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ZR-FachgesprächReparaturen verlangsamen die Restaurationsspirale
| Bei Defekten an Restaurationen ist ein kompletter Austausch nicht immer erforderlich. Eine intraorale Reparatur schont die natürliche Zahnhartsubstanz und spart Geld und Zeit. Studien zeigen, dass die Lebensdauer von direkten wie indirekten Restaurationen mit Reparaturen verlängert werden kann. Zu diesem Thema forscht PD Dr. med. dent. Philipp Kanzow. Er sprach mit ZR-Autorin Dr. med. dent. Kerstin Albrecht darüber, was bei intraoralen Reparaturen von Restaurationen zu beachten ist. |
Frage: Herr Dr. Kanzow, es gibt materialabhängig unterschiedliche Reparaturprotokolle. Wo liegen die Herausforderungen?
Antwort: Die Herausforderungen beim klinischen Vorgehen bestehen darin, dass im Fall von partiell insuffizienten Restaurationen verschiedene (Restaurations-)Materialien vorliegen und oft auch die Zahnhartsubstanz mitbeteiligt ist. Dabei muss sowohl die verbliebene Restauration als auch gegebenenfalls die Zahnhartsubstanz jeweils optimal vorbehandelt werden. In der Literatur findet sich hierfür eine große Anzahl an publizierten Reparaturprotokollen und Empfehlungen: Im Jahr 2019 konnte eine systematische Übersichtsarbeit 71 Reparaturprotokolle basierend auf 84 Publikationen identifizieren [1]. Während die empfohlenen Behandlungsschritte materialabhängig sind und im Detail stark variieren, werden die zentralen Schritte konsistent berichtet.
So besteht grundsätzlich Einigkeit bezüglich einer notwendigen mechanischen und chemischen Konditionierung der partiell insuffizienten Restauration.
Frage: Gehen wir ins Detail. Auf welche Schritte kommt es bei der mechanischen Konditionierung besonders an?
Antwort: Diamantinstrumente sind zwar geeignet, um Restaurationsoberflächen anzurauen, allerdings lassen sich höhere Reparaturhaftwerte durch Abstrahlen mit intraoralen Sandstrahlgeräten nach vorheriger Isolation mittels Kofferdam erzielen. Für die mechanische Konditionierung steht Aluminiumoxid in verschiedenen Körnungen bzw. Silikat-beschichtetes Aluminiumoxid als Strahlmittel zur Verfügung. Vorteil des Silikat-beschichteten Aluminiumoxids ist, dass es zusätzlich zu einer Silikatisierung der Restaurationsoberfläche kommt. An der vorbehandelten Oberfläche können in einem zweiten Schritt applizierte Primer binden. Wichtig bei der praktischen Umsetzung ist, dass das Abstrahlen der Restaurationsoberfläche vor einer eventuellen Phosphorsäure-Ätzung der ggf. mitbetroffenen Zahnhartsubstanz durchgeführt wird. Andernfalls kommt es durch das Abstrahlen zu einer Zerstörung des Ätzmusters, was sich negativ auf die zu erzielenden Haftwerte auswirkt.
Frage: Wie werden die verschiedenen Materialien chemisch konditioniert?
Antwort: Für die chemische Konditionierung stehen Silanlösungen sowie spezielle Reparaturprimer für Keramik oder Metall und Universalprimer zur Verfügung:
- Die Silanisierung ermöglicht die Haftung an Glaskeramiken und silikatisierten Oberflächen. Dabei lassen sich verschiedene Formulierungen von Silanlösungen unterscheiden: Neben konventionellen Silanlösungen bzw. spezifischen Keramikprimern gibt es Universalprimer mit Silanmethacrylaten und Universaladhäsive, die ebenfalls Silane enthalten.SilanlösungenReparaturprimerUniversalprimer
- Phosphorsäuremethacrylate ermöglichen die Haftung an Oxidkeramiken und Nicht-Edelmetallen. Auch Phosphorsäuremethacrylate sind in verschiedenen Formulierungen enthalten: Neben spezifischen Metall-/Keramik-Primern sind Phosphorsäuremethacrylate in Universalprimern und in den meisten Universaladhäsiven enthalten, wobei der bekannteste Vertreter 10-MDP ist. Bei der praktischen Anwendung von Primern bzw. Universaladhäsiven mit Phosphorsäuremethacrylaten ist zu beachten, dass Metalloxide eine hohe Affinität zu Phosphorsäure aufweisen. Bei der Reparatur von Oxidkeramiken oder Nicht-Edelmetallen ist eine Kontamination mit Phosphorsäure zu vermeiden – beispielsweise durch Anwendung eines „Self-etch“-Adhäsivs. Andernfalls entstehen bereits stabile Phosphatverbindungen an der Restaurationsoberfläche, die die Bindungsstellen für die nachfolgend applizierten Phosphorsäuremethacrylate besetzen.
- Sulfidmethacrylate ermöglichen eine Haftung an Edelmetallen und sind in Alloy-/Metall- bzw. Universalprimern enthalten.
