SonderzahlungenInflationsausgleichsprämie: Ist sie an alle Arbeitnehmer und in gleicher Höhe zu zahlen?
| Arbeitgeber haben ab sofort die Möglichkeit, Mitarbeitenden eine steuer- und abgabenfreie „Inflationsausgleichsprämie“ in Höhe von bis zu 3.000 Euro auszuzahlen. Das regelt der neue § 3 Nr. 11c EStG. Hier stellen sich nun Fragen zur Gleichbehandlung von Arbeitnehmern: Müssen Arbeitgeber die Prämie einheitlich an alle zahlen? Darf differenziert werden, und wenn ja, nach welchen Kriterien? Sind Unterschiede in der Höhe der Zahlungen zulässig? LGP beleuchtet Möglichkeiten und Grenzen der Differenzierung. |
Hürde 1: Allgemeiner Gleichbehandlungsgrundsatz
Soll die Inflationsausgleichsprämie nicht einheitlich an alle Arbeitnehmer ausgezahlt werden, muss der Arbeitgeber zunächst den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz beachten. Als allgemeine Regel verbietet er eine willkürliche, d. h. sachlich unbegründete Durchbrechung allgemeiner oder gruppenbezogener Regelungen zum Nachteil einzelner Arbeitnehmer.
Bildung von Arbeitnehmergruppen nötig
Die Gleichbehandlung muss innerhalb vergleichbarer Arbeitnehmergruppen sichergestellt sein. Aus dem Grund sind Gruppen zu bilden, innerhalb derer die Arbeitnehmer gleichbehandelt werden müssen.
Arbeitgeber, die die Inflationsausgleichsprämie nicht an alle Arbeitnehmer zahlen wollen bzw. die sie in unterschiedlicher Höhe zahlen möchten, müssen anhand objektiver Kriterien differenzieren. Solche „Differenzierungskriterien” können die besondere Belastung einer Gruppe, der Ausgleich von Nachteilen im Entgeltbereich oder unterschiedliche Aufgaben bzw. Anforderungen an die jeweilige Arbeitnehmergruppe sein.
Beispiele für sachliche Differenzierung bei Inflationsausgleichsprämie |
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Wichtig | Auch andere Kriterien können zulässig sein, solange sie objektivierbar und sachlich sind.
Grenzen der Gruppenbildung
Verstößt der Arbeitgeber gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, z. B. durch eine sachfremde Gruppenbildung, könnten sich die benachteiligten Arbeitnehmer wehren. Sie könnten auch eine Prämie in gleicher Höhe fordern.
Beispiel für eine sachfremde Gruppenbildung |
Arbeitgeber A zahlt den beiden in Vollzeit angestellten Arbeitnehmern eine Inflationsausgleichsprämie von je 2.000 Euro, dem Arbeitnehmer in Teilzeit zahlt A keine Prämie, weil sein Arbeitspensum geringer ist als das der Vollzeitbeschäftigten. ... nicht bedachte Arbeitnehmer auf den Plan rufen Ergebnis: A verstößt durch das pauschale Abstellen auf das geringere Arbeitspensum von Teilzeit- gegenüber Vollzeitkräften gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Zudem verstößt A gegen das Diskriminierungsverbot von Teilzeitbeschäftigten nach § 4 TzBfG, das hier die speziellere Regelung darstellt. Folge: „Anpassung nach oben“ und ggf. Schadenersatzpflicht durch A. |
Wichtig | Zulässig ist es, eine Inflationsausgleichsprämie anteilsmäßig (pro rata temporis) im Verhältnis Teilzeit- zu Vollzeitbeschäftigung zu kürzen.
Hürde 2: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
Auch das AGG verbietet eine ungerechtfertigte Benachteiligung Einzelner. Nach § 1 AGG sind Differenzierungen aus „Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität“ verboten. Inhaltlich lassen sich AGG und arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz oft nicht überschneidungsfrei abgrenzen.
Differenziert der Arbeitgeber bei der Zahlung der Inflationsausgleichsprämie nach den AGG-Merkmalen, hat der benachteiligte Arbeitnehmer Anspruch auf Schadenersatz (regelmäßig gleichbedeutend mit Anpassung nach oben) sowie zusätzlich auf eine verschuldensunabhängige Entschädigung.
