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ReichsbürgerAntworten auf wichtige Fragen zum Thema „Reichsbürger“ im Arbeitsverhältnis

Abo-Inhalt26.04.20235055 Min. Lesedauer

| Das Dienst- bzw. Arbeitsverhältnis kündigen, vielleicht sogar sofort oder Pensionen kürzen: Welche Sanktionsmöglichkeiten hat ein ArbG bzw. der öffentliche Dienstherr, wenn einer seiner Mitarbeiter, Angestellten oder Beamten ein „Reichsbürger“ ist oder diesen nahesteht? In den Jahren 2022 und auch bereits 2023 sind hierzu einige interessante Entscheidungen gefallen. |

1. Können Reichsbürger als Beamte aus dem Polizeidienst oder als Soldaten aus dem Wehrdienst entlassen werden?

In den letzten Jahren sind hierzu einige Entscheidungen ergangen. So entschied das VG München (5.7.22, M 19 L DK 21.3728, Abruf-Nr. 234877), dass eine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis gerechtfertigt sei, wenn ein Polizeibeamter im Dienst Ausländer beleidige und er reichsbürgertypische Ansichten äußere. Hierin liege eine besonders schwere Dienstpflichtverletzung. Das Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung gehöre zu den zentralen beamtenrechtlichen Grundpflichten. Es sei im Interesse des Vertrauens der Öffentlichkeit in den demokratischen Rechtsstaat von den für ihn tätigen Beamten besonders zu beachten. Gerade von diesen sei jeglicher Anschein der Identifikation mit ausländerfeindlichem, rassistischem, nationalistischem oder reichsbürgertypischem Gedankengut zu vermeiden.

In einem Verfahren vor dem VG Hannover (28.4.22, 18 A 3735/21, Abruf-Nr. 234878) ging es um einen 58-jährigen Polizeihauptkommissar. Ihm sei nach Auffassung der Disziplinarkammer zu Recht vorzuwerfen, der sogenannten Reichsbürgerbewegung anzugehören und auf verschiedenen öffentlichen Veranstaltungen unter anderem der „Querdenkerszene“ Verschwörungstheorien verbreitet sowie staatliche Institutionen und deren Organe verunglimpft zu haben. So habe er ohne Anlass einen Staatsangehörigkeitsausweis beantragt, im Antragsformular „Geburtsstaat“ Preußen angegeben und seinen Bundespersonalausweis abgegeben mit dem Hinweis, diesen nicht mehr zu benötigen. Für dieses für die Reichbürgerszene typische Verhalten habe er keine nachvollziehbaren Gründe benennen können. Das Niedersächsische OVG (14.3.23, 3 LD 7/22, Abruf-Nr. 234879) wies seine Berufung zurück. Nach Auffassung des VG und auch des OVG seien die oben genannten Handlungen eine schuldhafte Verletzung der Verfassungstreuepflicht im Sinne des § 33 Abs. 1 S. 3 Beamtenstatusgesetz. Die in seiner Freizeit öffentlichen Redebeiträge hätten dabei die Grenze sachlicher Kritik überschritten.

Auch die Veröffentlichung eines Links in einem sozialen Netzwerk zu Webseiten der Reichsbürger- bzw. Selbstverwaltungsbewegung durch eine Soldatin stelle eine ernsthafte Gefährdung des Ansehens der Bundeswehr und der militärischen Ordnung dar und rechtfertige die fristlose Entlassung der Soldatin. Dies entschied das VG Stuttgart (9.3.22, 14 K 5778/21, Abruf-Nr. 234880).

2. Können Ruhebezüge gekürzt oder ganz entzogen werden?

Ja, auch das ist möglich. So entschied das OVG Rheinland-Pfalz (11.3.22, 3 A 10615/21.OVG, Abruf-Nr. 234881) im Fall einer pensionierten Beamtin, dass ihr das Ruhegehalt abzuerkennen sei. Die ehemalige Lehrerin äußerte sich in von ihr veröffentlichten Büchern und mehreren Schreiben an Behörden reichsbürgernah. So sei in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland mehrfach von einem „Scheinstaat“ bzw. „Nichtstaat“ und von einem „Unternehmen mit Firmenstrukturen“ die Rede gewesen. Außerdem habe sie einen ehemaligen Bundespräsidenten als „Geschäftsführer“ und das demokratische Wahlsystem als „Partei-Wahldiktatur“ bezeichnet. Die Verfassungsordnung habe sie als „ungültig“ abgelehnt.

Das VG Trier erkannte ihr das Ruhegehalt ab, weil sie sich im Ruhestand aktiv gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des GG betätigt habe. Dabei könne dahinstehen, ob sie der Reichsbürgerbewegung wirklich angehöre. Die ihr vorgehaltenen Äußerungen seien jedenfalls szenetypisch und inhaltlich gezielt gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet. Auch das OVG wies die Berufung zurück. In den von der Ruhestandsbeamtin getätigten Äußerungen komme geradezu eine Verachtung für den deutschen Staat und seine Institutionen zum Ausdruck.

