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WirtschaftsforschungZäsurjahr 2025: Wirtschaftswende oder Absturz?

Abo-Inhalt06.02.20258 Min. Lesedauer von Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung

| Das deutsche Erfolgsmodell hat ausgedient. Hohe Energiekosten, eine schwächere globale Nachfrage und strukturelle Probleme belasten die Industrie und die Konjunktur insgesamt. Ihre Wachstumsschwäche führt dazu, dass die deutsche Gesamtwirtschaft auch 2025 stagnieren oder erneut leicht schrumpfen wird – es sei denn, der Politik gelingen nach den Wahlen im Frühjahr rasche Reformen. Quo vadis also, Wirtschaft? |

1. Krisenmodus ist Dauerzustand

Was sagt Sprache über den Zustand einer Nation aus? Offenbar eine ganze Menge. Wie sonst ist es zu erklären, dass das Wort „Ampel-Aus“, das erst am 6.11.24 geboren und von den Medien geprägt wurde, schon einen Monat später von der Gesellschaft für deutsche Sprache zum „Wort des Jahres“ gekürt wurde (www.iww.de/s12185). Wäre die Bundesregierung nicht zerbrochen, hätten die Sprachwissenschaftler ohne Weiteres auch Begriffe aus den Top Ten der Wahl zum Wort des Jahres 2023 recyceln können. Denn durch den andauernden „Ampelzoff“ (Platz 5) und Diskussionen über das nach dem Urteil des BVerfG entstandene „Milliardenloch“ (Platz 8) im Bundeshaushalt musste vor allem die Wirtschaft dauerhaft in den „Krisenmodus“ (Platz 1) umschalten.

Heute wissen wir: Trotz anfänglicher Hoffnung auf Besserung ist der Krisenmodus zum Dauerzustand geworden. In schöner Regelmäßigkeit haben die führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Prognosen immer weiter nach unten korrigiert. Bei der letzten Projektion Anfang Dezember gingen sie für 2024 nicht einmal mehr von einem Nullwachstum aus. Stattdessen erwarteten sie, dass die Wirtschaftsleistung um 0,1 bis 0,2 % schrumpft (DIW: www.iww.de/s12186; ifo: www.iww.de/s12187). Besonders pessimistisch sind die Experten des Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), die auch für 2025 kein Wachstum mehr erwarten. „Deutschlands Wachstumsschwäche tritt offen zutage“, sagt IfW-Präsident Prof. Dr. Moritz Schularick (www.iww.de/s12189). Er sieht das Land inzwischen in einer tiefen Strukturkrise.

2. Stagnation ist hausgemacht

Die seit 2020 anhaltende Stagnation hat nicht nur externe Gründe, auch wenn diese immer wieder die Hoffnung auf einen baldigen Aufschwung nährten: Die Coronapandemie hat die Weltwirtschaft durchgeschüttelt. Aus dem ersten Pandemiejahr wurde ein zweites und drittes, bevor der russische Angriffskrieg in der Ukraine die Energieversorgung infrage stellte. Immer gab es Hoffnung auf ein Ende der Krise. Wenn es einen Impfstoff gibt, wenn die Pandemie besiegt ist, wenn die Gaspreise wieder sinken, dann geht es wieder aufwärts mit der Wirtschaft. Aber das war nicht der Fall. Richtig ist: Deutschland ist besonders anfällig für externe Schocks. „Jeder unvorhergesehene Störfaktor von außen kann den Unterschied zwischen einem Plus oder einem Minus bei der Wirtschaftsleistung bedeuten“, sagt Schularick. Aber die hiesige Wirtschaft ist nur deshalb so verwundbar, weil sie zuvor schon geschwächt war – besonders die Industrie, die hierzulande gut ein Fünftel der gesamten Wirtschaftsleistung ausmacht. Nimmt man die „unternehmensnahen Dienstleistungen“ und die „sonstige Produktion“ hinzu, sind es sogar fast 40 % der Bruttowertschöpfung. Doch die Industrieproduktion sinkt laut einer Analyse des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) nicht erst seit Corona (www.iww.de/s12190). Bereits seit 2018 ist sie saisonbereinigt um mehr als 13 % zurückgegangen.

3. Schwindende Kapazitäten

Aktuell sind die Industrieunternehmen so gering ausgelastet wie lange nicht mehr. Nur 76,5 % ihrer Kapazitäten werden benötigt (www.iww.de/s12191). 23,5 % liegen brach – oder werden abgebaut. Allen voran die ehemaligen Zugpferde der deutschen Automobil- und Chemieindustrie reduzieren ihre Produktion in Deutschland. Und seit Jahren durch hohe Strom- und Personalkosten, Steuern und Bürokratie belastet, stellt sich die Frage: Sind diese Kapazitäten für immer verloren oder können sie reaktiviert werden?