Wichtig | Zahlt der Arbeitgeber die Inflationsausgleichsprämie etwa nur an Vollzeitbeschäftigte, werden meist weibliche Beschäftigte mittelbar diskriminiert. Denn sie machen den Hauptanteil der Teilzeitbeschäftigten aus. Zur Rechtfertigung muss der Arbeitgeber auch hier sachliche Gründe vortragen, die die Differenzierung legitimieren. Auch im Übrigen dürfen Teilzeit- gegenüber Vollzeitbeschäftigten nicht diskriminiert werden (§ 4 TzBfG).
Sonderfall: Inflationsausgleichsprämie für Minijobber
Die Inflationsausgleichsprämie zählt nicht zum sozialversicherungspflichtigen Entgelt. Sie kann somit auch an Minijobber gezahlt werden, ohne dass sich deren sozialversicherungsrechtlicher Status ändert.
Beispiel |
Minijob bleibt auch mit Prämie Minijob Alle Minijobber in einem Physiotherapiezentrum erhalten wegen der gestiegenen Lebenshaltungskosten zusätzlich zu den 520 Euro eine Inflationsausgleichsprämie von 260 Euro. Ergebnis: Die Beschäftigung bleibt weiterhin ein Minijob, da es sich bei der Inflationsausgleichsprämie um eine steuerfreie und sozialversicherungsfreie Leistung handelt. Der Arbeitgeber verstößt nicht gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, weil er alle Minijobber wegen ihres Einsatzes honoriert. |
Zulässig ist es, die Inflationsausgleichsprämie der Höhe nach bei Minijobbern zu kürzen entsprechend der Regelung für Teilzeit-/Vollzeitbeschäftigte.
Exkurs: Betriebliche Übung
Wie immer bei Leistungen des Arbeitgebers sollte vermieden werden, dass eine betriebliche Übung entsteht und der Arbeitnehmer so einen dauerhaften Rechtsanspruch auf Zahlung der Inflationsausgleichsprämie hätte. Es bleibt zwar zu hoffen, dass die Prämie eine Reaktion auf eine aktuelle Ausnahmesituation ist und nicht mehrfach gewährt wird, sodass eine betriebliche Übung entstehen könnte. Allerdings ist derzeit nicht absehbar, ob es in Zukunft noch weitere Inflationsausgleichsprämien geben wird. Vor dem Hintergrund lohnt ein Blick auf die Voraussetzungen einer betrieblichen Übung. Diese sind:
Praxistipp | Arbeitgeber stellen immer wieder die Frage, wie sie verhindern können, dass eine betriebliche Übung entsteht. Der vergleichsweise sicherste Weg ist, die Leistung mit einem Freiwilligkeitsvorbehalt zu versehen bzw. zu gewähren. Dann ist für die Arbeitnehmer klar, dass sie keinen dauerhaften Anspruch auf die Leistung erhalten sollen. |
- Eine die Arbeitnehmer begünstigende Leistung des Arbeitgebers
- Deren wiederholte Gewährung (mindestens drei Mal)
- Die Gewährung an alle Arbeitnehmer sowie
- Eine Leistung ohne Freiwilligkeitsvorbehalt des Arbeitgebers
Tarifvertraglicher Anspruch auf Inflationsausgleichsprämie
Die freiwillige Sonderzahlung des Arbeitgebers kann in einigen Fällen auch eine Pflicht desselben sein, wenn der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Zahlung hat. Ein Anspruch kann sich aus Tarifvertrag ergeben.
Eine solche beispielhafte Aufnahme in das tarifliche Regelungswerk hat aktuell aufgrund der Verhandlungen zwischen IGBCE und Chemie-Arbeitgeber stattgefunden. Das verhandelte Entlastungspaket sieht vor: Die Prämie wird in zwei Teilzahlungen ausgezahlt. Die erste Zahlung ist spätestens am 31.12.2023 fällig, die zweite spätestens am 31.12.2024. Arbeitgeber können das Geld aber freiwillig auch schon früher auszahlen oder als Gesamtbetrag.
AUSGABE: LGP 11/2022, S. 233 · ID: 48675600