt in die Infrastruktur des Auftraggebers eingebunden ist, hängt davon ab, ob die fremde Ausstattung genutzt wird oder der Arzt eigene Betriebsmittel mitbringt. Auch wenn die Frage der abhängigen Beschäftigung/Selbstständigkeit eines Arztes vom Einzelfall abhängt, so geben die Gerichte durch die Vielzahl der ergangenen Urteile mittlerweile recht klare Vorgaben zur Beurteilung.

AUSGABE: AAA 8/2024, S. 19 · ID: 50111164

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