3. Welche Voraussetzungen müssen dargelegt werden?

Es fällt auf, dass die ArbN/Beamten sich vor Gericht häufig auf ihre langjährigen Dienste ohne Beanstandungen berufen. Die Gerichte lassen diese Argumentation meist nicht gelten. Dass die Beschäftigten bislang nicht durch eine ablehnende Einstellung gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung im Sinne des GG aufgefallen sind, lasse den Pflichtenverstoß nicht entfallen. Entsprechendes gelte für ihren Hinweis auf ihre bisherige tadellose Diensterfüllung. Diese Gesichtspunkte seien auch ungeeignet, sich mildernd auszuwirken. Denn jeder Beamte ist verpflichtet, dauerhaft bestmögliche Leistungen bei vollem Einsatz der Arbeitskraft zu erbringen und sich innerhalb und außerhalb des Dienstes achtungs- und vertrauenswürdig zu verhalten. Die langjährige Erfüllung dieser Verpflichtung kann nicht dazu führen, dass die Anforderungen an das inner- und außerdienstliche Verhalten abgesenkt werden (vgl. BVerwG 23.1.13, 2 B 63.12). Grundsätzlich mildernd sei allein zu berücksichtigen, wenn gegen die Beamten noch keine Disziplinarmaßnahmen verhängt worden seien.

4. Welche Besonderheiten gelten in Arbeitsverhältnissen?

Auch hier hat sich in den letzten Jahren einiges getan. So entschied das LAG Hamburg (22.4.22, 7 Sa 49/21, Abruf-Nr. 231191), dass eine Kündigung durchaus möglich sei, wenn sich ein Angestellter im Polizeidienst mit der Reichsbürgerideologie identifiziere. Es fehle dann an dem für die Tätigkeit im öffentlichen Dienst erforderlichen Mindestmaß an Verfassungstreue. Im vorliegenden Fall ging es um einen ArbN bei der Stadt Hamburg, der als Angestellter im Polizeidienst u. a. im Objektschutz tätig und mit der Bewachung von Generalkonsulaten und jüdischen Einrichtungen betraut war.

Auf seinem Linked-In-Profil gab er „Polizeidienst bei der Polizei Hamburg“ an. In einem auf seiner Homepage verlinkten Video fragte er: „#3 Talk About… Ist Deutschland besetzt oder frei? Einfach mal frei nach Schnauze!“. In diesem Video führte er u. a. aus, dass er das GG als „Scheißdreck von Verfassung“ verstehe und von der Logik her das GG „von unseren Besatzern“ und eine „nette Art Betriebsordnung“ sei. Ferner führte er aus, dass er mittlerweile immer mehr davon überzeugt sei, „dass wir ein besetztes Gebiet sind“. Das Landesamt für Verfassungsschutz rechnete ihn dem Beobachtungsobjekt „Reichsbürger und Selbstverwalter“ zu. Der ArbG kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich.

Während das Arbeitsgericht Hamburg der Kündigungsschutzklage stattgab, hatte das LAG Hamburg begründete Zweifel an der Verfassungstreue des ArbN, womit es dem ArbN an der Eignung für die vertraglich geschuldete Tätigkeit im öffentlichen Dienst mangele. Die vom ArbN im Internet dargestellten Äußerungen und seine Nähe zur sog. Reichsbürgerideologie würden zeigen, dass der ArbN nicht das erforderliche Maß an Verfassungstreue aufweise. Der öffentliche ArbG müsse keine ArbN beschäftigen, die das ihnen abzuverlangende Maß an Verfassungstreue nicht jederzeit aufbringen. Der ArbG sei auch nicht gehalten gewesen, den ArbN auf einem anderen – weniger sicherheitsempfindlichen – Arbeitsplatz einzusetzen.

Grundsätzlich ist festzuhalten, dass in privaten Arbeitsverhältnissen Kündigungen nur eingeschränkt zulässig sind. Voraussetzung bei extremistischen Aktivitäten ist, dass es sich um ein betriebliches Verhalten handelt. Beispiel: Eine Kündigung ist in der Regel rechtmäßig bei volksverhetzenden Parolen während der Arbeitszeit oder der Verwendung von Kennzeichen verbotener Organisationen am Arbeitsplatz, da diese betriebliche Straftaten darstellen. Auch diskriminierende Äußerungen gegenüber ausländischen Kollegen oder politische Betätigungen können den Betriebsablauf stören. Das gilt insbesondere, wenn diese Aktivitäten von Mitarbeitern mit Kundenkontakt ausgehen. Allerdings reichte dem LAG Niedersachsen (12.3.18, 15 Sa 319/17, Abruf-Nr. 200241) der Verdacht der Zugehörigkeit zu einer extremistischen Gruppe nicht aus, um den ArbN zu kündigen.

Praxistipp | Wie wählt der ArbG/Dienstherr die jeweils angemessene Sanktion? Nach den Disziplinargesetzen des Landes richtet sich die Abwägung bei Sanktionen nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung des Persönlichkeitsbilds des Beamten und des Umfangs der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit.

Dabei muss die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung aller belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerwG 10.12.15, 2 C 50.13 und 16.3.17, 2 B 42.16). Kriterien sind:

  • die objektive Handlung (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, zum Beispiel die Verletzung einer Kern- oder einer Nebenpflicht, sowie besondere Umstände der Tatbegehung, wie etwa Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens),
  • subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie
  • unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und Dritte, z. B. der materielle Schaden.

AUSGABE: AA 5/2023, S. 83 · ID: 49410079

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