Frage: Das hört sich so an, als müssten die Kolleginnen und Kollegen viele verschiedene Fläschchen für Reparaturen an den jeweiligen Restaurationsmaterialien bereithalten…
Antwort: In der Praxis reicht es aus, einen Universalprimer mit Silan-, Phosphorsäure- und Sulfidmethacrylaten in der Schublade zu haben. Der Vorteil dabei ist, dass Universalprimer somit für die Konditionierung verschiedener Restaurationsmaterialien verwendet werden können, was die praktische Umsetzung von Reparaturmaßnahmen vereinfacht.
Neben Universalprimern erfreuen sich Universaladhäsive zunehmender Beliebtheit. Im Rahmen von Reparaturmaßnahmen ist die (alleinige) Anwendung von Universaladhäsiven aber nicht bei allen Restaurationsmaterialien zu empfehlen. Insbesondere im Hinblick auf die Haftung an Glaskeramiken und Metallen zeigen Studien niedrige Haftwerte. Zwar enthalten einige Universaladhäsive auch eine Silankomponente, höhere Haftwerte lassen sich jedoch durch die zusätzliche Anwendung eines separaten Silan- bzw. Universalprimers erzielen. Daher wird bei der Reparatur von Glaskeramiken im Zusammenhang mit Universaladhäsiven die separate Anwendung eines Silan-/Universalprimers empfohlen bzw. teilweise auch vom Hersteller des Universaladhäsivs gefordert.
Frage: Was sagt die aktuelle Literatur, wie lange solche Reparaturen an Restaurationen halten?
Antwort: Zahlreiche Studien zeigten, dass Reparaturmaßnahmen geeignet sind, den klinischen Verbleib partiell insuffizienter Restauration im Front- und Seitenzahnbereich zu verlängern. Darüber hinaus wurde die Lebensdauer von reparierten Restaurationen in einigen Kohortenstudien bzw. retrospektiven Studien mit der Lebensdauer von initialen bzw. ersetzten Restaurationen verglichen, wobei die Restaurationen teilweise mehr als zehn Jahre nachbeobachtet wurden. Allerdings sind die Fallzahlen dieser vergleichenden Studien überwiegend niedrig und liegen jeweils nur im zweistelligen oder niedrigen dreistelligen Bereich. Daher führten wir eine eigene retrospektive Studie in unserer Poliklinik durch und untersuchten anhand von 616 Reparatur- und 264 Ersatzrestaurationen, also Neuanfertigungen, ob reparierte Restaurationen vom Zeitpunkt der Reparatur an genauso lange halten wie vollständig ersetzte Restaurationen [2]. Als Ergebnis zeigte sich, dass sich die Erfolgsraten von Reparatur- und Ersatzrestaurationen statistisch nicht signifikant voneinander unterschieden, reparierte und ersetzte Restaurationen also ähnlich lange hielten.
Frage: Welche Vorteile hat die Reparatur einer Restauration?
Antwort: Die Vorteile von Reparaturmaßnahmen sind in erster Linie in einer Reduktion der initialen Behandlungsrisiken und -kosten zu sehen: Durch die Anwendung von Reparaturmaßnahmen kommt es zu einem geringeren Verlust von Zahnhartsubstanz, können iatrogene Nachbarzahnverletzungen vermieden, die Behandlungsdauer insgesamt verkürzt und das Risiko von biologischen Komplikationen der Pulpa minimiert werden. So kann ein Voranschreiten der Restaurationsspirale abgebremst werden. Zudem resultieren Reparaturmaßnahmen in tendenziell geringeren Behandlungskosten, da sie oftmals mit weniger Füllungsflächen als eine vollständig erneuerte Ersatzrestauration einhergehen. Noch deutlicher wird dieser Effekt, wenn eine Reparatur mittels direkter Kompositfüllung realisiert wird, während eine Neuanfertigung ggf. nur indirekt möglich wäre. Folglich gehen Reparaturmaßnahmen mit einem günstigen Kosten-Nutzen-Verhältnis einher. Neben diesen initialen Effekten weisen Reparaturmaßnahmen ähnliche Langzeitkosten auf, sind also auch langfristig gesehen nicht teurer als neu angefertigte Ersatzrestaurationen, wie wir in einer Studie zeigen konnten [3].
- [1] P. Kanzow, A. Wiegand, F. Schwendicke, G. Göstemeyer, Same, same, but different? A systematic review of protocols for restoration repair, J. Dent. 86 (2019) 1–16. doi.org/10.1016/j.jdent.2019.05.021
- [2] P. Kanzow, A. Wiegand, Retrospective analysis on the repair vs. replacement of composite restorations, Dent. Mater. 36 (2020) 108–118. doi.org/10.1016/j.dental.2019.11.001
- [3] P. Kanzow, J. Krois, A. Wiegand, F. Schwendicke, Long-term treatment costs and cost-effectiveness of restoration repair versus replacement, Dent. Mater. 37 (2021) e375–e381. doi.org/10.1016/j.dental.2021.02.008
AUSGABE: ZR 6/2023, S. 5 · ID: 49424617