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Der praktische FallEntgeltlicher Verzicht auf ein Nießbrauchrecht ist keine steuerbare Veräußerung i. S. d. § 23 EStG
| Zwecks Trennung von Eigentum und Fruchtziehungsrecht wird bei Immobilienvermögen – insbesondere im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge – regelmäßig ein Nießbrauchrecht bestellt. Während dem Nießbraucher die Nutzungen aus der Immobilie in Form von Selbstnutzung oder Mieteinnahmen zustehen, geht das Eigentum beispielsweise auf die Kinder des Nießbrauchers über. Das FG Münster hatte nun darüber zu entscheiden, ob die entgeltliche Ablösung eines solchen Nießbrauchrechts im Streitfall zu Einkünften i. S. v. § 23 EStG führt (siehe FG Münster 12.12.23, 6 K 2489/22 E). |
Inhaltsverzeichnis
1. Sachverhalt
Der Ehefrau und Klägerin wurde im Jahr 2008 von ihrem verstorbenen Ehemann im Wege des Vermächtnisses ein Nießbrauchrecht an einem Grundstück unentgeltlich zugewandt. Das Nießbrauchrecht wurde im Jahr 2009 bestellt. Eigentümer des Grundstücks war eine Erbengemeinschaft, bestehend aus den gemeinsamen Kindern der Klägerin und des verstorbenen Ehemanns. Das Grundstück war zunächst an einen fremden Dritten vermietet. Die Klägerin erzielte hieraus Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung i. S. d. § 21 EStG.
Ab dem Jahr 2012 vermietete die Klägerin das Grundstück an die Firma A & Co. KG, deren Komplementärin sie selbst war. Das Nießbrauchrecht wurde im Jahr 2012 zu einem Einlagewert von 0 EUR in das Sonder-BV der Klägerin bei der Firma A & Co. KG eingelegt. Die Mieteinnahmen stellten von 2012 bis Februar 2018 Sonderbetriebseinnahmen der Klägerin gem. § 15 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 2. HS EStG dar. Im Jahr 2017 veräußerte die Erbengemeinschaft das Grundstück an einen Dritten mit der Bestimmung, dass der Kaufpreis erst bei Erlöschen des Nießbrauchrechts fällig werden sollte.
Im Veranlagungszeitraum 2018 schied die Klägerin aus der A & Co. KG aus. Das Nießbrauchrecht wurde mit Beendigung der Mitunternehmerstellung der Klägerin zu einem Wert von 0 EUR in ihr Privatvermögen überführt. Die von der Klägerin nunmehr erzielten Mieteinnahmen waren erneut solche i. S. d. § 21 EStG.
Mit „Vereinbarung über die Aufhebung eines Nießbrauchs“ vom 6.11.19 verzichtete die Klägerin gegen eine Entschädigung auf ihr Nießbrauchrecht. Einkommensteuerlich zog die Klägerin zunächst keine Folgen aus der Ablösung des Nießbrauchs. Im Rahmen einer späteren Betriebsprüfung vertrat das FA die Auffassung, dass die Ablösung des Nießbrauchs zu Einkünften i. S. v. § 23 EStG führe. Da das Wirtschaftsgut „Nießbrauchrecht“ bis zum Verzicht als Einkunftsquelle genutzt worden sei, habe sich die Veräußerungsfrist auf zehn Jahre verlängert. Als Anschaffungszeitpunkt gelte der Zeitpunkt der Entnahme des Nießbrauchrechts aus dem Sonder-BV. Der entgeltliche Verzicht im Jahr 2019 sei damit innerhalb der zehnjährigen Veräußerungsfrist erfolgt. Das FG Münster kam im Streitfall allerdings zu dem Ergebnis, dass die entgeltliche Ablösung eines Nießbrauchrechts bzw. der entgeltliche Verzicht darauf nicht zu steuerbaren Einkünften i. S. v. § 23 EStG führt.
2. Entscheidungsgründe
Nach Ansicht des FG stellt das streitgegenständliche Nießbrauchrecht entgegen der Auffassung der Klägerin ein Wirtschaftsgut i. S. d. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG dar. In der Rechtsprechung des BFH ist geklärt, dass der Begriff des Wirtschaftsguts weit zu fassen und auf der Grundlage einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise auszulegen ist. Unentgeltlich eingeräumte – schuldrechtliche und dingliche – Nutzungsrechte an Grundstücken werden als einlagefähige Wirtschaftsgüter angesehen, falls der Inhaber eine rechtlich gesicherte Position erlangt hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann (vgl. BFH 16.12.88, III R 113/85, BStBl II 89, 763). Nach diesen Grundsätzen stellt auch das Nießbrauchrecht ein Wirtschaftsgut i. S. d. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG dar.
