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Außerordentliche KündigungDiese Konsequenzen drohen, wenn der ArbN eigene Entgeltabrechnungen verfälscht
| Verfälscht der ArbN über das eigene Arbeitsverhältnis erstellte Abrechnungen, um einen Kreditgeber zu täuschen, kann dies seine persönliche Eignung für die ihm übertragenen Aufgaben in Frage stellen, wenn im Rahmen einer kaufmännischen Tätigkeit gerade die Vertragsanbahnung zu seinen Arbeitsaufgaben gehört. |
Sachverhalt
Die Parteien streiten über eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung wegen eines streitigen außerdienstlichen Verhaltens. Der ArbN war seit Oktober 2016 als Kundenberater beschäftigt. Der ArbG ist Vertriebspartner der A AG in der Mobilfunksparte. Der Einsatz des ArbN erfolgte durchgängig im Shop D für ein Monatseinkommen in Höhe von rund 2.500 EUR brutto zuzüglich Provisionsleistungen aus der Vermittlung oder Verlängerung von Mobilfunkverträgen. Insoweit war es im Rahmen der Verkaufsgespräche seine Aufgabe, die Identität der Kunden festzustellen und die zum Vertragsschluss erforderlichen persönlichen Daten aufzunehmen. Über die monatliche Vergütung erteilte der ArbG dem ArbN detaillierte Abrechnungen, welche das Fixum und die einzelnen Provisionsbestandteile auswiesen.
Mit Schreiben vom 21.1.19 wandte sich die Polizeibehörde L an den ArbG. Sie teilte mit, dass im Rahmen von Ermittlungen in einem Betrugsverfahren Gehaltsabrechnungen über das Arbeitsverhältnis des ArbN relevant wären. Diese seien vorgelegt worden, um ein Darlehen zu erlangen. Diese Abrechnungen über die Monate Oktober bis Dezember 2017 ließen den ArbG als Aussteller erkennen. Sie verhielten sich über ein monatliches Festgehalt in Höhe von 4.440 EUR brutto.
Die im Rahmen der Finanzierungsanträge gemachten Angaben zum Einkommen des ArbN weisen aus, dass dieser ein Nettoeinkommen in Höhe der gefälschten Abrechnungen bezieht. Am Arbeitsplatz mit dem Vorwurf der Fälschung von Lohnabrechnungen konfrontiert, bestritt der ArbN gegenüber dem Shopleiter jede Kenntnis davon bzw. Beteiligung insoweit. Daran schloss sich eine sofortige Freistellung an. Daraufhin kündigte der ArbG das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht zum nächstzulässigen Termin.
Das Arbeitsgericht Bielefeld erkannte vollumfänglich nach dem Klageantrag. Die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung lägen nicht vor. Die Beteiligung des ArbN an einer außerdienstlichen Straftat, deren Initiierung oder wissentliche Billigung stehe nicht zur Überzeugung der Kammer fest.
Entscheidungsgründe
Die Berufung vor dem LAG Hamm (19.8.21, 8 Sa 1671/19, Abruf-Nr. 224695) war erfolgreich. Die Kündigungsschutzklage sei als unbegründet abzuweisen, weil bereits die außerordentliche Kündigung des ArbG rechtswirksam sei und das Arbeitsverhältnis der Parteien mit dem Tag ihres Zugangs aufgelöst worden sei. Der ArbG habe einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB für die sofortige Beendigung des mit dem ArbN begründeten Arbeitsverhältnisses gehabt. Die Kündigungserklärungsfrist sei eingehalten worden.
Das LAG Hamm hielt es für unstreitig, dass im Kontext der Kreditanfragen zur Immobilienfinanzierung rund um die Jahreswende 2017/2018 falsche Angaben zu den Einkommensverhältnissen des ArbN gemacht worden seien. Dabei seien mehrere gefälschte Lohnabrechnungen vorgelegt worden, um die Kreditgeberseite bei der Entscheidung über den Vertragsabschluss über die Bonität des ArbN bewusst zu täuschen.
Soweit dieser behaupte, dies alles sei ohne seine Mitwirkung, sein Wissen bzw. seine Billigung erfolgt und allein dem von ihm bemühten Vermittler I anzulasten, handle es sich um eine offensichtliche und durch aussagekräftige Indizien widerlegte Schutzbehauptung. Dabei sei nicht entscheidend, wie genau das Verhalten des ArbN in strafrechtlicher Hinsicht einzuordnen sei, und ob er die Fälschung der Abrechnungen aus eigennützigen Motiven und zu seinem Vorteil lediglich veranlasst habe oder er an der Herstellung der gefälschten Abrechnungen, etwa durch die Zulieferung der benötigten Daten, unmittelbar beteiligt gewesen sei. Die Fälschungen seien jedenfalls auf seine Initiative und zu seinem Vorteil erstellt, um seine potenziellen Vertragspartner vorsätzlich zu täuschen und in ihren Vermögensinteressen zu gefährden.
