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KoalitionsvertragArbeitsrecht unter der Ampel-Regierung: Das kommt, das geht, das bleibt

Abo-Inhalt01.01.20221092 Min. Lesedauer

| Die Ampel stellte jüngst ihre Vorstellungen für die 20. Legislaturperiode vor. Die Themenfelder „Arbeit“ und „Soziales“ werden auf 15 Seiten des Vertrags behandelt (ab S. 65 ff). AA Arbeitsrecht aktiv stellt die dort enthaltenen wichtigsten Themenbereiche kurz vor. Diese reichen vom Mindestlohn über Mini- und Midijobs bis zu Neuregelungen der digitalen Arbeitswelt, der Arbeitszeit und der Stärkung von Gewerkschaften und Betriebsräten. |

1. Der gesetzliche Mindestlohn

Laut Koalitionsvertrag ist eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns im ersten Jahr in einer einmaligen Anpassung auf 12 EUR pro Stunde geplant. Die Mindestlohnkommission ist für weitere Erhöhungsschritte zuständig. Die Hürden, die eine Aufnahme versicherungspflichtiger Beschäftigung erschweren, sollen abgebaut werden (siehe Seiten 69–70).

2. Geringfügige Beschäftigte (Minijobs)

Nach dem Koalitionsvertrag soll es im Minijob-Bereich folgende Änderungen geben: Künftig soll sich die Minijob-Grenze an einer Wochenarbeitszeit von 10 Stunden zu Mindestlohnbedingungen orientieren. Zudem sind folgende Punkte festgehalten worden:

  • Anhebung der Minijob-Entgeltgrenze auf 520 EUR,
  • Schutz vor Missbrauch von Minijobs als Ersatz für reguläre Arbeitsverhältnisse oder Teilzeitfalle insbesondere für Frauen,
  • Erhöhung der Midijob-Grenze auf 1.600 EUR.

3. Digitale Betriebsratssitzungen und -wahlen

Bis Ende Juni 2021 war es für Betriebsräte möglich, ihre Sitzungen und Versammlungen auch virtuell durchzuführen (§ 129 BetrVG). Nach dem Koalitionsvertrag (siehe S. 71) sollen die Betriebsräte „selbstbestimmt entscheiden, ob sie analog oder digital arbeiten“. Auch Betriebsratswahlen, die kommendes Jahr turnusmäßig anstehen, sollen künftig online abgehalten werden können – dies zumindest als Pilotprojekt.

4. Flexible Arbeitszeitmodelle

Gewerkschaften und ArbG sollen unterstützt werden, um flexible Arbeitszeitmodelle zu ermöglichen, zum Beispiel durch

  • befristete Regelung mit Evaluationsklausel, um im Rahmen von Tarifverträgen die Arbeitszeit unter bestimmten Voraussetzungen und in einzuhaltenden Fristen flexibler gestalten zu können,
  • begrenzte Möglichkeit zur Abweichung von den derzeit bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit, wenn Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen dies vorsehen (Experimentierräume).

Die europäischen Vorgaben zur Zeiterfassung wollen die Koalitionspartner dabei berücksichtigen. Sie wollen aber auch die Option für Vertrauensarbeitszeit dabei explizit beibehalten.

Der nach dem Arbeitszeitgesetz bestehende Grundsatz des Acht-Stunden-Tags soll bestehen bleiben – aber: Schon im kommenden Jahr soll eine befristete Regelung geschaffen werden, nach der über Tarifverträge von dieser Regel abgewichen werden kann. Auch die bisher längstens erlaubte Arbeitszeit von vorübergehend bis zu zehn Stunden steht als Experiment zur Disposition (siehe S. 68).

5. Gewerkschaften: Digitaler Zugang

Die Gewerkschaften forderten es schon lange: Mehr virtuelle Rechte. Nunmehr sollen sie laut Koalitionsvertrag ein „zeitgemäßes“ Recht auf digitalen Zugang in die Betriebe erhalten (siehe S. 71). Hintergrund: Die klassischen Wege der Gewerkschaften, um auf sich aufmerksam zu machen – wie zum Beispiel Aushang am schwarzen Brett – funktionieren in der heutigen Zeit mit Homeoffice und Co. nur bedingt. Dabei steht den Gewerkschaften aus Art. 9 GG (Koalitionsfreiheit) aber ein Anspruch auf Zugang zum Betrieb und den Mitarbeitern zu.

