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UntersuchungshaftBei einer Untersuchungshaft ist die Kündigung nicht immer wirksam

Abo-Inhalt24.01.20222195 Min. LesedauerVon Einsenderin der Entscheidung: RAin Stephanie Sandbichler, Augsburg

| Auch eine Arbeitsverhinderung wegen Straf- oder Untersuchungshaft kann ein personenbedingter Kündigungsgrund sein. Es ist aber stets eine Prognose der Haftdauer erforderlich. |

Sachverhalt

Der ArbN hatte 2017 seine Ausbildung beim ArbG begonnen. Nach der Ausbildung wurde er 2019 übernommen. Er war vom 15.11.18 bis 14.11.20 Mitglied in der Jugend- und Auszubildendenvertretung. Der Vater des ArbN informierte am 3.4.21 den Schichtvorgesetzten darüber, dass der ArbN im Zusammenhang mit einem Autounfall in Untersuchungshaft genommen worden sei. Aus diesem Grund könne er nicht zur planmäßig anstehenden Frühschicht am Montag, den 5.4.21, erscheinen. Mit Schreiben vom 7.4.21, das der ArbG sowohl der Freundin des ArbN in deren Wohnung übergab, als auch durch Boten in den Hausbriefkasten der Wohnanschrift des ArbN am 8.4.21 einwarf, wurde er unter Fristsetzung bis zum 12.4.21, 12 Uhr zur umfassenden Stellungnahme zum ihm zur Last gelegten Sachverhalt sowie zur Dauer der Arbeitsverhinderung aufgefordert. Bis zum Fristablauf ging keine Stellungnahme beim ArbG ein. Der ArbG hörte den Betriebsrat am 12.4.21 zu den beabsichtigten Kündigungen an. Mit Schreiben vom 16.4.21 erklärte der ArbG die außerordentliche fristlose Kündigung. Mit Schreiben vom 20.4.21 erklärte er hilfsweise die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist bis 31.5.21.

Der ArbG begründet beide Kündigungen zunächst mit der Arbeitsverhinderung des ArbN von unabsehbarer Dauer wegen Inhaftierung. Darüber hinaus seien beide Kündigungen als Tatkündigung wegen eines (versuchten) Tötungsdelikts, vorsorglich als Verdachtskündigung wegen des dringenden Verdachts eines (versuchten) Tötungsdelikts ausgesprochen.

Entscheidungsgründe

Nach Auffassung der 5. Kammer des Arbeitsgericht Augsburg (30.9.21, 5 Ca 828/21, Abruf-Nr. 227029) beendete weder die außerordentliche Kündigung vom 16.4.21 noch die vom 20.4.21 mit sozialer Auslauffrist das Arbeitsverhältnis der Parteien. Beiden Kündigungen fehlt es an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Die Kündigungen könnten nicht auf die negative Prognose gestützt werden, der ArbN sei haftbedingt auf absehbare Zeit nicht in der Lage, seine Arbeitsleistung zu erbringen.

Als personenbedingter Kündigungsgrund kämen Umstände in Betracht, die auf einer in den persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften des ArbN liegenden „Störquelle“ beruhten. Dazu zähle auch eine Arbeitsverhinderung des ArbN aufgrund einer Straf- oder Untersuchungshaft. Nicht jede Freiheitsstrafe kann jedoch ohne Rücksicht auf ihre Dauer und ihre Auswirkungen zum Verlust des Arbeitsplatzes führen (BAG 25.11.10, 2 AZR 984/08).

Voraussetzung einer – ordentlichen wie außerordentlichen – Kündigung wegen haftbedingter Arbeitsverhinderung sei, dass der ArbN für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit nicht in der Lage sein werde, seine arbeitsvertragliche Verpflichtung zu erfüllen. Die Nichterfüllung der Arbeitspflicht müsse sich außerdem nachteilig auf das Arbeitsverhältnis der Parteien auswirken. Da der ArbG im Fall der haftbedingten Arbeitsunfähigkeit des ArbN typischerweise von der Lohnzahlungspflicht befreit sei, hänge es von der Dauer sowie Art und Ausmaß der betrieblichen Auswirkungen ab, ob die Inhaftierung geeignet sei, einen Grund zur Kündigung abzugeben. Liege eine beachtliche Störung vor, bedürfe es der Abwägung, ob es dem ArbG unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsteile unzumutbar sei, das Arbeitsverhältnis bis zum Wegfall des Hinderungsgrundes fortzusetzen.

Nach Meinung des BAG müsse jedenfalls, wenn der ArbN im Kündigungszeitpunkt noch eine Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren zu verbüßen habe und ein Freigängerstatus oder vorzeitige Entlassung aus der Haft vor Ablauf von zwei Jahren nicht sicher zu erwarten stehe, der ArbG den Arbeitsplatz nicht freihalten. Bei der Interessenabwägung sei im Fall einer Kündigung wegen Verbüßung einer Freiheitsstrafe zu berücksichtigen, dass der ArbN die Arbeitsverhinderung in aller Regel zu vertreten habe. Deshalb seien dem ArbG zur Überbrückung des Arbeitsausfalls regelmäßig nicht die gleichen Anstrengungen und Belastungen zuzumuten wie etwa bei einer Krankheit (BAG 25.11.10, 2 AZR 984/08). Hier sei zum Zeitpunkt der Kündigung die negative Prognose des ArbG nicht gerechtfertigt gewesen, der ArbN werde haftbedingt die nächsten zwei Jahre nicht in der Lage sein, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Der ArbG stütze seine Prognose ausschließlich auf eine Pressemitteilung der Polizei, einen Zeitungsartikel sowie die Tatsache, dass gegen den ArbN U-Haft angeordnet worden sei. Damit sei der vom ArbG vorgetragene Sachverhalt nicht geeignet, eine gesicherte Prognose über ein zu erwartendes Strafurteil zu treffen. Der konkrete Ablauf der Ereignisse in der Nacht stehe nicht fest. Zum Vorsatz des ArbN sowie zu möglichen Entschuldigungsgründen fehle jeder Vortrag. Auch die Frage, ob im Falle einer Verurteilung Jugendstrafrecht zur Anwendung komme, sei offen.

Relevanz für die Praxis

Die Kündigungen waren hier auch nicht als Tatkündigungen wirksam. Es konnte dahinstehen, unter welchen Voraussetzungen ein außerdienstliches versuchtes Tötungsdelikt einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellt, denn der ArbG hat ein versuchtes Tötungsdelikt des ArbN nicht substanziiert dargelegt. Die Kündigungen waren schließlich nicht als Verdachtskündigungen wirksam. Auch hier fehlte es an auf objektive Tatsachen gestützte starke Verdachtsmomente für ein versuchtes Tötungsdelikt. Darüber hinaus war es dem ArbG im konkreten Fall auch zumutbar, den weiteren Verlauf des Strafprozesses abzuwarten, bevor er auf Grundlage einer Pressemitteilung und eines Zeitungsartikels die außerordentliche Kündigung aussprach. Der Weiterbeschäftigungsanspruch wurde abgewiesen, da der ArbN zumindest derzeit aufgrund der Untersuchungshaft nicht in der Lage war, die arbeitsvertragliche Leistung zu erbringen.

AUSGABE: AA 2/2022, S. 22 · ID: 47945603

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