Das Nießbrauchrecht wurde von der Klägerin im Jahr 2018 gem. § 23 Abs. 1 S. 2 EStG durch Entnahme ins Privatvermögen überführt. Das unentgeltliche Nießbrauchrecht ist als immaterielles Nutzungsrecht zwar einlagefähig, indessen nicht auch bewertungsfähig (Werndl in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 6 Rn. F 61). Aus diesem Grund erfolgt sowohl die Einlage als auch die Entnahme zu einem Wert von 0 EUR. Ein unentgeltlich erworbenes Nießbrauchrecht kann nicht mit dem Teilwert in das Betriebsvermögen eingelegt werden (vgl. BFH 16.12.88, III R 113/85, BStBl II 89, 763). Kann das immaterielle Anlagegut Gegenstand einer (offenen oder verdeckten) Einlage sein, so kann es grundsätzlich in gleicher Weise auch Gegenstand einer Entnahme sein (vgl. FG Münster 15.6.11, 6 K 5167/06, EFG 12, 331).
Das Nießbrauchrecht wurde durch den entgeltlichen Verzicht im Jahr 2019 entgegen der Auffassung des FA allerdings nicht i. S. d. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG veräußert. Die dort verwendeten Begriffe „Anschaffung“ und „Veräußerung“ erschließen sich aus den Regelungen des § 6 EStG, des § 255 Abs. 1 HGB und der §§ 135, 136 BGB.
Unter Anschaffung bzw. Veräußerung i. S. d. § 23 EStG sind danach der entgeltliche Erwerb und die entgeltliche Übertragung eines Wirtschaftsguts auf einen Dritten – d. h. auf eine andere Person – zu verstehen (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH 23.7.19, IX R 28/18, BStBl II 19, 701). Eine „Veräußerung“ setzt somit nicht nur die Entgeltlichkeit des Übertragungsvorgangs voraus, sondern auch, dass sich aufgrund der zugrunde liegenden schuldrechtlichen Vereinbarungen ein Rechtsträgerwechsel an dem veräußerten Wirtschaftsgut vollzieht (vgl. hierzu BFH 23.8.11, IX R 66/10, BStBl II 13, 1002).
Beachten Sie | Abzugrenzen davon sind sog. veräußerungsähnliche Vorgänge im privaten Bereich, wenn nämlich ein Entgelt dafür erbracht wird, dass ein Vermögenswert in seiner Substanz endgültig aufgegeben wird (vgl. BFH 14.11.78, VIII R 72/76, BStBl II 79, 289).
Der Verzicht auf das Wirtschaftsgut „Nießbrauchrecht“ stellt lediglich einen veräußerungsähnlichen Vorgang dar. Es fehle an dem für die Veräußerung erforderlichen Rechtsträgerwechsel. Das Nießbrauchrecht ist gem. § 1059 BGB kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nicht übertragbar. Analog § 1059 S. 1 BGB ist nach h. M. auch der schuldrechtliche Anspruch auf Bestellung eines Nießbrauchs nicht übertragbar. Ist – wie hier durch die Klägerin mit Erklärung vom 6.11.19 – auf den Nießbrauch verzichtet worden, wird damit nicht das Wirtschaftsgut Nießbrauch an den Eigentümer des Grundstücks (zurück)übertragen, ein Rechtsträgerwechsel findet also nicht statt. Der Nießbrauch erlischt vielmehr. Infolgedessen fallen die Nutzungs- und Fruchtziehungsrechte dem Eigentümer des Grundstücks wieder zu. Insofern handelt es sich bei dem entgeltlichen Verzicht auf den Nießbrauch um einen Vorgang, bei dem ein Vermögenswert in seiner Substanz endgültig aufgegeben wird (vgl. BFH 14.11.78, VIII R 72/76, BStBl II 79, 289).
Solche veräußerungsähnlichen Vorgänge werden von § 23 EStG nicht erfasst. Dies ergebe sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut, der eine Steuerpflicht nur für bestimmte „Veräußerungsgeschäfte“ regelt. Auch der Charakter des § 23 EStG, der als Ausnahmevorschrift nur ausgewählte Wertveränderungen des Privatvermögens der Besteuerung unterwirft, spreche dafür, dass eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung des § 23 EStG nicht möglich ist. Gleiches ergebe sich aus der Systematik des § 23 EStG, der in § 23 Abs. 1 S. 5 EStG den Fall der Einlage ausdrücklich der Veräußerung gleichstellt. Hätte der Gesetzgeber auch veräußerungsähnliche Vorgänge von § 23 EStG erfasst wissen wollen, hätte er die Norm entsprechend erweitert. Anders als § 20 EStG kennt § 23 EStG aber auch nach der umfassenden Änderung des EStG i. R. d. UntStRefG 2008 keine § 20 Abs. 2 S. 2 EStG entsprechende Vorschrift.
Diese enge wortlautorientierte Auslegung des § 23 EStG wird auch durch die Rechtsprechung des BFH zu § 22 EStG bestätigt. Hiernach werden sowohl Veräußerungsgeschäfte als auch veräußerungsähnliche Geschäfte nicht von § 22 Nr. 3 EStG erfasst (vgl. BFH 20.10.99, X R 132/95, BStBl II 00, 82).
Wird der BFH die steuerzahlerfreundliche Sichtweise des FG bestätigen? |
Zum Autor | Gerrit Uphues ist in der Finanzverwaltung NRW tätig. Der Aufsatz wurde nicht in dienstlicher Eigenschaft verfasst und gibt die persönliche Auffassung des Autors wieder.
AUSGABE: GStB 8/2024, S. 282 · ID: 49983951