Der geschäftserfahrene und kaufmännisch ausgebildete ArbN sei zeitlich danach unmittelbar in das Antragsverfahren eingebunden gewesen. Mit der Erläuterung und Durchsicht von komplexen Vertragsunterlagen sowie dem Abschluss von Verträgen sei er durch die mehrjährige Tätigkeit im Mobilfunkvertrieb bestens vertraut. Er habe daher genau um die Bedeutung und Tragweite zutreffender persönlicher Angaben bei der Vertragsanbahnung gewusst.
Mit der Behauptung, er könne sich nicht an ein Schreiben oder eine Unterschrift erinnern, könne der ArbN keinen gegenüber einer willentlichen Perpetuierung des gegenüber den Kreditgebern aufgebauten Täuschungsszenarios alternativen und gleichermaßen plausiblen Geschehensablauf aufbauen. Denn die Anfrage und die Unterschriftsleistung erfolgten zeitlich denknotwendig nach dem Zeitpunkt, zu welchem er beim Vermittler oder anderswo alle Unterlagen blindlings unterschrieben haben wolle. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der ArbN bei engen wirtschaftlichen Voraussetzungen mit dem Vermittler eine weitere Person einschaltete, die ebenfalls – zu seinen Lasten – einen wirtschaftlichen Vorteil aus den Geschäften erzielen wollte.
Dazu trete der Umstand, dass es sich dem ArbN aufgrund seiner Geschäftserfahrung aufgedrängt haben muss, aus nur einem Einkommen in Höhe von rund 2.500 EUR, gegenüber drei Familienangehörigen bestehenden Unterhaltspflichten und einer kurz zuvor bereits begründeten monatlichen Kreditbelastung in Höhe von rund 500 EUR monatlich, keine Immobilie zum Preis von ca. 260.000 EUR voll finanzieren zu können. Hinzu komme letztlich der Punkt, dass der ArbN den Vorteil aus den angestrebten Kreditgeschäften ziehen wollte, was eine entsprechende Motivlage begründet habe.
Das außerdienstliche Fehlverhalten stelle die Eignung des ArbN für die ihm beim ArbG obliegenden Aufgaben nachhaltig in Frage. Aufgabe des ArbN als kaufmännischer Angestellter sei gewesen, im Rahmen von Vermittlungsdienstleistungen mit Kunden Vertragsgespräche zu führen, Vertragsmodalitäten zu erläutern, deren Identität und Daten korrekt zu erfassen und darüber letztlich – über die Provisionsleitung auch zum eigenen Vorteil – Vertragsabschlüsse zu generieren. Sein außerdienstliches Fehlverhalten sei genau in diesem Pflichtenkreis angesiedelt. Es betreffe das seriöse, rücksichtsvolle und gesetzeskonforme eigene Verhalten bei der Anbahnung einer Vertragsbeziehung. Dabei habe der ArbN entsprechende Pflichten unter Verletzung strafrechtlicher Normen, aus wirtschaftlichem Eigennutz und ohne Rücksicht auf die Interessenlage seiner Verhandlungspartner grob verletzt.
Zudem habe er mit seiner Beteiligung an der Verfälschung von Entgeltabrechnungen, die der ArbG über das Arbeitsverhältnis erstellen ließ, auch seine Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB schuldhaft verletzt. Denn der ArbG sei Aussteller der Abrechnungen. Er habe ein schutzwürdiges Interesse daran, nicht selbst über die Verwendung vermeintlich von ihm erstellter, das Arbeitsverhältnis betreffender, verfälschter Dokumente in Misskredit gebracht oder Haftungsrisiken ausgesetzt zu werden.
Dem ArbG sei es nicht zuzumuten gewesen, unter Zurückstellung seines berechtigten Interesses an einer sofortigen Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf die Möglichkeit der ordentlichen Kündigung als dem milderen Mittel zurückzugreifen. Daher müsse er sich auch nicht auf eine zeitlich unbestimmte Fortsetzung der Zusammenarbeit unter Ausspruch einer Abmahnung verweisen lassen. Entscheidend sei, dass der ArbN durch sein Fehlverhalten nicht nur einen nachhaltigen Eignungsmangel dokumentiere. Er habe vielmehr auch durch das bewusste und zielgerichtete Verändern auf das Arbeitsverhältnis bezogener Dokumente schutzwürdige Interessen des ArbG und damit seine Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB schuldhaft verletzt. Er habe nicht damit rechnen können, dass ihm das Verfälschen von Abrechnungen im Rahmen einer Vertragsanbahnung und zum Zwecke des Kreditbetrugs vom ArbG nachgesehen oder als nicht relevant eingestuft und es für das Arbeitsverhältnis folgenlos bleiben werde. Von einer Billigung, Hinnahme oder auch nur Relativierung dieses Verhaltens habe er nicht ausgehen können.
