Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe 18.06.2025 abgeschlossen.
Sie sind auf dem neuesten Stand
Sie haben die Ausgabe Juli 2025 abgeschlossen.
PKH/VKHBAG: Prozesskostenhilfe für einen Mehrvergleich gibt es nur nach einem neuen Antrag
| Eine prozessuale Problematik besteht oftmals darin, ob und unter welchen Voraussetzungen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf bislang nicht rechtshängige Streitgegenstände eines Mehrvergleichs erstreckt werden kann. Dabei steht insbesondere die Frage im Zentrum, ob allein die Zustimmung zu einem Vergleich als konkludenter Antrag auf Erweiterung der Prozesskostenhilfe genügt. |
Entscheidungsgründe
Das BAG (11.2.25, 4 AZB 26/24, Abruf-Nr. 247011) hat hierzu entschieden: Schließen die Parteien nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe einen gerichtlichen Vergleich, der bisher nicht rechtshängige Gegenstände erfasst, ist ein neuer – ausdrücklich oder konkludent – Antrag erforderlich, wenn die Bewilligung auch auf den Mehrvergleich erstreckt werden soll. Es reicht nicht aus, wenn lediglich ein Vergleichsvorschlag unterbreitet oder ihm nur zugestimmt wird. Die Richter betonen, dass
- sich die bewilligte PKH nicht automatisch auf einen Mehrvergleich erstreckt, da die Bewilligung grundsätzlich nur für rechtshängige Streitgegenstände gilt. Eine Erstreckung auf einen Mehrvergleich erfordert somit einen neuen Antrag – ausdrücklich oder konkludent (§ 114 Abs. 1 S. 1 ZPO).
- ein formaler PKH-Antrag erforderlich ist, da das PKH-Verfahren stark formalisiert ist. Hierbei ist auch ein konkludenter Antrag möglich. Ein solcher setzt aber erkennbaren Antragstellerwillen voraus (z. B. erneute Erklärung zu den wirtschaftlichen Verhältnissen, § 117 Abs. 2 ZPO).Beachten Sie das stark formalisierte Verfahren
- der Zeitpunkt der Antragstellung entscheidend ist. Eine Rückwirkung der PKH-Bewilligung ist daher nur möglich, wenn der Antragsteller vor Instanzende alles Erforderliche für den Antrag getan hat. Folge: Nach Abschluss des Verfahrens (z. B. mit Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO) ist keine rückwirkende Bewilligung mehr möglich.Halten Sie die Voraussetzungen der Rückwirkung ein
- bei Vergleichsabschluss vor einer PKH-Entscheidung davon ausgegangen werden kann, dass auch für den Mehrvergleich PKH beantragt wird. Dies gilt aber nicht, wenn die Bewilligung bereits vorher erfolgte.
Relevanz für die Praxis
Die Prozesskostenhilfe erstreckt sich nicht automatisch auf Mehrvergleiche. Sie müssen daher frühzeitig vorausschauend handeln, um die Ansprüche Ihrer Mandanten abzusichern und gleichzeitig Honorarverluste zu vermeiden. Eine formgerechte Antragstellung vor Vergleichsschluss ist dabei essenziell. Dies ist insbesondere – in Arbeitssachen – relevant, wenn der Vergleich z. B. eine Zeugnisregelung oder Abfindung über die ursprünglichen Klageanträge hinaus enthält.
Merke | Dies gilt auch für die Verfahrenskostenhilfe (VKH) in Familiensachen (§ 76 Abs. 1, § 113 Abs. 1 S. 2 FamFG). Hier können Sie auf einen formlosen Antrag auf Erstreckung nur verzichten, wenn Sie in einer Ehesache beigeordnet wurden und es sich beim Mehrvergleich um eine Familiensache gemäß § 48 Abs. 3 RVG handelt. Dann erstreckt sich die Bewilligung kraft Gesetzes auf den Mehrwert, einschließlich aller anfallenden Gebühren (Einigungs-, Verfahrensdifferenz- und Terminsgebühr), auch bei schriftlichen Vergleichen. |
Checkliste 1 / PKH-praktische Handlungsempfehlungen für Rechtsanwälte |
1. Beraten und planen Sie frühzeitig Klären Sie Ihren Mandanten bereits bei Klageeinreichung über die Notwendigkeit einer separaten PKH-Erweiterung für Mehrvergleiche auf. Hierbei sollten Sie das Augenmerk darauf legen, Szenarien durchzuspielen, in denen Mehrvergleiche wahrscheinlich sind (z. B. Zeugnisse, Abfindungen). 2. Halten Sie Formulare und Erklärungen stets aktuell Fordern Sie bei möglichen Klageerweiterungen oder Vergleichsverhandlungen umgehend eine aktualisierte Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Mandanten an (§ 117 Abs. 2 ZPO). Im Zweifel sollten Sie sich ausdrücklich bestätigen lassen, dass sich die Verhältnisse nicht geändert haben. 3. Sichern Sie eine konkludente Antragstellung ab Versehen Sie vergleichsbegleitende Schriftsätze mit folgender Formulierung, die eindeutig auf eine PKH-Erweiterung für den Mehrvergleich hinweist: „… beantragt wird die Erstreckung der bewilligten PKH auch auf die in Ziffer … geregelten Vergleichspunkte.“ 4. Schließen Sie einen Vergleich nicht übereilt ab Prüfen Sie vor Abschluss eines Vergleichs, ob ein erweiterter PKH-Antrag erforderlich ist – insbesondere bei bestehenden Bewilligungen. Gegebenenfalls sollten Sie beantragen, den Vergleichsschluss zu vertagen, bis der Antrag eingereicht und vollständig ist. 5. Stellen Sie sicher, dass der Antrag rechtzeitig gestellt wird Reichen Sie einen erweiterten PKH-Antrag unbedingt vor Vergleichsschluss ein. Spätere Anträge sind unwirksam, sobald das Verfahren beendet ist. |
Checkliste 2 / PKH-Erstreckung auf Mehrvergleich | |||
Ja | Nein | Handlung | |
| ☐ | ☐ | Falls ja, neuer Antrag bei Mehrvergleich nötig; Ausnahme bei Ehesache, § 48 Abs. 3 RVG |
| ☐ | ☐ | Falls ja, Erstreckung prüfen |
| ☐ | ☐ | Falls nein, unverzüglich stellen |
| ☐ | ☐ | Falls nein, sofort anfordern und nachreichen |
| ☐ | ☐ | Falls ja, PKH-Erweiterung nicht mehr möglich |
| ☐ | ☐ | Falls nein, Formulierung anpassen oder gesonderten Antrag nachreichen; Ausnahme bei Ehesache, § 48 Abs. 3 RVG |
| ☐ | ☐ | Wert konkret beziffern zur Prüfung der Kostenrisiken |
AUSGABE: RVGprof 7/2025, S. 116 · ID: 50442060