„Im Moment ist noch nicht klar, ob es sich bei der derzeitigen Stagnationsphase um eine vorübergehende Schwäche oder um eine dauerhafte Veränderung der Wirtschaft handelt“, sagt etwa Prof. Dr. Timo Wollmershäuser, stellvertretender Leiter des ifo Zentrums für Makroökonomik. Je nachdem, wie sich die Rahmenbedingungen entwickeln, hält sein Institut die Rückkehr eines Teils der Kapazitäten durchaus für möglich, etwa wenn sich die Produktionsstrukturen verändern und alte Technologien durch neue ersetzt werden. Kapital für Investitionen wäre vorhanden, wie eine Sonderauswertung von Creditreform zeigt. Demnach haben nur 11 % der Industrieunternehmen eine niedrige Eigenkapitalquote von unter 10 %. Das ist ein deutlich geringerer Anteil als etwa im Baugewerbe, wo es mehr als doppelt so viele eigenkapitalschwache Unternehmen gibt. Andererseits mussten im Verarbeitenden Gewerbe 2024 mehr als die Hälfte der Unternehmen mit sehr geringen Gewinnmargen leben (34,7 %) oder sogar Verluste hinnehmen (17,5 %), was zu einem deutlichen Anstieg der Insolvenzzahlen insgesamt, aber auch speziell im Verarbeitenden Gewerbe führte. Auf 1.340 Fälle im Jahr 2023 folgten 1.660 Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2024 (www.iww.de/s12192). Da nicht bei allen eine Sanierung gelingen wird, geht ein Teil dieser Kapazitäten tatsächlich verloren.

4. Steigende Arbeitslosigkeit

Eng verbunden mit einer geringeren Produktion ist der Personalabbau. Weil Konzerne und große Mittelständler derzeit nicht genug Aufträge haben, legen sie Entlassungs- und Abfindungsprogramme auf. Vier von zehn deutschen Unternehmen wollen laut einer Umfrage des IW (www.iww.de/s12193) Stellen abbauen. Fast täglich werden entsprechende Pläne von VW und Ford, Brose und Bosch, Schaeffler und Co. bekannt. Und das sind nur die Namen, die in den Medien genannt werden. Die Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen. Creditreform hat in seiner Herbstanalyse zur Wirtschaftslage und Finanzierung im Mittelstand festgestellt, dass auch dort die Zahl der Beschäftigten erstmals seit vielen Jahren zurückgegangen ist: 21,2 % der Unternehmen meldeten einen Personalabbau (Vorjahr: 16,0 %), zudem stellten weniger Unternehmen neues Personal ein.

So zieht die Industriekrise inzwischen auch den Arbeitsmarkt nach unten. Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung warnte bereits im September 2024 (www.iww.de/s12194), dass die Konjunkturschwäche und insbesondere die Schwäche der Industrie auf den Arbeitsmarkt durchschlagen werde. Gut 10.000 Industriearbeitsplätze gingen 2024 pro Monat verloren. Insgesamt waren im November knapp 2,8 Mio. Menschen in Deutschland ohne Arbeit. Dabei suchen viele Unternehmen nach wie vor Fachkräfte. Diese kommen aber aus ganz anderen Branchen, z. B. Kliniken und Pflegeheime, Logistiker und unternehmensnahe Dienstleister. Es ist also ein Irrglaube, dass in der Transformation jeder entlassene Schlosser, Maschinenbauer, Chemikant oder Mechaniker sofort wieder einen gut bezahlten Job findet.

5. Überschuldung sinkt durch „Angst-Sparen“

Die Hoffnung der Konjunkturexperten lag zuletzt auf dem Konsum: Mit einer sich normalisierenden Inflation würden die Bürger wieder mehr Geld ausgeben. Hinzu kamen hohe Tarifabschlüsse, die das verfügbare Einkommen vieler Haushalte erhöhten. Doch die Hoffnung hat sich zerschlagen. Im dritten Quartal stiegen die Ausgaben für Essen, Wohnen, Kleidung, Freizeit, Bildung, Kommunikation und Co. nur um 0,3 %, nachdem sie im zweiten Quartal um 0,5 % gesunken waren (www.iww.de/s12195). Offenbar führt die allgemeine Verunsicherung dazu, dass die Bürger ihr Geld zusammenhalten, statt zu konsumieren. Drohende Arbeitsplatzverluste tun ein Übriges. Vor diesem Hintergrund erscheint auch ein zunächst positiver Befund der Creditreform Wirtschaftsforschung in einem anderen Licht (www.iww.de/s12196): Die Zahl der überschuldeten Verbraucher ist zum sechsten Mal in Folge gesunken. 2024 hatten 5,56 Mio. Menschen mehr Verbindlichkeiten als sie bedienen konnten (nach 5,65 Mio. im Jahr 2023).

Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Die Inflationsrate lag im Dezember bei 2,2 %. Vor allem Lebensmittel und Dienstleistungen bleiben teuer. Aber auch für Benzin, Heizöl und Gas – mit einem steigenden CO2-Preis –, den öffentlichen Personennahverkehr oder die Krankenversicherung werden Verbraucher tiefer in die Tasche greifen müssen. Ökonomen rechnen daher auch für 2025 mit einer Inflationsrate von über 2 %.

6. Reformen notwendig

Um das Problem zu adressieren, hat Olaf Scholz kürzlich vorgeschlagen, die MwSt auf Lebensmittel von 7 auf 5 % zu senken. Entscheidender als solche Symbolpolitik ist es, die strukturelle Kaufkraft wieder zu stärken. Das ifo Institut hat in seiner Winterprognose (www.iww.de/s12187) ein zweites Szenario berechnet – unter der Annahme, dass die kommende Bundesregierung schnelle Reformen auf den Weg bringt. Gelingt es, die richtigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen umzusetzen, etwa Unternehmen steuerlich zu entlasten, Bürokratie- und Energiekosten zu senken, die Digital-, Energie- und Verkehrsinfrastruktur zu modernisieren und die Erwerbsbeteiligung von Älteren, Zuwanderern und Teilzeitbeschäftigten zu steigern, könnte das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland 2025 um 1,1 % wachsen. 2026 sogar um bis zu 1,6 %.

Das lässt hoffen. Und zum Teil sind die genannten Ansätze bereits in den Wahlprogrammen der Parteien erkennbar. So will die FDP die Unternehmenssteuern auf unter 25 % senken. Die Union verspricht flexiblere Regeln und weniger Bürokratie, um die „wirtschaftliche Resilienz zu stärken“. Dazu will sie Zukunftstechnologien wie grünen Wasserstoff und grünen Stahl beschleunigt voranbringen. Wie das finanziert werden soll, ist unklar. Denn an der Schuldenbremse scheiden sich nach wie vor die Geister. CDU/CSU und FDP wollen daran festhalten. SPD und Grüne wollen dagegen Ausnahmen einführen, um Zukunftsprojekte zu finanzieren. Sie schlagen einen „Deutschlandfonds“ vor, etwa für den Ausbau der Strom- und Wärmenetze, der Verkehrswege, des Wohnungsbaus und der digitalen Infrastruktur.

7. Auf (geo-)politische Unsicherheit reagieren

Wer auch immer Deutschland demnächst als Bundeskanzler regiert – er täte gut daran, die Standortbedingungen wieder zu verbessern. Lange Zeit hatte Deutschlands Wohlstand drei Gründe: günstiges Gas aus Russland, Sicherheit durch die Nato sowie ein boomender Absatzmarkt und günstige Arbeitskräfte in China. Das alles gibt es nicht mehr. Wenn etwa Donald Trump als selbsternannter „Tariff Man“ seine Zollpläne wahr macht, könnte das die deutsche Wirtschaft in vier Jahren nach IW-Berechnungen bis zu 180 Mrd. EUR kosten. Darauf können Deutschland und Europa nur selbstbewusst antworten und einseitige Abhängigkeiten so gut es geht abbauen. Die Unterzeichnung des MERCOSUR-Freihandelsabkommens ist ein solcher Schritt, auch wenn die Märkte in Lateinamerika noch nicht die Bedeutung Chinas oder der USA haben. Aber der Weg ist richtig. Denn er zeigt, dass Deutschland noch immer etwas zu bieten hat – wenn es sich seiner Stärken bewusst ist.

Fazit | Für das Jahr 2025 wird es darauf ankommen, dass Politik, Wirtschaft und Wissenschaft wieder besser zusammenspielen. Entscheidend wird aber auch sein, wie lange die Regierungsbildung nach der Wahl im Februar dauert. Da die Ampelkoalition vor der Verabschiedung eines Haushalts für 2025 zerbrach, gilt vorerst die sogenannte vorläufige Haushaltsführung. Diese beschränkt die Staatsausgaben strikt auf das Notwendigste. Große Sprünge sind daher im ersten Quartal nicht möglich. Gerade das sollte Ansporn sein, schnellstmöglich eine neue Regierung und einen neuen Haushalt auf die Beine zu stellen, um Versäumtes nachzuholen.

AUSGABE: BBP 2/2025, S. 29 · ID: 50274155

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