Relevanz für die Praxis
Außerdienstlich begangene Straftaten können das Arbeitsverhältnis zunächst insofern belasten, als sie nach objektiver Betrachtung geeignet sind, ernsthafte Zweifel an der Eignung des ArbN für die ihm obliegende Tätigkeit zu begründen. Aus einer wegen der Straftat anzunehmenden, funktionsabhängig zu beurteilenden Unzuverlässigkeit oder Ungeeignetheit des ArbN kann insoweit ein personenbedingter wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB folgen. Voraussetzung ist regelmäßig, dass das außerdienstliche Verhalten das Arbeitsverhältnis konkret berührt, etwa im Kontext der Arbeitsleistung oder aber im Bereich des personalen Vertrauens. Die Frage der weiteren Eignung des ArbN bestimmt sich dabei im Einzelfall unter Berücksichtigung der Art des begangenen Delikts und der konkreten Arbeitsaufgabe.
Das LAG Hamm stellt klar, dass außerdienstliches – insbesondere strafrechtlich relevantes – Fehlverhalten – also außerhalb des Arbeitsverhältnisses – auch zu berechtigten Sanktionen des ArbG bis hin zur Kündigung führen kann. Deutlich wichtiger als die strafrechtliche Wertung ist hierbei der konkrete Bezug zum Arbeitsverhältnis, der durch die Verwendung im Arbeitsverhältnis erlangter Unterlagen (zum Beispiel Abrechnungen) und auch durch eine besondere Stellung des/der ArbN im Betrieb hergestellt werden kann.
Rechtsprechungsübersicht / Wichtige Entscheidungen zum Thema Verdachtskündigung | |
LAG Nürnberg 8.12.20, 7 Sa 226/20, Abruf-Nr. 221124 | Verdachtstatsachen bei Verdachtskündigung Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des ArbN durch eine verdeckte Videoüberwachung muss nach § 26 BDSG dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Hierauf wies das LAG Nürnberg hin. Der ArbG muss deshalb vor der Installation der verdeckten Videokamera die dafür geeigneten und ihm zumutbaren Möglichkeiten ausgeschöpft haben, den möglichen Täterkreis mit entsprechenden Verdachtstatsachen einzugrenzen. |
LAG Mecklenburg- Vorpommern 18.5.21, 2 Sa 269/20, Abruf-Nr. 223497 | Auf Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus Der dringende Verdacht einer erheblichen Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten kann ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. |
LAG Mecklenburg- Vorpommern 15.1.19, 2 Sa 113/18 Abruf-Nr. 211529 | Verdachtskündigung als ordentliche Kündigung Eine Verdachtskündigung ist als ordentliche Kündigung nur dann sozial gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die auch eine außerordentliche fristlose Kündigung wegen des Verdachts schwerer Pflichtverletzungen gerechtfertigt hätten. |
Arbeitsgericht Dortmund 22.1.19, 5 Ca 955/18, Abruf-Nr. 208368 | Anforderungen an Verdachtskündigung wegen kollusiven Zusammenwirkens mit Dritten Auch der hinreichend starke Verdacht einer Pflichtverletzung in Form schuldhafter Schädigungen des ArbG durch den ArbN kann geeignet sein, um einen Grund für eine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu bilden. Im Rahmen der Betriebsratsanhörung muss der ArbG aber konkret darlegen, ob er die Kündigung auf den dringenden Verdacht einer Pflichtverletzung unter Benennung der Tatsachengrundlage stützen will, oder ob er eine Tatkündigung beabsichtigt. |
LAG Hamm 11.3.20, 6 Sa 1182/19, Abruf-Nr. 218586 | ArbG muss schwerwiegende Tatsachen anführen Soll eine Verdachtskündigung ausgesprochen werden, muss der darlegungsbelastete ArbG Tatsachen vortragen, die nicht lediglich Fragen aufwerfen, Zweifel aufkommen lassen und mehr oder weniger starke Vermutungen indizieren. Es müssen schwerwiegende Tatsachen angeführt werden, die einen dringenden Verdacht begründen, der ArbN habe die behauptete Pflichtverletzung begangen. |
LAG Rheinland-Pfalz 2.3.18, 1 Sa 197/17, Abruf-Nr. 210154 | Verdachtskündigung im Sinne einer Wahlfeststellung Erstreckt sich im Fall einer außerordentlichen Verdachtskündigung der Verdacht auf zwei sich wechselseitig ausschließende Sachverhalte, ohne dass für eine denkbare Sachverhaltsvariante eine überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht, ist die Verdachtskündigung im Sinne einer Wahlfeststellung nur gerechtfertigt, wenn jeder der beiden denkbaren Sachverhaltsvarianten die Voraussetzungen einer außerordentlichen Verdachtskündigung erfüllt. |
AUSGABE: AA 2/2022, S. 25 · ID: 47945726