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VerordnungCannabis: Risiken für die Behandlung, verboten für die zahnärztliche Verschreibung
| Cannabiskonsum ist ein potenzieller Risikofaktor für intraorale Erkrankungen und kann sich negativ auf die Behandlung in der Zahnarztpraxis auswirken. |
Verordnungs- und Ausgabeverbot von Cannabis für Zahnärzte
Cannabis, das Fertigarzneimittel Sativex® sowie Dronabinol fallen mit der Cannabis-Teillegalisierung seit dem 01.04.2024 nicht mehr unter die Vorgaben der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtMVV). Damit dürfen Ärztinnen und Ärzte medizinisches Cannabis per Muster 16 oder elektronischem Rezept verordnen. Eine Ausnahme betrifft das synthetische Cannaboid Nabilon – dieses muss nach wie vor entsprechend dem Betäubungsmittelgesetz gehandhabt werden [1].
Nach § 3 Absatz 1 des Medizinal-Cannabisgesetzes (MedCanG) dürfen Zahnärztinnen und Zahnärzte Cannabis ihren Patienten weder verschreiben noch verabreichen: „Cannabis zu medizinischen Zwecken darf nur von Ärztinnen und Ärzten verschrieben oder im Rahmen einer ärztlichen Behandlung verabreicht oder einem anderen zum unmittelbaren Verbrauch überlassen werden. Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie Tierärztinnen und Tierärzte sind nicht zur Verschreibung, zur Verabreichung oder zum Überlassen zum unmittelbaren Verbrauch berechtigt.“
Auch das, was Zahnärzte sonst schon mal machen, nämlich der Bezug eines Arzneimittels auf Vorlage des Zahnarztausweises, ist damit rechtlich ausgeschlossen [2].
Behandlung bei Cannabis-Konsumenten
Dem epidemiologischen Suchtsurvey 2021 (online unter iww.de/s11524) zufolge, konsumierten im Jahr 2021 fast 4,5 Mio. Menschen deutschlandweit im Alter von 18 bis 64 Jahren innerhalb der vorangegangenen 12 Monate mindestens einmal Cannabis. Der tatsächliche Konsum dürfte laut angenommener Dunkelziffer deutlich höher sein. Experten rechnen nun nach der Teillegalisierung mit noch mehr Konsumenten.
Zunehmender Cannabiskonsum stellt zahnärztliche Praxen vor besondere Herausforderungen:
- 1. Laut einer US-amerikanischen Studie benötigen Patienten mit regelmäßigem Cannabiskonsum bei ambulanten oralen kieferchirurgischen Eingriffen höhere Dosen an Anästhetika (Propofol, Midazolam, Ketamin und Fentanyl) als Patienten ohne Cannabiskonsum [3].
- 2. Cannabisrauchen ist ein signifikantes Risiko für Parodontalerkrankungen [4,5]. Außerdem wird es mit Xerostomie und Leukoplakie in Verbindung gebracht. Ein möglicherweise erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Mund- und Halskrebs wird diskutiert [5,6].
- 3. Patienten können unter psychischen Nebenwirkungen des Cannabiskonsums leiden (z. B. psychoaktive Gefühle, Ängste, Wahnvorstellungen, eingeschränkte Fähigkeit, mit postoperativem Stress umzugehen etc.), die nach dem Rauchen von Cannabis innerhalb von ein paar Minuten beginnen und bis zu 3 Stunden andauern können [5]. Das kann z. B. im Kontext einer notwendigen OP-Aufklärung von Bedeutung sein.
- 4. Die durch Cannabis verursachte Reduzierung des Speichelflusses mit der gleichzeitig erhöhten intraoralen Temperatur wie auch einem möglicherweise erhöhten Verlangen nach zuckerhaltigen Getränken und Lebensmitteln kann das Kariesrisiko anheben [5].
- 5. Es wird über mögliche Wechselwirkungen zwischen Cannabiskonsum und adrenalinhaltigen Lokalanästhetika berichtet. Deshalb ist es in der Anamnese wichtig, auch eine mögliche Cannabiskonsumvorgeschichte abzufragen [5].
- 6. Diskutiert werden auch mögliche Veränderungen der Serumspiegel gebräuchlicher Medikamente wie z. B. Antibiotika und nichtsteroidaler Antirheumatika (NSAR), zu denen z. B. Ibuprofen, Diclofenac und Acetylsalicylsäure zählen [7].
Mit Medizinerhilfe: Cannabidiol gegen Dentalphobie?
Wissenschaftler berichten darüber, dass vor einem Zahnarzttermin sublingual verabreichtes Cannabidiol mit einer Dosis von 15–30 mg effektiv gegen Zahnarztangst eingesetzt werden könnte [8]. Diese Anwendung müsste gemäß dem Medizinal-Cannabisgesetzes den Umweg über Mediziner gehen: Um Cannabis zur Behandlung einer Dentalphobie zu bekommen, muss der Patient einen Arzt aufsuchen. Dieser entscheidet, ob die Phobie eine Verschreibung rechtfertigt. Wird das bejaht, kann der Arzt ein Rezept ausstellen.
- [1] Kassenärztliche Bundesvereinigung. Arzneimittel-Verordnung. iww.de/s11408
- [2] Grünberg C. Dürfen Zahnärzte Cannabis verordnen? iww.de/s11409
- [3] Ripperger D, Atte A, Ritto F. Cannabis Users Require More Anesthetic Agents for General Anesthesia in Ambulatory Oral and Maxillofacial Surgery Procedures. J Oral Maxillofac Surg. 2023 Dec;81(12):1460–1465. doi.org/10.1016/j.joms.2023.09.008.
- [4] Bellocchio L et al. Cannabinoids drugs and oral health—from recreational side-effects to medicinal purposes: a systematic review. International Journal of Molecular Sciences 2021;22(15):8329. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34361095.
- [5] Keboa MT, Enriquez N, Martel M, Nicolau B, Macdonald ME. Oral health implications of cannabis smoking: a rapid evidence review. J Can Dent Assoc 2020;86:k2. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32119643.
- [6] ADA. Cannabis: Oral Health Effects. iww.de/s11410
- [7] Abidi AH et al. A critical review of cannabis in medicine and dentistry: A look back and the path forward. Clin Exp Dent Res 2022;8(3):613–31. pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/35362240.
- [8] Lowe H et al. The Current and Potential Application of Medicinal Cannabis Products in Dentistry. Dent J (Basel). 2021 Sep 10;9(9):106. doi.org/10.3390/dj9090106.
AUSGABE: ZP 9/2024, S. 2 · ID: 50126192