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BerufsrechtÄrztliche Fernbehandlung – Keine Folgeverordnungen ohne vorherigen persönlichen Kontakt!

Abo-Inhalt22.04.20244 Min. LesedauerVon Rechtsanwältin Franziska Dickmann, LL.M., D+B Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Berlin

| Die Ausstellung von Folgerezepten für verschreibungspflichtige Arzneimittel über das Internet erfordert einen vorherigen persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient. Wird ein Folgerezept über eine Softwareplattform angefordert und von einem Arzt ausgestellt, der den Patienten zuvor nicht behandelt hat, verstößt dies gegen ärztliches Berufsrecht und gegen Heilmittelwerberecht. Gegen eine Softwareplattform, die eine solche Leistung bewirbt, besteht daher ein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch (Oberlandesgericht [OLG] Hamburg, Beschluss vom 15.08.2023, Az. 5 U 93/22). |

Hintergrund: Die ausschließliche Fernbehandlung im ärztlichen Berufsrecht und im Heilmittelwerberecht

Das ärztliche Berufsrecht lässt eine (ausschließliche) Fernbehandlung unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall zu. Laut § 7 Abs. 3 der Berufsordnung der Hamburger Ärztinnen und Ärzte beraten und behandeln Ärzte Patienten im persönlichen Kontakt. Kommunikationsmedien können dabei unterstützend zum Einsatz kommen. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall unter bestimmten Bedingungen erlaubt: Die ausschließliche Behandlung über Kommunikationsmedien muss ärztlich vertretbar sein, die erforderliche ärztliche Sorgfalt muss – insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation – gewahrt werden und der Patient muss über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung aufgeklärt werden.

Laut § 9 Satz 1 des Heilmittelwerbegesetzes (HWG) ist es unzulässig, für Fernbehandlungen – d. h., die Erkennung oder Behandlung von Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhaften Beschwerden ohne eigene Wahrnehmung – Werbung zu machen. Nach § 9 Satz 2 HWG ist dieses Verbot nicht anwendbar auf die Werbung für Fernbehandlungen mittels Kommunikationsmedien, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt (APK) mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.

Sachverhalt

Die Beklagte war Betreiberin einer Softwareplattform, auf der sie u. a. die Ausstellung von Rezepten für verschreibungspflichtige Arzneimittel über das Internet anbot und dafür Werbung machte. Die Patienten wurden vor der Ausstellung des Rezepts nicht von den das Rezept ausstellenden Ärztinnen oder Ärzten behandelt. Die Klägerin – ein eingetragener Verein, zu dessen Aufgaben es gehört, gewerbliche und selbstständige berufliche Interessen zu verfolgen und zu Fragen des lauteren Wettbewerbs zu beraten – mahnte die Beklagte (zunächst erfolglos) ab und erwirkte sodann vor dem Landgericht (LG) Hamburg eine Unterlassungsverfügung. Das LG verurteilte die beklagte Softwareplattform, es zu unterlassen, für die Ausstellung oder den Versand von Rezepten zum Bezug verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu werben, wenn der das Arzneimittel verordnende Arzt den Patienten nicht zuvor schon einmal behandelt hat. Das OLG Hamburg bestätigte dies in seinem Beschluss.

Entscheidungsgründe

Laut OLG Hamburg verstößt die Erteilung eines Folgerezepts für ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel ohne vorherigen persönlichen Kontakt gegen ärztliches Berufsrecht. Die Ausstellung des Rezepts verstoße gegen die ärztliche Sorgfalt, da ohne vorherigen persönlichen Kontakt nicht sichergestellt werden könne, dass der Zweck der Verschreibungspflicht gewahrt werde. Eine telefonische Rezeptanforderung könne zwar ausreichen. Dafür sei aber notwendig, dass der Patient schon zuvor von der Ärztin oder dem Arzt behandelt wurde und der Arzt über den Gesundheitszustand und die Notwendigkeit der Verordnung „orientiert“ ist. Auch nach einem persönlichen Erstkontakt sollten bei Folgeverordnungen in gewissen Abständen weitere Untersuchungen durchgeführt werden.

Bei der Ausstellung des Folgerezepts handele es sich auch um eine Fernbehandlung im Sinne des Heilmittelwerberechts. Denn es erfolge keine persönliche Wahrnehmung des Patienten durch den Arzt. Für die Fernbehandlung dürfe keine Werbung gemacht werden. Die Ausnahme des § 9 Satz 2 HWG sei hier nicht einschlägig, da die Ausstellung eines Folgerezepts in dieser Konstellation nicht den allgemeinen fachlichen Standards entspreche.

Den Einwand der Beklagten, dass eine Softwareplattform nicht gegen Pflichten des ärztlichen Berufsrechts verstoßen könne, weil sie den Arztberuf nicht ausübe, lehnte das OLG ab. Denn die Beklagte sei als Betreiberin der Plattform zwar nicht selbst Adressatin des Berufsrechts, stifte aber Ärzte dazu an bzw. unterstütze sie dabei, gegen Marktverhaltensregeln des Wettbewerbsrechts zu verstoßen, um dadurch den Absatz ihres Unternehmens zu fördern.

Fazit | Mit dem im März diesen Jahres in Kraft getretenen Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz) soll die Rolle von telemedizinischen Angeboten auch in der vertragsärztlichen Versorgung weiter gestärkt werden. Dafür wurde im Digital-Gesetz insbesondere die gesetzliche Vorgabe, die Erbringung von Videosprechstunden fall- und leistungsbezogen zu begrenzen, aufgehoben. Beim Angebot telemedizinischer Leistungen sind jedoch u. a. die vom OLG Hamburg aufgezeigten Grenzen zu berücksichtigen:
  • Die Ausstellung eines Rezepts für verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne vorherigen persönlichen Kontakt dürfte regelmäßig gegen ärztliches Berufsrecht verstoßen. Auch wenn das Gericht sich hier in erster Linie mit der Ausstellung von Folgeverordnungen befasst hat, gelten die Ausführungen erst recht auch für Erstverordnungen.
  • Bei der Werbung für Fernbehandlungen oder ggf. auch schon beim Informieren über letztere dürfen die Vorschriften des Heilmittelwerberechts nicht außer Acht gelassen werden, da andernfalls eine wettbewerbsrechtliche Unterlassungsverfügung drohen kann.

AUSGABE: AAA 5/2024, S. 13 · ID: 50001074

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