6. Befristung von Arbeitsverträgen

Die sachgrundlose Befristung ist im Koalitionsvertrag so gut wie kein Thema. Die Dauer befristeter Arbeitsverträge mit Sachgrund soll dagegen bei demselben ArbG auf sechs Jahre beschränkt werden. Nur in eng begrenzten Ausnahmen ist ein Überschreiten dieser Höchstdauer möglich. Im öffentlichen Dienst soll die Möglichkeit der Haushaltsbefristung abgeschafft werden (siehe S. 70).

7. Schutz der Gründung von Betriebsräten

Die Ampel hat sich zudem im Koalitionsvertrag dazu geäußert, was passiert, wenn ArbG die Gründung von Betriebsräten verhindern wollen. Hierzu steht auf Seite 71: „Die Behinderung der demokratischen Mitbestimmung stufen wir künftig als Offizialdelikt ein“. Das würde bedeuten, dass der ArbG eine Straftat begehen würde, die von Amts wegen verfolgt würde. Und weiter: „die bestehenden nationalen Regelungen bewahren“ (…) und „die missbräuchliche Umgehung geltenden Mitbestimmungsrechts (..) verhindern.“

8. Weiterentwicklung der Mitbestimmung

Die Ampel will „die Konzernzurechnung aus dem Mitbestimmungsgesetz auf das Drittelbeteiligungsgesetz übertragen, sofern faktisch eine echte Beherrschung vorliegt“ (siehe S. 72). So könne es nicht mehr zur vollständigen Mitbestimmungsvermeidung beim Zuwachs von SE-Gesellschaften kommen (Einfriereffekt).

9. Tarifflucht der Unternehmen erschweren

Nach dem Koalitionsvertrag soll die öffentliche Auftragsvergabe des Bundes an die Einhaltung eines repräsentativen Tarifvertrags der jeweiligen Branche gebunden sein.

Zudem soll eine Betriebsausgliederung bei Identität des bisherigen Eigentümers zum Zwecke der Tarifflucht verhindert werden, indem die Fortgeltung des geltenden Tarifvertrags sichergestellt werde. Unangetastet bleibt dabei § 613a BGB (Rechte und Pflichten beim Betriebsübergang) (siehe S. 71).

10. Was gilt beim Homeoffice?

Auch mit der Ampel wird es kein Recht auf Homeoffice für den ArbN geben, sondern nur einen Erörterungsanspruch über mobiles Arbeiten und Homeoffice (siehe S. 69). Um dem ArbN dennoch eine Chance zu geben, wurde im Koalitionsvertrag aufgenommen (S. 69):

„Arbeitgeber können dem Wunsch der Beschäftigten nur dann widersprechen, wenn betriebliche Belange entgegenstehen“.

Dabei machte die Ampel deutlich: „Das heißt, dass eine Ablehnung nicht sachfremd oder willkürlich sein darf“.

11. Gender pay gap

Die Lohnlücke zwischen Frauen und Männern ist auch in der Ampel ein Thema (siehe S. 115): So soll im Entgelttransparenzgesetz die Prozessstandschaft festgelegt werden. Die Folge wäre, dass ArbN ihre Rechte nicht mehr selbst geltend machen müssen. Sie könnten sich dafür auch an Verbände wenden.

12. Und was noch?

Weitere Themen, die die Koalitionspartner auf ihrer Agenda haben, sind die Brückenteilzeit, Befristungen, die Arbeitnehmerüberlassung und das kirchliche Arbeitsrecht. Bei Letzterem soll eine Angleichung des kirchlichen und des staatlichen Arbeitsrechts angestrebt werden. Verkündungsnahe Tätigkeiten bleiben aber ausgenommen.

Bei der Brückenteilzeit soll die sogenannte „Überforderungsklausel“ entsprechend überarbeitet und gleichzeitig für die Unternehmen übersichtlicher gestaltet werden.

Weiterführender Hinweis

AUSGABE: AA 1/2022, S. 12 · ID: 47852748

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